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Wirtschaft: Aus verschiedenen Welten

Dirk ist 40, Felicitas 20 – technisch gesehen ist er ihr um Lichtjahre voraus

Der S-Bahnhof Warschauer Straße ist in Berlin ein beliebter Treffpunkt für Verabredungen. Zu jeder Tages- und Nachtzeit sind wartende Menschen zu beobachten – oft mit Handy am Ohr: Sie sollen sich noch ein paar Minuten gedulden oder doch zu einem anderen Treffpunkt kommen. Es hat sich eingebürgert, sich erst einmal grob zu verabreden und das Fein- tuning kurzfristig per Handy vorzunehmen. Felicitas trifft da lieber genauere Absprachen: „22.20 Uhr, am Kiosk, am Ausgang.“ Die 20-Jährige hat kein Handy und ist nur sehr schwer zu erreichen. Auch sonst verzichtet sie auf alles technische Zubehör.

Für Dirk undenkbar. Technik ist ein wichtiger Bestandteil seines Lebens: Sein Wohnzimmer hat er für 15 000 Euro zum Heimkino aufgerüstet. Vor dem 50-Zoll- Plasma-Bildschirm türmen sich CD- und DVD-Hüllen. Sechs Fernbedienungen liegen bereit, um Dolby-Surround-Boxen, Verstärker, Subwoofer (Bassverstärker) und DVD-Player zu bedienen. „Das wird besser als jedes Kinoerlebnis“, sagt Dirk, bevor er eine Seeschlachtszene aus dem Kinoepos „Command and Conquer“ vorführt. Tatsächlich: Auf jeden Kanoneneinschlag reagiert der Dielenboden mit leichtem Vibrieren – Dirk mit Grinsen. Bild- und Tonqualität sind außergewöhnlich authentisch. „Das ist so, als wäre man mitten im Geschehen“, sagt Dirk.

Felicitas hat keinen Fernseher und auch keinen Computer. „Ich habe mich nicht gegen die Technik entschieden – sondern nur nie dafür“, sagt die Theaterregiestudentin. Sie habe nichts gegen technische Errungenschaften an sich, sondern gegen deren exzessive Nutzung: „Mitten im Gespräch fangen Leute an, SMS zu tippen. Andere hängen den ganzen Tag vorm Internet. Das Zwischenmenschliche bleibt auf der Strecke“, sagt Felicitas. Angst, ohne Onlinezugang den Anschluss zu verpassen, hat die Berlinerin keine. Nicht ständig erreichbar zu sein, empfindet sie als Nische, aus der sie hervorkommen kann, wenn ihr danach ist.

Dirk ist rund um die Uhr erreichbar. Sein Handy auf dem Nachttisch reißt ihn morgens aus dem Schlaf. Ein Blick auf den Blackberry-Terminplaner und er weiß, was ihm der Tag bringen wird. Es gibt viel zu tun, der 40-Jährige ist Geschäftsführer eines Berliner IT-Unternehmens. Er kümmert sich vor allem um den Vertrieb. Den Weg zu seinen Kunden weist ihm sein Navigationssystem. Technische Entwicklungen hat er immer im Auge. „Für die optimale Heimkinoanlage muss man gut recherchieren“, sagt Dirk.

Das tut er seit der Kindheit. Schon als Sechsjähriger hat er fasziniert vor der Stereoanlage seines Vaters gehockt. Während des Studiums jobbte er beim Schneeräumdienst, um sich hochwertige Boxen leisten zu können. Im Wohnzimmer steht mittlerweile seine vierte Boxengeneration für mehrere tausend Euro. „Ich fahre lieber einen günstigen Smart, als auf diese Boxen zu verzichten.“

Wenn Felicitas in der S-Bahn sitzt, amüsiert sie sich, wenn plötzlich ein Handy klingelt, alle Umsitzenden hektisch in ihrer Tasche kramen und sie die Einzige ist, die sich nicht angesprochen fühlt. Trotz dieser Anti-Haltung blickt sie nicht von oben auf die technisierten Menschen herab. „Wenn ich jemanden sprechen will, kann ich auf dessen Handy anrufen. Ich weiß, dass mein Alltag nur funktioniert, weil ich in diesem System eine Ausnahme bin und alle anderen Menschen Handys und Internet haben“, sagt Felicitas. Sie versuche, von der positiven Seite der Technik zu profitieren, ohne sich selbst von ihr vereinnahmen zu lassen. Das funktioniere bislang sehr gut. Trotzdem liebäugelt sie mit einem Computerkauf, um Texte für die Uni tippen zu können. Im Studentennetzwerk StudiVZ ist sie schon mal vorsorglich angemeldet – aber dafür ist ihre Schwester verantwortlich.

Bei Dirk steht als Nächstes ein HD-DVD-Recorder auf dem Einkaufszettel. Wer sich Dirk wegen seiner Leidenschaft als blassen Technikfreak vorstellt, der sich mit Fertigpizza tagelang vor dem Computer verbarrikadiert, der irrt. Noch größer als vor seinem Plasma-Display werden seine Augen, wenn er mit seiner fünfjährigen Tochter Elina umhertobt.

In stressigen Phasen verbringt er höchstens zwei Stunden pro Woche vor der Anlage. Am liebsten nach einem guten Essen mit Freunden. „Das ist ein wahres Fest der Sinne.“ Sich selbst beschreibt er als „absoluten Genießertyp, der allem offen gegenübersteht, was das Leben zu bieten hat“. Ein gewisses Suchtpotenzial streitet er nicht ab: „Ich kann wochenlang nach einem neuen Gerät Ausschau halten, und wenn ich mich dann einmal für etwas entschieden habe, rufe ich auch jeden Tag beim Lieferanten an und frage, ob er nicht schneller liefern kann.“ Johannes Pennekamp

Johannes Pennekamp

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