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Bankerin hilft Armen: Eine wie Robin Hood

Bankerin nahm von den Reichen und gab den Armen – jetzt wurde sie verurteilt und lebt von Sozialhilfe.

Am Tresen in den „Rheinterrassen“ ist das Urteil eindeutig. „Eigentlich hat sie etwas Gutes getan“, sagt der Rentner Jupp und greift zum Kölschglas. Sein Kumpel Herbert nickt zustimmend. „Und es ging ja auch lange gut.“ Um wen es geht, müssen die beiden nicht erklären. Jeder im Raum weiß Bescheid.

Die Rede ist vom weiblichen Robin Hood des Rheinlands: der heute 62-jährigen Agnes Feulner (Name von der Redaktion geändert). Ihre Geschichte spielt in der kleinen Gemeinde Widdig mit knapp 2000 Einwohnern, eingezwängt zwischen dem Rhein und den Bahngleisen, die Bonn und Köln verbinden. Die Geschichte passt in die Weihnachtszeit – es geht um Mitgefühl und Menschlichkeit, aber auch um Verblendung und Betrug. Und anders als bei Robin Hood im Sherwood Forest nimmt die Geschichte von Agnes Feulner kein gutes Ende.

Fast 20 Jahre lang leitet sie eine Filiale der Volks- und Raiffeisenbank, der einzigen Bank in Widdig. Feulner kennt ihre Kunden am Bankschalter, den Bäckermeister, den Dachdecker, den Landwirt. Und jeder kennt sie. Als unauffällig wird sie heute beschrieben, als unprätentiös. „Keine hochdekorierte Banktusse, eher eine Frau, die mit Stofftasche über den Wochenmarkt schlendert“, beschreibt sie ihr Rechtsanwalt Thomas Ohm.

Agnes Feulner weiß um die privaten Sorgen, die beruflichen Nöte und finanziellen Engpässe der Menschen in ihrem Ort. Und nach knapp 40 Jahren bei genossenschaftlichen Banken versteht sie ihren Beruf ein wenig anders als viele ihrer Kollegen in den gläsernen Türmen der globalen Finanzzentren. „Sie hat das Herz am rechten Fleck“, sagt Ohm über seine Mandantin. Wohl aus Mitleid fällt die Bankerin in der Weihnachtszeit 2003 eine Entscheidung, die ihr Leben einschneidend verändern wird.

Kurz vor Heiligabend beginnt sie, Geld auf den Konten umzubuchen – zugunsten der armen Kunden. In der Folge vergibt ihre Bank Überziehungskredite an mehr als 30 Personen, die Ohm zufolge „nach den üblichen Vergabekriterien nicht einmal einen Euro bekommen hätten“. In der Hoffnung, dass ihre Schuldner das Geld zurückzahlen, sobald die Geschäfte wieder besser laufen, deckt die Filialleiterin die Konten der einen mit dem finanziellen Polster der anderen Kunden. Insgesamt bucht sie 117 Beträge um – im Wert von 7,6 Millionen Euro.

Zunächst merkt niemand etwas. Nicht in der Filiale, wo außer Agnes Feulner noch eine Mitarbeiterin und ein Lehrling beschäftigt sind. Und auch nicht die Kunden selbst. Jupp, der Mann in der Kneipe, kann das bestätigen. Sein Schwager gehörte zu denen, auf deren Konto zugegriffen wurde. „Der hat nie etwas bemerkt“, erzählt Jupp mit einer abwehrenden Handbewegung. Und der Schwager habe alles wiederbekommen.

Tatsächlich können die Begünstigten 6,5 Millionen Euro zurückzahlen. Um den Rest zu kaschieren, nimmt die Bankerin sogar einen Kredit über 300 000 Euro auf ihr eigenes Haus in Bonn auf. Doch nach rund einem Jahr beginnt die Fassade zu bröckeln und fällt schließlich ganz. Als immer mehr Kunden der Bank die Summen auf Dauer schuldig bleiben, wird das Finanzamt auf den Betrug aufmerksam. Dazu, so erzählt man sich in Widdig, erkundigte sich eines Tages die Witwe von einem der Kreditnehmer bei der Bank, warum ihr Mann damals einen Kredit bekommen habe. Das war im Februar 2005.

Seither hat sich Agnes Feulners Leben grundlegend verändert. Sie hat nicht nur ihren Job, sondern, wie ihr Anwalt erklärt, ihre gesamte bürgerliche Existenz verloren. Das Haus und ihre Lebensversicherung musste sie abgeben, um den Schaden für die Volks- und Raiffeisenbank zu begrenzen, die den Kunden die fehlenden 1,1 Millionen Euro erstatten musste.

Heute lebt Agnes Feulner zusammen mit ihrer demenzkranken Mutter von Sozialhilfe und bereut ihr Vorgehen. „Wenn Sie am Ende einer Samaritertat selbst auf Hilfe angewiesen sind, dann ist das eine besondere Reue“, sagt Ohm. Ende November dieses Jahres schließlich verurteilte das Landgericht Bonn die Bankerin nach jahrelangen Ermittlungen zu 22 Monaten Haft auf Bewährung. Gemessen an dem angerichteten Schaden ist es ein recht mildes Strafmaß, was die Richter ausdrücklich mit dem Motiv erklären. Einen Eigennutz habe es nicht gegeben, heißt es in der Urteilsbegründung.

An diesem Weihnachtsfest – sechs Jahre nach der für Agnes Feulner verhängnisvollen Entscheidung – stellt wohl nicht nur sie sich die Frage nach dem Warum. In Widdig schütteln bis heute einige ungläubig den Kopf. Auch Jupp und Herbert wissen keine Antwort. „Ich verstehe das nicht“, sagt Herbert und wendet sich ab. „Es ist tragisch.“ Die Bankfiliale gibt es inzwischen nicht mehr. Vor rund zwei Jahren wurde sie aus Kostengründen geschlossen. Geld gibt es jetzt am Automaten.

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