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Auszubildende werden händeringend gesucht. Das betrifft vor allem Lehrberufe, in denen kräftig angepackt werden muss.

© Maja Hitij/dpa

Ausbildungsplätze: Berlins Betriebe finden immer seltener Azubis

Die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze bei Berlins Betrieben hat ein neues Rekordhoch erreicht. Dafür gibt es mehrere Gründe. Einige Branchen leiden besonders stark.

Berlins Unternehmen standen vor wenigen Jahren noch in der Kritik, zu wenig gegen Jugendarbeitslosigkeit zu tun, zu wenig auszubilden. Die Kammern mussten dem Senat damals noch feierlich versprechen, bis zum Jahr 2020 rund 1000 zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen. Die Zahl ist bereits jetzt mehr als übererfüllt: Standen im Mai 2009 noch rund 8300 Ausbildungsplätze für die Jugend bereit, waren es im Mai 2016 rund 12.500 - wobei diese Zahlen mit Vorsicht zu genießen sind. Niemand weiß es genau. Einige Stellen werden nie gemeldet. Andere existieren womöglich nur auf dem Papier.

Doch der Trend scheint zu stimmen. Mittlerweile stellt sich das Problem ganz anders dar: Die Betriebe suchen Nachwuchs in Fachberufen, finden aber zu selten „geeignete“ Bewerber - oder überhaupt irgendwelche Bewerber. Und jetzt rufen sie die Politik um Hilfe. Die solle einen Beitrag leisten, dass die duale Ausbildung „wieder in Mode kommt“, fordert zum Beispiel die Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK).

Ihren Angaben zufolge stieg die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze im Jahr in Berlin gegenüber 2014 nocheinmal um einen Prozentpunkt auf ein neues Rekordhoch von 36,6 Prozent. Das geht aus der jüngsten Aus- und Weiterbildungsumfrage IHK hervor, die sie am Dienstagabend vorgelegt hat. Zum Vergleich: 2008, sieben Jahre zuvor, waren laut Umfrage nur knapp 17 Prozent der Ausbildungsplätze unbesetzt. Seither verschärfte sich dieser Negativtrend fast stetig - mit Ausnahme des Jahres 2012. Da drängten wegen des verkürzten Schulzeit zum Abitur zwei Jahrgänge auf den Ausbildungsmarkt.

Als Gründe für freie Plätze geben die Ausbildungsbetriebe an (Mehrfachnennungen möglich):

-    71 Prozent: Es lagen 2015 keine „geeigneten“ Bewerbungen vor. Hier sagen Kritiker einigen Unternehmen. Eure Ansprüche sind zu hoch! Womöglich müssen sich Unternehmen damit abfinden, dass viele Schulabgänger nicht reif sind für eine Ausbildung - und nachhelfen. Nicht immer nur nach dem überforderten Staat rufen!

-    34 Prozent gaben als Grund an: Die Plätze wurden von den Auszubildenden nicht angetreten. Hierfür gibt es mehrere Gründe. So haben viele Bewerber sicher mehrere Eisen im Feuer. Andere bewerben sich spontan doch um einen Studienplatz oder gehen erstmal ein Jahr ins Ausland.

-    30 Prozent der Unternehmen sagen: Die Ausbildung wurden nach Beginn der Ausbildung aufgelöst. Dieser Wert liegt in Berlin mit acht Punkten deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Das führt die Kammer darauf zurück, dass es in Berlin mehr attraktive Alternativen gibt als anderswo. Die Quote der endgültigen Abbrecher liegt gleichwohl offenbar nur bei durchschnittlichen rund 13 Prozent.

-    26 Prozent der Unternehmen gaben als Grund für unbesetzte Plätze an, gar keine Bewerbungen erhalten zu haben. Gar keine! Das betrifft in etwa jeden zehnten Ausbildungsbetrieb. Insbesondere im Hotel- und Gastgewerbe, im Handel und den Verkehrs- und Logistikbranchen. Also Berufen, wo mitunter für kleines Geld heftig malocht wird und in denen mancher Arbeitgeber im Verdacht steht, mehr wert auf junge und billige Arbeitskräfte zu legen, als auf eine fachmännische Ausbildung.

Hochgerechnet von den Teilnehmern der Umfrage auf alle Ausbildungsbetriebe schätzt die Kammer, dass im vergangenen Jahr rund 1500 Ausbildungsplätze nicht besetzt worden sind. Aktuell gibt es laut IHK 1340 offene Stellen für das im Spätsommer beginnende Ausbildungsjahr. Die Lehrstellen- und Praktikumsbörse der Kammer bietet einen Überblick.

Bei der Berliner IHK sieht man die Demografie als einen Grund für dieses Phänomen. „Die Generation der Babyboomer geht in etwa 15 Jahren in Rente“, erklärte die neue IHK-Präsidentin Beatrice Kramm bei der Vorstellung der Zahlen. Zudem spürten die Betriebe nun die Folgen jahrzehntelanger Politik, die darauf abzielte, immer mehr Jugendlichen ein Studium zu ermöglichen, in der Hoffnung, dies bedeute auch sozialen Aufstieg. „Wir müssen den Eltern vermitteln, dass ein Studium nicht per se reich macht“, so Kramm. Ihr liege die duale Ausbildung „sehr am Herzen“.

In der Auswertung der IHK-Umfrage heißt es: Die hohe Zahl unbesetzter Ausbildungsplätze, das geringe Interesse Jugendlicher an einer Ausbildung oder der Akademisierungstrend entgegen dem Bedarf der Wirtschaft lassen sich nur überwinden, wenn Ausbildung gesellschaftlich wieder in Mode kommt. „Bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl wird sich zeigen, wer es ernst meint: Die Politik sollte die Wahl nutzen und in den Parteiprogrammen, um Wahlkampf und den Koalitionsverhandlungen der dualen Ausbildung eine starke Stimme geben.“

Die IHK, die zur politischen Neutralität verpflichtet ist, verzichtete darauf, Berlins prominentestes lebendes Beispiel dafür zu nennen, dass es nicht nur langjährig studierte Akademiker bis ganz nach oben schaffen können: Michael Müller. Der SPD-Politiker legte 1982 die Mittlere Reife, den Realschulabschluss, ab, besuchte dann eine Fachoberschule und schloss 1986 eine kaufmännische Lehre ab. Anschließend betrieb der amtierende Regierende Bürgermeister eine Druckerei gemeinsam mit seinem Ende 2015 verstorbenen Vater.

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