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Opel fehlt die Orientierung.

© Viola Schmieskors

Autoindustrie: Opel ohne Navi

In Bochum geht 2016 eine Tradition zu Ende. Es könnte eine Warnung für andere Standorte sein. Wohin steuern Opel und die deutsche Autoindustrie?

Lange hatte es sich angedeutet, nun ist es beschlossen und verkündet: Von 2016 an werden in Bochum keine Autos mehr gebaut. Eine Jahrzehnte währende Tradition im ohnehin gebeutelten Ruhrgebiet geht zu Ende, ein schwerer Schlag auch für Deutschlands Autoindustrie.

Was bedeutet die Werkschließung für die Region?

Als der Opel-Betriebsrat kürzlich Solidaritätsadressen für den erneuten Überlebenskampf des Bochumer Werkes brauchte, ließ sich Herbert Grönemeyer nicht lange bitten. „Opel gehört zu Bochum und darf nicht dicht gemacht werden“, sagte der Sänger und versprach, sobald wie möglich seine Heimatstadt zu besuchen. Sein Bruder Dietrich, der renommierte Mediziner mit seinem über die Grenzen der Stadt geschätzten Institut an der Universität, widersprach dem Musiker der Familie. „Wir sollten uns nicht so sehr um die Vergangenheit, statt dessen mehr um die Zukunft des Reviers kümmern“, rief er aus und warb dafür, möglichst viele Opelaner für Zukunftsberufe zum Beispiel in der Medizintechnik umzuschulen.

Früher hätten solche Sätze reflexartig zu heftigen Protesten geführt. Inzwischen hat sich der Wind gedreht, die seit mehr als einem Jahrzehnt geführte Schlacht um das Opel-Werk im Süden der Stadt hat viele ermüdet, das Sterben auf Raten hat Spuren hinterlassen und selbst bei den Betroffenen die Einsicht reifen lassen, dass das Ende unvermeidlich ist. Während man dies in Bochum noch nicht allzu laut sagen darf, schlägt die Landesregierung bei diesem Thema neue Töne an. „Autos brauchen Absatz“, ließ sich etwa der neue Wirtschaftsminister Garrelt Duin zitieren, in seinem Haus denken Experten längst über die Zeit nach Opel nach. Natürlich ist man in Düsseldorf böse, weil der Konzern auch jetzt wieder alle Vorurteile über schlechte amerikanische Manieren im Wirtschaftsgeschehen zu bestätigen scheint, aber im Kern weiß man, dass die Erfolgsgeschichte von Opel in Bochum nach 40 Jahren nicht mehr weiter geschrieben wird. „Wir bestehen darauf, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen gibt“, ruft Ministerpräsidentin Kraft den US-Managern und ihren schwachen deutschen Statthaltern zu, richtige Empörung klingt freilich anders.

Statt dessen setzt man darauf, dass General Motors zwei Dinge einhält. Erstens verlangt man, dass die angedeutete künftige Komponentenfertigung in einem Teil der Werkhallen auch wirklich realisiert wird. „Die müssen das konkretisieren“, verlangt Garrelt Duin. Zweitens nimmt man den Konzern in die Pflicht, die 450 Millionen Euro an Rückstellungen auch wirklich in der Region zu investieren, um möglichst Neues auf dem alten Gelände entstehen zu lassen. Obwohl Düsseldorf weiß, dass die Bochumer – abgesehen von Dietrich Grönemeyer – noch nicht in Alternativen denken, verweist man in Düsseldorf auf Duisburg, wo die Stadtväter erst kürzlich das Audi-Vertriebszentrum für den Hafen gegen starke internationale Konkurrenz gewinnen konnten. „Logistik ist heute mehr, als nur LKW hin und her zu schicken“, sagt einer, der in Düsseldorf über solche Konzepte nachdenkt.

Dietrich Grönemeyer erzählt an solchen Punkten eine andere Geschichte. Natürlich ist die Universität mit mehr als 6500 Beschäftigten der größte Arbeitgeber in der Stadt, der Aufbau wird sich fortsetzen. Daneben wirbt er seit langem dafür, noch mehr auf Medizintechnik und Pflege zu setzen. Dass es geht, hat er längst bewiesen. Nach anfängliche Skepsis zählen seine Beiträge zur minimalinvasiven Medizin inzwischen zur Weltspitze, er hat viele Arbeitsplätze geschaffen.

Wie händeln Opels Konkurrenten die Krise?

Opel fehlt die Orientierung.
Opel fehlt die Orientierung.

© Viola Schmieskors

Welche Folgen ergeben sich für die übrigen Standorte?

