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Wirtschaft: Aus Schwäche klug (Leitartikel)

Die Chemie führt. Das allein ist bemerkenswert.

Die Chemie führt. Das allein ist bemerkenswert. Denn die Kollegen der Chemie werden von der IG Metall üblicherweise als Weichlinge oder Kompromissler betrachtet, jedenfalls als Gewerkschafter, die von starken Metallern steile Vorlagen brauchen. Diese - schon klassische - Abfolge hat sich in diesem Jahr verkehrt: Die IG Chemie überholt, die IG Metall mault, um wenige Tage später einen Abschluss vorzulegen, der sich im Volumen nicht sehr weit vom Muster der Chemie entfernt. So werden jetzt auch alle weiteren Lohnabschlüsse dieses Jahres ausfallen.

Das ist noch nicht alles. Seit zehn Jahren hat die IG Metall keinen Lohntarifvertrag unterschrieben, den sie nicht zuvor mit eine Serie von Warnsteiks ertrotzt oder erpresst hat. In diesem Jahr ist es anders gekommen: Einen Tag vor Ende der Friedenspflicht haben die Metaller eingelenkt. Dass sie ohne großes Federlesen ihre 5,5-Prozent-Forderung über Bord warfen, war zu erwarten. Dass sie aber zugleich die "Rente mit 60" dran gaben, kommt einigermaßen überraschend. Denn dieses Projekt kollektiver Frühverrentung war nicht nur die Lieblingsidee von IG-Metall-Chef Klaus Zwickel. Es sollte zugleich gewerkschaftsintern als Nachfolger der 35-Stunden-Woche vermarktet werden.

Politisch ist der Abschluss ein Signal. Es ist der Beweis, dass die keynesianische Lehre, wonach eine aggressive Lohnpolitik Beschäftigung sichert, nach dem Weggang von Oskar Lafontaine selbst in der IG Metall kaum Anhänger mehr findet. Noch im vergangenen Jahr glaubte die Metallgewerkschaft, ein Abschluss von 4,2 Prozent werde über den Umweg eines Nachfrageschubs auch zum Aufbau der Beschäftigung beitragen. Jetzt hat sie diese Oppositionsrolle aufgegeben und die Meinungsführung der IG Chemie gelassen. Hubertus Schmoldt, nicht Klaus Zwickel, heißt der Gewerkschafter neuen Typs: pragmatisch, vernünfig, unauffällig. Der Kanzler lobt sie beide aus gutem Grund. Gerhard Schröder musste befürchten, die Gewerkschaften könnten ihm und seiner Bündnis-Idee in den Rücken fallen. Doch sie haben es bei der Drohung belassen. Alles andere wäre politisch unklug gewesen. Mit weiterem Säbelrasseln hätte Zwickel kaum neue Mitglieder gewonnen. Starrsinnig auf der "Rente mit 60" zu beharren, hätte ihm die jungen Gewerkschafter aus der Organisation getrieben: Denn sie hätten für den Irrweg auch noch bezahlen sollen. Die zurückhaltende Klugheit der IG Metall weist auf eine Schwäche: Die Gewerkschaften wissen, dass ihre große Zeit vorbei ist.

Der Metallabschluss ist auch ökonomisch in Ordnung, jedenfalls dann, wenn man von kollektiven Tarifen verlangt, dass sie Arbeit nicht vernichten. Was die Metaller jetzt vereinbart haben, setzt auf die Chemievorgabe zwar noch einen drauf, geht aber nicht wesentlich über den Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktivität hinaus. Die Unternehmen loben die Planungssicherheit für zwei Jahre; Geldpolitiker und Konjunkturexperten brauchen - zumindest aus der Ecke der Lohnpolitik - nichts Böses für die Preissteigerung befürchten. Weitere Diskussionen über eine Verkürzung der Arbeitszeit sind für die nächsten drei Jahre von Tisch.

Ökonomisch gesehen war es das dann auch. Dass der Metallabschluss wieder zum Beschäftigungsaufbau beitragen werde, wird niemand im Ernst behaupten. Dazu hätte die Lohnzahl unter der Produktivität liegen müssen. Neue Arbeitsplätzen werden die Green Cards bringen - auch für Inländer. Neue Arbeitsplätze werden die Gründerunternehmen bringen: Das ist eine Welt jenseits der Gewerkschaften.

Rainer Hank

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