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AUTOINDUSTRIE IN DER KRISE: Es läuft nicht mehr rund

Finanzkrise, Käuferstreik und Klimadebatte legen Autohersteller rund um den Globus lahm Jetzt droht die Weltrezession – der Markt steht vor gewaltigen Veränderungen. Wer sind die Gewinner und Verlierer von morgen?

INDIEN

Die Krise hat Indiens Automarkt überraschend hart erwischt. Die Verkäufe brachen im Oktober um etwa acht Prozent ein, obgleich Indien das Hindu-Weihnachtsfest Diwali feierte und das Geschäft normalerweise brummt. Als erster musste Tata Motors die Produktion drosseln und Werke tageweise schließen. Andere Hersteller wollen folgen und Arbeiter in Zwangsurlaub schicken. Dabei bescherte Indien mit seinen 1,1 Milliarden Einwohnern der Autobranche bisher Zuwächse von zwölf Prozent. Nun wird für 2009 maximal mit der Hälfte gerechnet. Verschont von der Flaute blieben bisher Luxusmarken – die Reichen kratzt die Krise nicht.

Erst in den 90er Jahren hatte sich der Subkontinent geöffnet. Heute beherrschen die Weltkonzerne die Straßen, die vielfach über Joint Ventures oder Lizenzvergabe in Indien produzieren. Marktführer ist mit fast 50 Prozent Maruti-Suzuki, das zum japanischen Suzuki-Konzern gehört. An zweiter Stelle folgt der koreanische Hyundai-Konzern mit 18 Prozent.

Indiens heimische Autoindustrie wurde lange belächelt. Das änderte sich erst jüngst. Vor allem der Vorzeige-Unternehmer Ratan Tata ist der Stolz der Nation. Er ist der größte indische Hersteller und der erste, der die Weltkonzerne mit Eigenbauten herausforderte. Lange produzierte er vor allem Lastwagen. 1998 drängte er dann mit den Kleinwagen Indica und später mit dem Indigo auf den Markt.

Der Westen schreckte auf, als der Inder im Januar 2008 das Billigauto Nano vorstellte. Der simple Flitzer zielt auf das Massengeschäft mit den Ärmeren. Im März kaufte Tata dann für 2,3 Milliarden Dollar Jaguar und Land Rover von Ford. „Das Geschäft könnte nun zum Mühlstein um den Hals von Tata Motors werden“, warnte eine Zeitung. Standard & Poor’s hat das Kreditrating für Tata runtergestuft. Als zweitgrößter heimischer Hersteller gilt Mahindra & Mahindra. Das Unternehmen baut vor allem Busse und Traktoren, aber gemeinsam mit Renault auch Autos. Ein anderer traditionsreicher Autobauer ist der 1942 gegründete Konzern Hindustan Motors.

Der Wettbewerb in Indien dürfte sich massiv verschärfen, weil mehrere Weltkonzerne auf den Markt drängen. So bleibt Indien trotz Krise einer der wenigen großen Wachstumsmärkte. Für Tata Motors, die als Vorreiter einer eigenständigen indischen Industrie gelten, wird es enger. Christine Möllhoff

USA

Die Not leidenden US-Autohersteller kämpfen härter denn je um ihr Überleben. General Motors und Ford brauchen dringend Bargeld, um ihre bereits stark zurückgefahrene Produktion aufrechtzuerhalten. Bei Chrysler sieht die Lage nicht besser aus. Die Chefs der drei Unternehmen waren am Donnerstag mit Vertretern der Zulieferer nach Washington gereist, um eine Ausweitung der Staatskredite zu beantragen.

Der designierte Präsident Barack Obama hatte sich im Wahlkampf ausdrücklich für die Rettung der Hersteller ausgesprochen. Er zieht jedoch erst am 21. Januar ins Weiße Haus ein. So lange können die Unternehmen nicht warten. GM nähere sich im vierten Quartal dem Liquiditätsminimum, das für die Weiterführung des Betriebs notwendig sei, hieß es in einer Mitteilung. GM und Ford haben im dritten Quartal insgesamt 15,5 Milliarden Dollar verbraucht. Rund 50 Milliarden Dollar bräuchten die drei Hersteller vor Jahresschluss, um zahlungsfähig zu bleiben, sagen Experten.

GM meldete für das dritte Jahresquartal 2,8 Milliarden Dollar Verlust, und bei Ford entstand ein operativer Verlust von drei Milliarden Dollar. Wie seit drei Jahrzehnten nicht mehr bricht den Unternehmen der Absatz weg. GM verkaufte im Oktober 47 Prozent weniger Autos als voriges Jahr und bei Ford schmolz der Absatz um 33 Prozent. Jeder zehnte Arbeitsplatz hängt direkt oder indirekt von der Autoindustrie ab. Wenn nur einer der „Big Three“ pleitegehe, würde die gesamte Branche mitgerissen, warnten die Autobosse bei dem Treffen am Donnerstag.

