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Autos

© dpa

Autoindustrie: Zu viele Fabriken

Krisen gab es in der Autoindustrie schon immer, doch diesmal ist vieles anders. In Europa gibt es Überkapazitäten von rund 20 Prozent.

Berlin - „Was in der jüngsten Zeit passiert ist, geht an die Substanz eines ganzen Industriezweigs. Die Freude am Autofahren ist hin.“ Mit diesen Worten beschrieb Porsche-Chef Ernst Fuhrmann 1974 die Lage der deutschen Autoindustrie. Der Ölpreisschock saß der Branche in den Knochen, die Neuzulassungen brachen in dem Jahr um 338 000 Fahrzeuge oder 16,6 Prozent ein. Krisen gibt es immer wieder. Sind die aktuellen Hilferufe aus der Industrie und die Hoffnung auf staatlichen Beistand überzogen? Von „reinen Mitnahmeeffekten“ spricht Helmut Becker, der unter anderem 20 Jahre als Chefvolkswirt für BMW gearbeitet hat. Er vertraut auf die reinigende Kraft von Krisen. „Je tiefer wir fallen, desto größer wird die Erholung.“ Doch heute gibt es strukturelle Unterschiede zu früheren Abschwüngen.

FINANZKRISE

Da ist vor allem die sehr viel engere Vernetzung der Autohersteller mit der Finanzwirtschaft. Dreiviertel aller Neuwagen werden heute geleast oder finanziert – über konzerneigene Autobanken oder andere Geldhäuser. Mit ihren Finanztöchtern leiden die Autobauer wie alle Banken unter der Vertrauenskrise am Geldmarkt. Die Refinanzierung, also die Beschaffung von Fremdkapital, ist fast unmöglich geworden, weil andere Institute auch den Autobanken kein Geld mehr leihen. VW hat deshalb seine Bank unter den Rettungsschirm der Bundesregierung gestellt, um in den Genuss staatlicher Garantien zu kommen, etwa bei der Ausgabe von Anleihen.

Andere Autobanken erhalten Unterstützung von „ihren“ Herstellern. In deren Bilanzen müssen die hohen Restwerte jener Leasingfahrzeuge abgeschrieben werden, für die in der Vergangenheit viel zu hohe Wiederverkaufswerte angesetzt wurden und die jetzt bei den Händlern auf Halde stehen. Ein Teufelskreis: Die Gebrauchten finden keine Käufer, die Neuwagen können nur zu schlechteren Leasing- oder Finanzierungskonditionen angeboten werden.

GLOBALISIERUNG

Heute werden Autos in Weltregionen verkauft und produziert, in denen vor 20 oder 30 Jahren kaum ein Absatzmarkt vermutet wurde. Doch Brasilien, Russland, Indien und China – die so genannten BRIC-Staaten – können die zweistelligen Wachstumsraten seit der Jahrtausendwende nicht beibehalten. Die Finanzkrise zeigt Wirkung. Die Autokonzerne haben diese neuen Märkte erschlossen – und leiden jetzt besonders darunter, dass sich die Wachstumshoffnungen dort nicht erfüllen. 2007 wurden 75 Prozent (5,7 Millionen) der in Deutschland produzierten Autos exportiert. Die Nachfrage aus dem Ausland überkompensierte in den vergangenen Jahren die Flaute auf dem Binnenmarkt. Die Ausfuhren sicherten das hohe Produktionsniveau der deutschen Autoindustrie ab, das sich seit der letzten Autokrise im Jahr 1993 verdoppelt hat. „In Westeuropa gibt es nach Angaben der Deutschen Bank aktuell Überkapazitäten von etwa 20 Prozent“, sagt Willi Diez, Leiter des Instituts für Automobilwirtschaft in Nürtingen. Komme es zu keinen Produktionskürzungen, sprich Werksschließungen, werde diese Quote in vier Jahren bis auf 40 Prozent steigen. Entfallen 2009 die Wachstumsimpulse aus den Schwellenländern und brechen die Neuzulassungen im Inland weiter so dramatisch ein, steht die Industrie vor einer Anpassungskrise.

„Einbrüche bei den Neuzulassungen von bis zu 60 Prozent in einem Monat waren in einem so großen Markt bisher unvorstellbar“, sagt Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg-Essen. Mit Massenentlassungen wie in den 80er oder 90er Jahren lässt sich die Krise aber nicht überwinden. Damals kämpften die deutschen Hersteller noch mit hohen Fertigungskosten. Für die Herstellung eines Kleinwagens benötigten die Deutschen 1993 noch zwei- bis dreimal so viele Stunden wie die Japaner. Heute liegt man hier auf internationalem Niveau.

ÖLPREIS UND KLIMAWANDEL

Aktuell schmerzt das Tanken nicht mehr annähernd so wie im Sommer, als das Fass Öl 140 Dollar kostete; inzwischen sind es 100 Dollar weniger. Doch die Verbraucher ahnen, dass Sprit wieder sehr viel teurer wird, wenn die Rezession zu Ende ist. Die Bedrohung für die Autoindustrie ist in ihrer Dimension gefährlicher geworden als frühere Preisschwankungen. Die Ölreserven gehen zur Neige. Die Erkenntnis, dass dies noch zu Lebzeiten heutiger Generationen passieren könnte, treibt Spekulanten auf den Rohstoffmarkt. Auch dieser Faktor wird den Ölpreis in ein oder zwei Jahren auf die alten Höchststände treiben. Die Hersteller von Verbrennungsmotoren stellt dies vor die Überlebensfrage. Mit einem autofreien Sonntag wie in den 70er Jahren wird das Problem nicht in den Griff zu bekommen sein.

Hinzu kommen die Folgen des Klimawandels und der darauf reagierenden Politik: gesetzlich vorgeschriebene CO2- Grenzwerte, empfindliche Strafzahlungen, steuerliche Belastungen für Dreckschleudern und Spritschlucker. Die Unsicherheit, wie teuer Autos und das Autofahren in Zukunft werden, halten die Verbraucher aber vom Kauf ab. „Diese Kombination hatten wir noch nie“, sagt Dudenhöffer. Kreditklemme, ganz ungewöhnliche Nachfrageeinbrüche und die gleichzeitige Notwendigkeit für zukunftssichernde Investitionen – diese Mischung könnte auch für europäische Autohersteller gefährlich werden. „Die Industrie muss sich neu erfinden“, sagt Fiat-Chef Sergio Marchionne. „Weitermachen wie bisher geht nicht, denn die aktuelle Lage lässt keinen Millimeter Spielraum.“

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