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Zug

© dpa

Bahnreisen: Zug um Zug

Dank neuer Schnelltrassen nehmen Europas Bahnen den Fluglinien Kunden ab. Ab 2010 können Lufthansa & Co. zurückschlagen.

Der rot-weiße Zug von Rail Berlin startet am Berliner Hauptbahnhof Richtung Prag. Am Nachbargleis warten die Passagiere auf die Schnellbahn von Germanwheels nach München. Der Konkurrent Easyrail bietet zugleich Billigreisen nach Köln, Ryanrail zettelt den Preiskampf auf der Strecke nach Warschau an. Die Deutsche Bahn, der etablierte Anbieter, wirbt derweil im europäischen Ausland eifrig um neue Kunden.

Das ist Zukunftsmusik – noch gibt es die Eisenbahn-Töchter von Air Berlin, Germanwings, Easyjet oder Ryanair nur als Fantasieprodukte von Managern der Deutschen Bahn. Das könnte sich bald ändern: Europas Eisenbahnen haben mit dem Ausbau des Hochgeschwindigkeitsverkehrs den Konkurrenten Flugzeug ins Visier genommen. Die Antwort der Fluggesellschaften könnten Angebote im Bahnverkehr sein – zumal ab 2010 die Schranken für den grenzüberschreitenden Personenverkehr in Europa fallen.

Mit Tempo 300 den Fluggesellschaften Kunden abluchsen

Schon jetzt gibt es einen regen Wettbewerb. Von einem Marktanteil von 45 Prozent zwischen Deutschland, Frankreich, Belgien und den Niederlanden berichtet das Schnellzug-Gemeinschaftsunternehmen Thalys, das die Staatsbahnen der vier Länder betreiben. Tendenz: steigend. „Unser Ziel ist es, den Flieger aus dem Markt zwischen Köln, Brüssel und Paris herauszudrängen“, sagt Thalys-Marketingchef Wolfgang Merz. Der Eurostar, der durch den Kanaltunnel fährt, verzeichnet zwischen London und Paris bereits einen Marktanteil von mehr als 70 Prozent. „Angesichts der schnellen Verbindung von Zentrum zu Zentrum das Auto oder das Flugzeug zu nehmen, ist hirnlos“, sagt Eurostar-Manager Simon Montague.

Die vielen neuen Schnellstrecken in Europa, auf denen die Züge mit Tempo 300 unterwegs sind, eröffnen der mehr als 180 Jahre alten Eisenbahn neue Möglichkeiten. Nach den deutschen Rennrouten Köln-Frankfurt am Main oder Nürnberg-München haben vor allem die Trasse „High Speed 1“ zwischen London und dem Kanaltunnel sowie die neuen ICE- und TGV-Verbindungen von Frankfurt und Stuttgart nach Paris für Fahrgastzuwächse gesorgt. 2009 kommen noch einmal neue Gleise in Belgien hinzu – die Reisezeit von Köln nach Brüssel sinkt dann auf eine Stunde 47 Minuten, weiter nach Paris sind es dann noch drei Stunden 14 Minuten. Bis 2020 sollen sich die Reisezeiten zwischen den meisten Metropolen Europas gegenüber 1990 um bis zu 60 Prozent reduziert haben. Vom Drang zur Eile profitiert auch Berlin: Die für 2017 geplante Fertigstellung des ICE-Teilstücks zwischen Leipzig und Nürnberg soll die Reisezeit nach München um zwei auf dann drei Stunden 45 Minuten drücken.

Vorbild bei Service ist das Flugzeug

Die Fluggesellschaften reagieren – zwischen Köln und Frankfurt gibt es längst keinen Anbieter mehr, Air France/KLM reduziert das Angebot zwischen Paris und London, Germanwings will ab April nicht mehr von Köln und Stuttgart nach Paris fliegen. Das liegt an den seit Juli 2007 bestehenden ICE- und TGV-Verbindungen. „Im Schnitt sind 53 von 100 Plätzen belegt“, berichtet Frank Hoffmann, Chef des zuständigen Ticket-Vermarkters Alleo. Normal ist bei Fernzügen eine Auslastung von rund 43 Prozent.

Jetzt arbeiten Europas Bahnbetreiber daran, vor allem für Geschäftsreisende attraktiver zu werden. „Das Vorbild bei Service und Dienstleistungen ist das Flugzeug", sagt Thalys-Manager Merz. Er hat eine bessere Pünktlichkeit, drahtloses Internet im Zug und die unkomplizierte Ticketbuchung per Handy im Blick. Durch den Zusammenschluss der Staatsbahnen zum Verbund „Railteam“ soll es im Laufe von 2009 möglich sein, auch Fahrscheine für das Ausland im Internet zu buchen.

Die Bedrohung ist real - auf beiden Seiten

Die Bahn-Leute erwarten aber, dass die Fluggesellschaften nicht untätig bleiben. Zumal die Europäische Union dafür sorgt, dass der Markt ab 2010 geöffnet wird. „Die Bedrohung ist durchaus real“, sagt Merz. Sie verfügten über die nötigen Buchungssysteme und wüssten, wie man die Kosten im Griff behält. „Und das nötige Zugpersonal kann man sich einkaufen.“ Schwieriger werde es schon mit Loks und Waggons, die mit den verschiedenen Zugsicherungs- und Stromsystemen in Europa zurechtkommen. „Solche Fahrzeuge sind nicht von der Stange zu haben, die werden im Manufakturbetrieb gebaut.“

Die Deutsche Bahn will jedenfalls vorbereitet sein, um nicht in ihrem Heimatmarkt angegriffen zu werden. „Wir müssen alles tun, damit es keinen Bedarf an zusätzlichen Anbietern gibt“, sagt Personenverkehrs-Vorstand Karl-Friedrich Rausch. Auch er rechnet damit, dass neue Anbieter den Markt testen werden, „vielleicht Richard Branson mit Virgin Trains“. Neue Angebote auf grenzüberschreitenden Strecken kann sich auch die Bahn vorstellen, etwa auf der Trasse durch das Rhein-Rhone-Tal, die 2011 eröffnet werden soll. Selbst auf einer reinen Auslandsstrecke aktiv zu werden, wie etwa Neapel-Rom, sei nicht geplant. Rausch hält den Aufbau der Infrastruktur mit Wartungswerken oder einem Vertriebsnetz für zu aufwendig.

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