zum Hauptinhalt

Autokrise: General Motors geht heute in die Insolvenz

Schicksalstag für den Opel-Mutterkonzern General Motors: Als letzte Überlebensmöglichkeit meldet der einst weltgrößte Autohersteller heute Insolvenz an. Weltweit sollen mehr als 35.000 Stellen gestrichen werden.

Die Gnadenfrist ist abgelaufen: Bis zu diesem Pfingstmontag hatte US-Präsident Barack Obama dem Autobauer General Motors (GM) Zeit gelassen, um einen Sanierungsplan vorzulegen – oder dem Unternehmen bleibt nur der Weg in die Insolvenz. Dieser Fall ist nun eingetreten: Der Opel-Mutterkonzern hat heute noch vor Börsenöffnung (14 Uhr MESZ) Gläubigerschutz nach Kapitel 11 beantragt, die entsprechenden Unterlagen wurden bei einem Insolvenzgericht in New York eingereicht. Im Anschluss daran (etwa 18 Uhr MESZ) wird sich Obama in einer Rede zur Lage der heimischen Autoindustrie äußern. Seine Regierung sieht sich nun konfrontiert mit dem kompliziertesten Bankrott in der US-Wirtschaftsgeschichte.

Zuvor hatten die Gläubiger von GM den Weg für ein beschleunigtes Insolvenzverfahren frei gemacht. 54 Prozent der Inhaber von Firmenanleihen mit einem Wert von insgesamt 27 Milliarden Dollar hatten einem nachgebesserten Angebot zum Tausch der Schulden in Anteile am neuen GM zugestimmt. Die Regelung soll es dem Unternehmen ermöglichen, nur kurze Zeit unter Gläubigerschutz arbeiten. Das nachgebesserte Angebot sieht einen Zehn-Prozent-Anteil an einem umgebauten GM-Konzern vor, mit der Option, diesen später auf 25 Prozent aufzustocken.

Auch die Gewerkschaft UAW hatte am Freitag Einschnitten bei Löhnen und Sozialleistungen zugestimmt, die für GM jährliche Einsparungen von 1,3 Milliarden Dollar bedeuten. Dafür erhält die Gewerkschaft einen Anteil von 17,5 Prozent an GM. "Diese Vereinbarung gibt GM eine Chance zu überleben", sagte der UAW-Vorsitzende Ron Gettelfinger. Auch die Einigung mit Opel gilt als wichtige Voraussetzung für ein zügiges Verfahren.

Gewaltige Umstrukturierung

Dem einstigen Autoriesen steht unter Beteiligung der Washingtoner Regierung eine gewaltige Umstrukturierung ins Haus. Diese "Blitz-Insolvenz" soll innerhalb der nächsten 60 bis 90 Tage abgeschlossen sein. Dabei wird der marode Konzern, der seit Jahren Milliarden-Verluste einfährt, zunächst verstaatlicht und soll sich – geschützt vor dem Zugriff der Gläubiger – gesundschrumpfen. Wie das "Wall Street Journal" berichtet, soll Al Koch die Federführung bei der Neuordnung von GM innehaben.

In Zukunft wird der Staat bei GM das Sagen haben. Für die gewährten Staatshilfen von 50 Milliarden Dollar – 20 Milliarden davon wurden bereits bezahlt – bekommt die Regierung einen Anteil von 60 Prozent. Auch Kanada wird bei GM einsteigen: Das Land gewährt dem hochverschuldeten Unternehmen einen Kredit von 9,5 Milliarden Dollar und besitzt dafür dann einen Anteil von zwölf Prozent. Weitere Unterstützung plant das Weiße Haus nicht. "Das soll es dann gewesen sein", betonte ein enger Mitarbeiter von Obama.

Elf Werke sollen geschlossen werden

Staatshilfen allein reichen aber nicht aus, das Unternehmen selbst wird sich stark verändern. So soll der Konzern in einen "guten" und einen "schlechten Teil" aufgespalten werden. Marken wie Chevrolet und Cadillac, die als überlebensfähig gelten, sollen die Insolvenz rasch wieder verlassen, andere wie etwa Hummer, Saturn und die schwedische Tochter Saab dürften abgestoßen werden; Pontiac muss sterben. Auch viele Arbeitsplätze gehen verloren: Weltweit sollen mehr als 35.000 Stellen gestrichen werden, es dürften weniger als 200.000 Jobs übrig bleiben. Laut Regierung sollen elf Werke geschlossen und drei weitere nicht mehr genutzt werden.

Alle Hoffnungen ruhen dann auf dem "neuen GM". Dieses Unternehmen soll künftig schon ab zehn statt wie bislang 16 Millionen verkaufter Autos pro Jahr in die Gewinnzone fahren. Laut "Washington Post" geht das Finanzministerium darüber hinaus davon aus, dass es auch in der Lage sein wird, einen großen Betrag der insgesamt 50 Milliarden-Dollar-Hilfen bereits innerhalb der nächsten fünf Jahren zurückzuzahlen. Ein hehres Ziel, das nicht ganz ohne Risiken ist, wie manche Experten betonen. "Es ist eine große Unsicherheit, ob das Unternehmen gut laufen wird. Der potenziell größte Verlierer ist unglücklicherweise der Steuerzahler", sagte etwa der New Yorker Finanzwissenschaftler Edward Altmann.

GM mit seinen weltweit fast 250.000 Mitarbeitern hängt bereits am staatlichen Tropf, nachdem es durch eine verfehlte Modellpolitik ins Schlingern und in der Rezession vollends an den Rand des Abgrunds geraten war. Seit 2005 hat das Unternehmen 88 Milliarden Dollar Verlust gemacht, seit einem Jahr verbrennt der Konzern täglich 68 Millionen Dollar. Im jüngsten Quartal belief sich diese Summe sogar auf 111 Millionen Dollar pro Tag. Washington wie Detroit hoffen nun auf das Insolvenzverfahren, das aber wohl nicht so schnell gehen wird wie bei Chrysler, der seit einem Monat in der Insolvenz steckt. Dafür ist GM größer und international stärker verflochten als der Konkurrent.

Ex-Autopräsident Gottschalk: GM kann wieder stark werden

Nach der Insolvenz haben GM und Chrysler nach Einschätzung des langjährigen Präsidenten des Verbandes der Autoindustrie (VDA), Bernd Gottschalk, durchaus gute Perspektiven. "Neue, schlanke und dezentraler organisierte, global tätige US-Firmen können sehr wohl eines Tages wieder zu neuer Stärke kommen", sagte der frühere Verbandschef dem Tagesspiegel.

Er habe auch "nicht den geringsten Zweifel", dass die deutschen Autohersteller gestärkt aus der Krise kommen werden. Für das Vorgehen der Politik bei Opel und GM äußerte Gottschalk Verständnis. "Vieles geschieht derzeit, was vor kurzem noch undenkbar war", sagte er. "Dafür trägt zuallererst die Finanzwelt die Verantwortung." Beim Zukunftsthema Elektroauto sehe er die heimische Industrie vorn. "Niemand wird später einmal sagen können, die Deutschen hätten die Elektromobilität verschlafen."

Die Abwrackprämie bewertet der frühere Autopräsident dagegen kritisch. Zwar könnte dadurch der Pkw-Absatz in Deutschland in diesem Jahr um 800.000 Fahrzeuge steigen. Doch "sie hat vor allem Kleinstwagen begünstigt, und davon hat die Inlandsproduktion wenig profitiert. Die Marktspaltung trifft zudem das wichtige Premium-Segment", sagte Gottschalk dem Tagesspiegel. (Tsp/kg/rtr/dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false