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Das Geschäft mit Ausmalbüchern boomt.

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Digitalisierung: Gegen den Stress malen

Während die Welt immer digitaler wird, malen Erwachsene Mandalas aus. Die Hersteller von Buntstiften melden Rekordumsätze.

Bevor Karl Lagerfeld auf den Laufstegen der Welt seine Kollektionen zeigt, sitzt er in seinem Atelier in Paris und zeichnet. Skizziert Silhouetten, schraffiert Kleider und Kostüme. Zeichnen, sagt er, sei für ihn wie Atmen und Schreiben. Zeichnen entspanne ihn fast. Nun hat er mit Faber-Castell, dessen Produkte er selbst seit vielen Jahren nutzt, eine – natürlich schwarze – Buntstiftbox für 2500 Euro designt. Dass sie ausverkauft ist, liegt nicht nur an ihm.

Im gerade abgelaufenen Geschäftsjahr 2015/2016 erwirtschaftete Faber-Castell, der weltgrößte Hersteller von Bunt- und Bleistiften, mit 631 Millionen Euro ein Plus von zehn Prozent. Und den höchsten Umsatz seiner Firmengeschichte. Das Gleiche teilte in dieser Woche Konkurrent Schwan-Stabilo mit. Mit der Schreibgeräte-Sparte verdiente der Konzern rund 185 Millionen Euro und verbesserte damit auch deutlich die Gesamtbilanz. Bei Staedtler nahmen die Einnahmen um 14 Prozent zu und betrugen 323 Millionen Euro. Ein wesentlicher Grund für die Rekordumsätze der deutschen Unternehmen ist der anhaltende Trend zum Ausmalen. Trotz oder vielmehr wegen der Digitalisierung boomt das Geschäft mit Stiften und Mandala-Büchern. Für Erwachsene.

Trend hat die Hersteller überrascht

Wegen der hohen Nachfrage arbeiten die Mitarbeiter der Stiftehersteller seit dem Frühjahr in Sonderschichten. Beim Nürnberger Unternehmen Staedtler heißt das rund um die Uhr. Sechs Tage die Woche. „Wir produzieren auf Hochtouren und schöpfen die Möglichkeiten unseres Tarifvertrages vollständig aus“, sagte die Sprecherin Erna Müller. Bis Ende des Jahres soll die Drei-Schicht-Produktion wieder herunterfahren werden. Es wurden neue Mitarbeiter eingestellt. Nach jetzigem Stand erwartet Staedtler, das Ergebnis von 2015 in diesem Jahr nochmals zu steigern.

Der Trend hat die Hersteller zunächst überrascht. Lange hatten sie Angst, dass die Menschen wegen Smartphones und Tablets immer weniger mit der Hand schreiben, immer seltener einen Stift benötigen. Der aktuelle Hype zeigt – zumindest vorerst – das Gegenteil.

Eine Pause vom Dauer-Online-Sein

Wie Stricken, Häkeln und Gärtnern ist das Ausmalen eine Methode, dem hastigen Alltag zu entfliehen. Weil die Menschen den ganzen Tag auf der Tastatur herumtippen und über irgendeinen Display wischen, wollen sie mit ihren Händen zum Ausgleich etwas Sichtbares schaffen. Sei es nur ein buntes Bild. Ständig blinkt das Smartphone. Lenkt ab. Beim bunten Gestalten von Mandalas oder Blumenwelten heißt es, nicht über die Linien der Vorlage malen! Weil die kreisförmigen und quadratischen Muster kleinteilig sind, erfordert das Konzentration. Der Geist kommt zur Ruhe, entspannt sich.

Das Ausmalen schafft eine Pause von permanentem Online-Sein und Reizüberflutung. Es wird als Meditation empfunden, als Anti-Stress-Therapie. Was sich in der heutigen Zeit wunderbar vermarkten lässt.

Sechs von zehn Deutschen fühlen sich derzeit gestresst. Laut einer aktuellen Studie der Techniker Krankenkasse ist der Hauptgrund die Arbeit, gefolgt von hohen Ansprüchen an sich selbst, zu vielen Terminen in der Freizeit und der Erwartung von ständiger Erreichbarkeit. Deswegen versucht fast die Hälfte, in der freien Zeit möglichst viel offline zu sein. Das Handy ganz bewusst wegzulegen und stattdessen ein Buch zu lesen, Musik zu hören – oder zu malen.

Mandala-Regale in den Buchgeschäften

Als Urheberin des Trends wird die schottische Illustratorin Johanna Basford genannt. Die 33-Jährige hat von ihren ersten Malbüchern, die „Mein verzauberter Garten“ und „Mein Zauberwald“ heißen, Millionen verkauft. In den USA und Frankreich führt Basford Bestsellerlisten an. Die deutschen Versionen verlegt der Verlag Knesebeck. „Die Produktpalette ist riesig geworden“, sagte Sprecherin Christin Nase. Es gebe nicht mehr nur Malbücher, sondern auch Notizbücher und Postkarten. Von den ersten beiden Büchern wurden in den vergangenen Monaten 150 000 Stück verkauft. Ein Erfolg für den Verlag mit 20 Mitarbeitern.

In den Buchgeschäften ist die Nachfrage ebenfalls groß. Die Regale sind voll. Die Verkaufszahlen stimmen schon vor dem Weihnachtsgeschäft. In Thalia-Filialen liegen die Werke von Basford auf einem eigenen Tisch für Malbücher. Fragen zu genauen Zahlen beantwortete das Unternehmen nicht, sagte aber, „das Interesse unserer Kunden ist nach wie vor hoch“.

Kulturtechnik aus Kindertagen für Erwachsene

Hugendubel führt in seinen Läden 80 Exemplare für Erwachsene. „Noch mal so viele werden in den nächsten Monaten erscheinen“, hieß es vom Unternehmen. Es sei ein „Riesen-Thema“. Die Buchhändler gehen davon aus, dass der Trend im nächsten Jahr fortbestehen wird. „Zumindest laut den Verlagsprogrammen für das Frühjahr 2017 ist kein Abbruch zu erkennen“, sagte eine Weltbild-Sprecherin. Amazon teilt diese Meinung. Buntstifte und Malbücher gehören dort nach wie vor zu den beliebtesten Artikeln.

Weil die Stiftehersteller so sehr von dem Trend profitieren, bieten auch sie Ausmalbücher an. Mit ihren Stiften. Das bequeme Gesamtpaket. Stabilo verkauft das Set unter dem Namen „Kreative Auszeit“. Bei Faber-Castell heißen sie „Feel Good“ und „Entspanntes Malen“. Das Unternehmen wirbt mit einem „Ausgleich zum Arbeitsalltag“. Um „zur inneren Ruhe zu finden“. Letztlich verkauft sich die Idee, weil sie aktuelle Sehnsüchte anspricht und weil sie ein wenig skurril ist: Eine Kulturtechnik aus Kindertagen, aus vordigitalen Zeiten, beglückt ganze Branchen. Manager und Mütter.

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