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© ddp

Bahn: "Auf Kante genäht"

Züge haben kaum Sicherheitsreserven, bemängelt die Bahn-Aufsicht – und fordert ein Umdenken.

Berlin - Moderne Züge in Deutschland haben nach Einschätzung des Eisenbahn-Bundesamtes (EBA) keine üppigen Sicherheitsreserven. Die Bahnen seien „konstruktiv auf Kante genäht“, sagte EBA-Präsident Gerald Hörster bei einer Anhörung des Verkehrsausschusses zur Bahn-Sicherheit am Mittwoch in Berlin. Es gebe „relativ wenig Puffer“, das sei „für den langfristigen Einsatz problematisch“. Die Hersteller erklärten dagegen, man halte sich an die gültigen Sicherheitsnormen und an die Wünsche der Besteller. „Damit ist dann auch die Sicherheit nach dem Stand der Technik gewährleistet“, sagte Klaus Baur, Präsident beim Verband der Bahnindustrie.

EBA-Chef Hörster hält die Konstruktionspraxis für schwierig, weil nicht absehbar sei, wie und wo ein Zug in der Zukunft eingesetzt werde. „Ein Betreiber, etwa die Bahn, kann heute noch nicht absehen, wie er Züge in 20 oder 30 Jahren einsetzen wird und welche Qualität die Infrastruktur dann hat.“ Ändere sich beispielsweise der Zustand der Gleise oder die Bestuhlung der Züge – und mithin deren Gewicht – habe das möglicherweise Einfluss auf die Sicherheit. Die aktuellen Probleme bei der Zuverlässigkeit der Züge seien eine Folge dieser Politik.

Bei einigen Teilen liegt die Sicherheitsreserve laut Hörster nur ein Prozent über der Norm. „Im Zweifelsfall bestimmt ein Einzelteil die Zuverlässigkeit des Gesamtsystems.“ Er appellierte an Hersteller und Betreiber, bei zukünftigen Fahrzeugen „mehr auf Nachhaltigkeit zu setzen“. Das EBA stärker in Wartung und Instandhaltung einzubeziehen, sei bei mehr als 400 Betreibern hierzulande aber „kaum zu gewährleisten“. Die Behörde, die Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) unterstellt ist, verfügt über 1200 Beschäftigte.

Die Opposition im Bundestag hatte die Anhörung verlangt, um zu erfahren, wie tiefgreifend die Sicherheitsprobleme bei der Eisenbahn sind. Die S-Bahn Berlin musste 2009 zeitweise Hunderte Züge aus dem Verkehr ziehen, weil sie einerseits bei der Wartung geschlampt hatte und sich andererseits Räder und Achsen als nicht dauerhaft stabil erwiesen hatten. Auch Achsen an ICE- und ICE-T-Zügen halten nicht so lange wie erwartet – deshalb kommt es zu zahlreichen Verspätungen und Ausfällen, weil die Bahn die Fahrzeuge häufiger kontrollieren muss. Bis 2013 soll es für die mehr als 130 betroffenen Hochgeschwindigkeitszüge völlig neu konstruierte Achsen geben.

Ein Gutachten des Material-Wissenschaftlers Vatroslav Grubisic stützt die Argumentation des EBA. Grubisic war früher Vizechef eines Fraunhofer-Instituts, das die Haltbarkeit von Werkstoffen erforscht. Ihm zufolge zufolge könnte die Welle eines ICE 3 etwa fünfmal länger halten als derzeit, läge die Wanddicke des Stahls nur um neun Prozent höher.

Die Bahnindustrie hält die Argumentation für ungerecht. In den gültigen Normen gebe es genügend Puffer. Nicht nur die Hersteller seien entscheidend für die Zuverlässigkeit der Züge, auch der Zustand der Infrastruktur, die Wartung sowie die Aufsicht. Probleme bei nur einem Glied dieser Kette störten das Zusammenspiel, erklärte Baur unter Anspielung auf die Wartungsmängel bei der Berliner S-Bahn. Sie repariert und kontrolliert die Züge, Bombardier bekomme hier keinen Einblick, bemängelte Baur. Indirekt gab er dem EBA indes recht. Ein Hochgeschwindigkeitszug sei auf kurvenreichen Strecken größere Belastungen ausgesetzt als auf geraden Schnellstrecken.

Minister Ramsauer hat bereits angekündigt, die Eisenbahn-Gesetze so zu ändern, dass in Zukunft die Hersteller auf Dauer eine Verantwortung für ihre Produkte haben – also auch über die Zeit der Gewährleistung hinaus. Eckpunkte des Gesetzes soll es in der zweiten Jahreshälfte geben, kündigte sein Parlamentarischer Staatssekretär Enak Ferlemann an.

Jens Schwarz, Vizechef des Bahn- Konzernbetriebsrats, sieht Probleme bei der Wartung durch das Unternehmen. Seit  1994 sei jeder zweite Arbeitsplatz in den Werkstätten abgebaut worden, erklärte er den Abgeordneten. Bislang gebe es zudem kein einheitliches Qualitätssicherungssystem. „Die Kosten der kurzfristigen Sparpolitik wiegen heute schwer“, befand er. Es müsse eine „Kehrtwende“ stattfinden. Nur durch „vorbeugende Instandhaltung“ könnten Probleme rechtzeitig aufgedeckt werden.

Klaus Junker, ein Entsandter des Bahn-Vorstands, widersprach ihm. „Wir machen keine Rendite auf Kosten der Sicherheit.“ Derzeit gebe es keine Hinweise, dass es in anderen Bereichen des Konzerns „ähnliche Entwicklungen“ wie bei der S-Bahn gebe. Hier hatte ein Gutachten neben Schlamperei bei der Wartung auch aufgedeckt, dass das Qualitätsmanagement seit Jahren nicht funktioniert.

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