Opel-Interimschef Thomas Sedran verkauft die drohende Schließung als Zukunftssicherung der übrigen Produktionswerke in Eisenach, Kaiserslautern und am Stammsitz in Rüsselsheim. „In unseren Planungen haben wir genügend Arbeit für die restlichen Werke“, sagte Sedran am Montag. Mit rund 20 000 Beschäftigten sei Deutschland der wichtigste Markt der Marke. Das bleibe auch in Zukunft so. Die bisher bis 2014 geltende Standortgarantie werde voraussichtlich um zwei Jahre verlängert. Welchen Wert dieses Bekenntnis hat, ist fraglich. Zum einen wird derzeit über einen Deutschland-Plan verhandelt, von dem jedoch niemand weiß, wie er aussieht und welche Konsequenzen er für den Standort haben wird. Zum zweiten wird Sedran die Ergebnisse womöglich gar nicht mehr selbst verkünden: Seit dem überraschenden Ausscheiden seines Vorgängers Karl-Friedrich Stracke im Sommer gilt Sedran nur als eine Art Lückenfüller.

GM sucht für seine Europa-Tochter einen Auto-Manager mit internationalem Format und weltweiter Erfahrung. Anfang November tauchte der Name des ehemaligen VW-China-Chefs, Karl-Thomas Neumann, auf. Bis heute ist jedoch nicht bekannt, ob Volkswagen den Manager ohne eine längere Karenzzeit zum Rivalen wechseln lassen wird. Wann der US-Konzern die Spitzenposition neu besetzen kann, ist derzeit unklar.

Auf den Neuen wartet viel Arbeit. Der Gesamtbetriebsrat sieht die Ursache für seit Jahren sinkende Absatzzahlen und Marktanteile von Opel und seiner britischen Schwestermarke Vauxhall nämlich keineswegs nur im wirtschaftlichen Umfeld, wie etwa der europäischen Schuldenkrise. Die Probleme seien auch hausgemacht. Sie seien das „Ergebnis von jahrzehntelangen Managementfehlern und mangelnder Kontinuität der Unternehmenspolitik“, teilte Betriebsratschef Wolfgang Schäfer-Klug am Montag mit. Bis heute warte man auf eine Aussage des Konzerns, welche Modelle der GM-Marke Chevrolet künftig in europäischen, also Opel-Werken, gefertigt werden sollen. Bislang laufen die für Europa bestimmten Autos der GM-Billigmarke in Asien vom Band. Auch FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle übte Kritik am Management. GM diskriminiere Opel, weil das Unternehmen seine Fahrzeuge in Wachstumsmärkten wie China oder Lateinamerika nicht oder nur eingeschränkt verkaufen dürfe – um anderen Konzernmarken nicht zu viel Konkurrenz zu machen.

Wie gehen Opels Konkurrenten mit der Krise um?

Opel ist mit der Absatzkrise nicht allein. Vor allem Massenhersteller wie Fiat, Peugeot-Citroen und Renault bekommen ihre kleinen, kompakten Autos im von der Schuldenkrise besonders gebeutelten Südeuropa kaum noch verkauft. Die Absatzzahlen sinken im hohen zweistelligen Bereich. Peugeot-Citroen sucht die Nähe zu GM/Opel, um die Milliardenverluste durch engere Zusammenarbeit in den Griff zu bekommen. Fiat rettet die erfolgreiche US-Tochter Chrysler vor Schlimmerem. Bei Ford verhält es sich ähnlich wie bei GM: Vor allem das Heimatgeschäft macht die roten Zahlen in Europa wett.

Anders sieht es derzeit noch bei Volkswagen – mit der Premiummarke Audi – sowie bei BMW und Daimler aus. Nach Angaben des Branchenverbands VDA macht zwar auch ihnen die Krise langsam zu schaffen. Doch in den USA etwa hätten sie ihren Marktanteil in den vergangenen sechs Jahren kontinuierlich steigern können. Auch 2012 werde der US-Markt wachsen – um zwölf Prozent auf 14,3 Millionen Neuzulassungen. Zum Vergleich: In Deutschland ist der Absatz leicht rückläufig von 3,17 Millionen Fahrzeugen im vergangenen auf 3,10 Millionen in 2012. In China werden 13,2 Millionen Neuwagen zugelassen – acht Prozent mehr als im Vorjahr. 2013 dürfte sich das Wachstum dort etwas verlangsamen. Der Verband erwartet, dass der Weltmarkt für neue Autos 2013 die 70-Millionen-Marke erreicht – nach 68 Millionen in diesem Jahr.

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