GM und Ford kündigten weitere Einsparungen und Stellenstreichungen an. Die Verhandlungen der vergangenen Monate mit Chrysler zwecks eines Zusammenschlusses seien beendet, deutete GMs Vorstandschef Rick Wagoner an. Ein Zukauf habe momentan keine Priorität. GM wolle sich stattdessen völlig auf seine Finanzlage konzentrieren, sagte er.

Experten sagen, die Lage auf dem US-Automarkt werde 2009 noch schlimmer. Auch die dort tätigen Ausländer stellen sich auf eine Durststrecke ein: Wenn Banken und Finanzierungsgesellschaften keine Kredite vergeben, sind die japanischen und deutschen Hersteller genauso betroffen. Die Absatzkrise hat inzwischen auch den Autohandel erfasst. Die Beratungsfirma Gran Thornton rechnet damit, dass fast einer von fünf Händlern in diesem Herbst sein Geschäft aufgeben muss. Walter Pfaeffle

CHINA/JAPAN/KOREA

Eine positive Nachricht für die chinesische Autoindustrie kommt aus Algerien. 700 Fahrzeuge hat der chinesische Fahrzeughersteller mit dem schönen Namen „Great Wall“ Ende Oktober nach Nordafrika verkauft, darunter 250 Stück der Marke „Gwperi“. Dieser Kleinwagen besitzt erstaunliche Ähnlichkeiten mit dem Fiat Panda und kommt zumindest in Nordafrika gut an. Great-Wall-Manager Zheng Guoqing setzt daher seine Hoffnungen auf den afrikanischen Kontinent, denn ansonsten sieht die Zukunft für seine Firma nicht so gut aus. „Die Finanzkrise ist ein Desaster für die globale Automobilindustrie.“

Auch Chinas Hersteller spüren die Auswirkungen. Laut einem Bericht der „South China Morning Post“ gibt es auch Entlassungen. So soll die Firma Chery Automobile in der Provinz Anhui bis zu 5000 Menschen freigestellt haben. Im August und September sind erstmals seit drei Jahren die Autoverkäufe in China gesunken. Die China International Capital Group prophezeit für 2009 nur noch ein Wachstum der Autoverkäufe von 6,1 Prozent nach 9,3 Prozent in diesem Jahr. Zwar sind die chinesischen Hersteller nicht auf den schrumpfenden nordamerikanischen und europäischen Märkten vertreten. Das ist jetzt ein Vorteil.

Doch auch in China wird es schwerer. Das Institut CSM-Worldwide prophezeit der chinesischen Automobilbranche, die in ihrer Heimat zurzeit rund 25 Prozent Marktanteil besitzt, Übernahmen und Pleiten. Zu groß sei gegenwärtig die Konkurrenz im unteren Marktsegment, in dem sich fast alle chinesischen Hersteller tummeln. Insgesamt aber besitzt der Markt weiterhin großes Wachstumspotenzial, nur sechs von 100 Erwachsenen in China besitzen heute ein Auto. In den USA, dem weltgrößten Markt, sind es 90.

Weil sie in den USA stark präsent sind, trifft die Krise Japaner und Koreaner heftiger als die Chinesen. Toyotas Verkäufe in den USA fielen zuletzt um zwölf Prozent, Hyundais sogar um 31 Prozent. Suzuki macht zudem Indien zu schaffen. Zu den sinkenden Verkäufen kommen steigende Preise für Rohstoffe. Und nicht zuletzt ein gestiegener Yen, der die Exportmargen drückt. Honda und Toyota mussten inzwischen ihre Gewinnprognose nach unten korrigieren. „Die Märkte schrumpfen und die japanischen Autohersteller bekommen das zu spüren“, sagt Hirofumi Yokoi von CSM-Worldwide in Tokio. Er glaubt, dass sich an der kritischen Situation bis 2010 nichts ändert. Aber es werde mit China, Indien und Russland auch Märkte geben, die weiter wachsen.

Die Japaner sieht Yokoi gut gerüstet. „Es ist genügend Wettbewerbsfähigkeit vorhanden“, sagt der Automarkt-Analyst, „sie sind in einer besseren Position als die europäischen, vor allem aber als die US-amerikanischen Hersteller.“ Japanische Automarken hätten eine guten Ruf, hohe Qualität und Effizienz und seien eher im kleineren Segment zu Hause, das jetzt mehr nachgefragt wird. „Die japanischen Hersteller sind sehr flexibel und fähig, auf unvorhersehbare Ereignisse zu reagieren.“ So habe Honda die Produktion im US-Bundesstaat Ohio wieder mehr auf die Kompaktwagenklasse umgestellt. „Die Automobilhersteller müssen jetzt die Kosten so weit wie möglich reduzieren“, sagt Hirofumi Yokoi, und den japanischen Herstellern traut er auch das zu. Diese Flexibilität könnte sich für die Japaner im kommenden Jahr auszahlen. Benedikt Voigt

