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Exoten. Das Konzeptauto „Sbarro Fleche Rouge“ wird auf der Essen Motor Show 2013 gezeigt. Die größte Tuning-Messe der Welt – nach Besucherzahlen die zweitgrößte deutsche Automesse nach der IAA – beginnt an diesem Samstag.

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Auto-Tuning: Ausweitung der Knautschzone

An diesem Wochenende startet die Essen Motor Show. Tuning ist nicht nur etwas für Autonarren – die Pkw-Individualisierung hat sich zum Milliarden-Markt entwickelt.

Sie haben ihren Firmensitz in der Provinz, in Schittach, Fußgönheim oder Walddorfhäslach. Ihr Geschäft: aus langweiligen Serienautos schnelle, auffällige, exklusive Autos machen. Spoiler, Breitreifen, Sportauspuff – die Ergebnisse der Auto-Individualisierung lassen sich auf der Straße jeden Tag besichtigen. Die Branche steht im Verdacht, nur die verrückten Wünsche provinzieller Autonarren zu erfüllen.

Doch die vermeintliche Nische, in der die meist mittelständischen Tuning-Firmen arbeiten, ist in den vergangenen Jahren ziemlich groß geworden: 4,6 Milliarden Euro werden deutsche Unternehmen 2013 nach Angaben des Branchenverbandes VDAT weltweit umsetzen – mit Produkten, die vom Schaltknüppel bis zur millionenteuren Pkw-Veredelung reichen. 60 Prozent des Umsatzes entfallen auf die herstellerabhängigen Tuner wie AMG (Mercedes), Volkswagen R, Audi Quattro und BMW M. Zusammen sind die rund 1000 Unternehmen mit mehr als 20 000 Mitarbeitern Nummer eins in der Welt.

„Wir bewegen uns auf einem hohen Level“, beschreibt Harald Schmidtke, Geschäftsführer des VDAT, den Umstand, dass der Branchenumsatz seit 2011 gleich geblieben ist. Der deutsche Markt komme auf ein Volumen von rund 1,8 Milliarden Euro. Doch das heimische Geschäft wächst nicht mehr. Wie die Autohersteller auch, spürt die Tuning-Industrie die schwächere Nachfrage im Inland und im übrigen Europa. „Dort stagnieren die Umsätze“, sagt Schmidtke. Das Wachstum komme aus dem Ausland. Vor allem Tuning-Enthusiasten in China und anderen asiatischen Automärkten beflügeln das Geschäft. Hinzu kommen reiche Scheichs aus den Ölförderländern, die sich deutsche Luxuskarossen gerne zu fahrenden Palästen umbauen lassen.

Ein Schwerpunkt in Essen: Felgen und sehr breite Reifen.
Ein Schwerpunkt in Essen: Felgen und sehr breite Reifen.

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In den kommenden acht Tagen trifft sich die Branche im tuningfreundlichen Ruhrgebiet. An diesem Samstag öffnet die seit 1968 stattfindende „Essen Motor Show“ (bis 8. Dezember) ihre Tore, die weltweit größte Fachmesse für Tuning- und Sportfahrzeuge. Der Veranstalter erwartet mehr als 340 000 Besucher, die auf 110 000 Quadratmetern die Neuheiten von mehr als 500 Ausstellern aus 17 Ländern begutachten können.

In Essen dabei: Brabus. Der Edel-Tuner aus Bottrop, der vor allem für sein Smart- und Mercedes-Tuning bekannt ist, gehört mit einem Jahresumsatz von 350 Millionen Euro zu den Großen der Branche, 350 Beschäftigte arbeiten am deutschen Stammsitz, zahlreiche weitere in den Niederlassungen im Ausland, unter anderem in Moskau und Dubai. „85 Prozent unseres Geschäfts machen wir im Ausland“, sagt Marketingleiter Sven Gramm. In 106 Länder wird exportiert. Dabei sind den Wünschen der meist vermögenden Kundschaft keine Grenzen gesetzt. Brabus freut sich auf 2014, weil dann die neue S-Klasse von Mercedes voll verfügbar sein wird – und für alle Spielarten des Luxus-Tunings bereitsteht. „Das nächste Jahr wird sehr, sehr gut“, sagt Gramm voraus. Profi-Fußballer, die sich ihre Spielernummer auf die Kopfstützen sticken lassen. Ein Fahrzeug- Interieur, dessen Farbe sich an der Handtasche der Gattin orientiert. Eine Lederausstattung in Quietschgelb. Sven Gramm gerät ins Schwärmen, wenn er von den Wünschen der Brabus-Kunden erzählt.

Gerade hat die Werkstatt in Bottrop, die jedes Jahr rund 7500 Fahrzeuge veredelt, eine sechsrädrige G-Klasse von Mercedes in Arbeit. Das Gelände-Monster – Listenpreis: 400 000 Euro – wird von 544 auf 700 PS getrimmt. Es ist nicht die erste Brabus-Behandlung, die ein ausländischer Kunde für einen 6x6-Mercedes-SUV bestellt. Doch die extrateuren Exoten sind nur ein (besonders lukrativer) Teil des Brabus-Geschäfts. Den Geschmack des etwas weniger zahlungskräftigen Publikums trifft der Tuner mit etwa 10 000 veredelten Smarts, die die Daimler-Kleinwagen-Sparte pro Jahr verkauft – darunter auch die elektrische Version.

Vom deutschen Tuning-Understatement weiß auch Christoph Peine von der Volkswagen R GmbH zu berichten. Im Riesenreich des Zwölf-Marken-Konzerns ist die R-Sparte für das kleine, feine Hersteller-Tuning von VW-Modellen zuständig – insbesondere des Golf, einer Ikone der Tuning-Szene. „Die Nachfrage nach individualisierten Fahrzeugen nimmt stetig zu“, sagt Peine. 32 000 Autos der R- Klasse verkauft die Sparte im Jahr – zum Beispiel den 300 PS starken Golf. Hinzu kommen Ausstattungspakete, mit denen man einen braven Serien-Polo oder -Golf wie ein Rennauto aussehen lassen kann – ohne, dass individuell am Motor geschraubt wurde. „Technik lassen wir Technik sein“, sagt Peine. Kunden, die sich für die „sportliche Speerspitze“ der VW-Modelle entscheiden, wollten ohnehin kein Krawall-Image. Peine: „Man muss nicht immer 200 PS unter der Haube haben, um geil auszusehen.“

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