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Wirtschaft: Automobilindustrie: Die EU will das Kartell der Händler knacken

Es geht um sehr viel Geld, wenn am Dienstag bei einem Hearing im Europäischen Parlament die Interessen von Automobilindustrie, Händlern und Verbrauchern aufeinanderstoßen. Rund 430 Milliarden Euro (fast 860 Milliarden Mark) setzt die europäische Automobilindustrie jedes Jahr um.

Es geht um sehr viel Geld, wenn am Dienstag bei einem Hearing im Europäischen Parlament die Interessen von Automobilindustrie, Händlern und Verbrauchern aufeinanderstoßen. Rund 430 Milliarden Euro (fast 860 Milliarden Mark) setzt die europäische Automobilindustrie jedes Jahr um. Die Art und Weise wie sie das tut, wie sie die Millionen von Autos an den Mann oder die Frau bringt, steht jetzt auf dem Prüftstein. Denn bisher hat die sogenannte Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) Autohersteller und Autohandel in Europa in entscheidenden Punkten von den Regeln der Marktwirtschaft und den Geboten des Wettbewerbs befreit.

Bisher ist der Automobilmarkt in Europa nämlich keineswegs frei, sondern streng geregelt: Die Hersteller verteilen wie einst die Landesherren ihre Gnade die Lizenzen zum Autoverkaufen an eine eng begrenzte Zahl von Händlern. Diese dürfen dann keine andere Marke ins Schaufenster stellen und müssen für Garantieleistungen und Kundendienst ihrer Hausmarke sorgen. Im Gegenzug können sie aber sicher sein, dass sie in dem genau abgegrenzten Gebiet uneingeschränkt die Platzhirsche sind, die keinen Konkurrenten der gleichen Marke fürchten müssen. "Ein legalisiertes Kartell", kritisieren die einen. "Eine notwendige Ausnahmeregelung zum Nutzen der Verbraucher", meinen die anderen, die auf die Qualität der Serviceleistung pochen: "Was macht jemand, der sein Auto im Supermarkt kauft, wenn es gewartet werden muss oder wenn es kaputt ist?"

"Von einem freien Binnenmarkt kann in dieser Branche ja nicht die Rede sein", klagt EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti. Immer mehr geraten gerade kleine Händler unter den massiven Druck der Autokonzerne, die ihnen Verkaufszahlen vorschreiben und bei Nichterfüllung der Normen den Vertrag kündigen. Nur zähneknirschend und auf sieben Jahre begrenzt haben die Brüsseler Wächter des fairen Wettbewerbs deshalb 1995 die Gruppenfreistellungsverordnung für Automobile verlängert. Die gleichzeitig vorgenommenen Korrekturen haben sich in der Praxis inzwischen jedoch kaum ausgewirkt. Ende September 2002 läuft die damals beschlossene Gnadenfrist für die GVO aus. In Brüssel macht man sich deshalb jetzt intensive Gedanken, was danach kommt.

Still und leise eine Verlängerung der bestehenden Regelung? "Angesichts der Schwächen des gegenwärtigen Systems wohl kaum möglich", meint der zuständige Berichterstatter im Europaparlament, der CDU-Abgeordnete Christoph Konrad. Die völlige Abschaffung der GVO? Auch unwahrscheinlich, weil ein radikaler Wandel die wirtschaftliche Existenz Tausender Autohändler gefährden würde. Der Verband der europäischen Automobilhändler CECRA fürchtet bei einer radikalen Abschaffung der GVO um 50 Prozent der rund 120 000 Autohändler und der mehr als 15 Millionen Arbeitplätze in der EU. Das mag übertrieben und zweckpessimistisch sein. Tatsächlich aber ist eine komplette Streichung der Gruppenfreistellung derzeit weder vernünftig noch politisch durchsetzbar. Weit wahrscheinlicher ist eine Zwischenlösung zwischen dem "status quo"und der kompletten Streichung der GVO. Die EU-Kommission will, so sind sich alle Beobachter einig, die antiquierte Gruppenfreistellungsordnung zurückschneiden. In ihrer gegenwärtigen Form sind ihre Tage zweifellos gezählt. "Der Wind hat sich gedreht", stellt in Brüssel Alec Burnside fest, ein auf das europäische Wettbewerbsrecht spezialisierter Anwalt einer internationalen Rechtsanwaltkanzlei.

tog

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