An Szenarien für den Untergang mangelt es in der Automobilindustrie nicht. Szenario eins: Finanzkrise, Käuferstreik und Weltrezession führen zur Pleite von General Motors, Ford oder Chrysler. Dabei werden Zulieferfirmen und tausende Arbeitsplätze mit in den Abgrund gerissen. Szenario zwei: die bislang lebhafte Nachfrage nach Autos in China, Russland und Indien sinkt und füllt die Absatzlücken in Europa und den USA nicht mehr – der Weltmarkt kollabiert. Szenario drei: drakonische Klimavorschriften und CO2-Strafen, steigende Rohstoffpreise und der globale Abschwung legen auch erfolgreiche deutsche Konzerne lahm, die jüngst eingelegten Zwangspausen reichen nicht aus, Werke müssen geschlossen, Stellen abgebaut oder ins Ausland verlagert werden.

DEUTSCHLAND/EUROPA

Man muss nicht schwarz malen, um der Branche, von der in Deutschland jeder sechste Arbeitsplatz abhängt, finstere Monate vorauszusagen. „Die Industrie steht 2009 vor einem Schicksalsjahr“, sagt Willi Diez, Leiter des Instituts für Automobilwirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen. „Zum ersten Mal seit fünf Jahren müssen wir mit einem weltweiten Absatzrückgang rechnen.“ Diez erwartet ein Minus von rund sechs Prozent auf 52,2 Millionen Einheiten. Die exportstarken deutschen Produzenten – 2007 wurden 55 Prozent aller in Deutschland gebauten Autos ins Ausland verkauft – trifft dies besonders hart. Im Oktober brachen die Ausfuhren schon um zehn Prozent ein, der VDA kürzte seine Jahresprognose. Vor allem der zentrale US-Markt, auf den die deutschen Hersteller angewiesen sind, liegt am Boden. Daimler und BMW meldete dort in dieser Woche herbe Absatzverluste. Auch Toyota korrigierte wegen des schwachen USA-Geschäfts seine Gewinnerwartungen radikal. Ein Alarmzeichen. „Der US-Markt ist tot“, heißt es.

Bis 2009 erwarten Experten weltweit sinkende Produktions- und Absatzzahlen. Mit Folgen für Deutschland: „Dies wird in Westeuropa den Strukturwandel in Richtung Osteuropa einleiten“, sagt Ferdinand Dudenhöffer vom CAR- Forschungsinstitut der Universität Duisburg. Komme es zu keinen Produktionskürzungen, würden sich die Überkapazitäten in Westeuropa von heute 20 auf 40 Prozent im Jahr 2012 auftürmen, schätzt Experte Diez. „Damit kann die Autoindustrie nicht überleben. Es wird zu Werksschließungen kommen.“

Die Krise eröffnet den deutschen Anbietern aber auch Chancen. „Sie werden nach der Krise einen größeren Anteil am Weltmarkt haben – vorausgesetzt, sie reagieren jetzt schnell und kooperieren stärker als bisher“, sagt Ralf Kalmbach, Leiter Automotive bei Roland Berger. Zwar hätten viele die Klimadebatte zu lange ignoriert und sich darauf verlassen, „dass die Diesel-Technologie überlegen ist und sie in Sachen CO2 nichts mehr tun müssen“. Doch die veränderte Nachfrage könne helfen. „Deutsche Qualität und Ingenieursleistung zu vertretbaren Kosten und mit effizienter Antriebstechnik, was Verbrauch und CO2 angeht: Das ist ein Angebot, das in den USA und auf anderen Märkten attraktiv sein kann“, sagt Kalmbach. Aber das Angebot ist noch zu klein, Milliardeninvestitionen sind mitten im Abschwung nötig. Die Deutschen seien da „ziemlich spät dran“, sagt der Berater. Ein Grund: ihre Technikverliebtheit. Statt etwa beim Elektroantrieb preisgünstige Standards für die Industrie zu erarbeiten, sucht jeder nach eigenen Lösungen. Die Abgrenzung funktioniere aber nicht, wenn das Geld fehle, sagt Kalmbach. Vor allem Daimler und BMW müssten nach Meinung vieler Experten zusammenrücken. „Ihre kleinen Autos – Smart, Mini, 1er BMW – sind zu teuer“, sagt DZ-Bank-Analyst Michael Punzet. VW sei mit seinen Modellen in allen Klassen besser aufgestellt. Die Verbraucher wollten alltagstaugliche Autos mit einer vernünftigen Motorisierung, sagt Punzet. „Der Trend ist klar: Größer, breiter, schneller war gestern.“ Henrik Mortsiefer

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