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Wirtschaft: „Bei uns brennt die Hütte“

Wie die Gewerkschaften am 1. Mai gegen die Reformpläne des Kanzlers protestieren wollen – ohne ihn zu stürzen

Von Antje Sirleschtov

Einspruch, Herr Kanzler“. Die Industriegewerkschaft Metall bläst sich mächtig auf. Schröders „Mut zur Veränderung ist eine Zumutung“, finden die Metaller und kündigen an, den Druck auf den Chef der rot-grünen Bundesregierung massiv zu verstärken. Die Gewerkschaften rüsten für den 1. Mai. Doch in diesem Jahr werden die Funktionäre nicht ihre natürlichen Gegner, die Arbeitgeber und Manager, ins Visier nehmen. In diesem Jahr werden DGB-Chef Michael Sommer in Frankfurt am Main und sein Kollege Klaus Zwickel von der IG Metall in Bielefeld vor allem den Genossen Gerhard Schröder attackieren. Selbst der auf Ausgleich bedachten Gewerkschaft Bergbau und Chemie (IG BCE) gehen die Pläne des Kanzlers eindeutig zu weit: „Wir sind reformwillig, aber in eine andere Republik marschieren wir nicht“, tönt sie im Vorfeld des Tags der Arbeit.

Die Gewerkschaften, so scheint es, nutzen den 1. Mai zur Offensive gegen die Reformpläne Schröders. Zumal die „Stimmung an der Basis inzwischen wahnsinnig emotional ist“. Das jedenfalls will die DGB-Führung festgestellt haben. Doch die Funktionäre wollen den Kanzler nicht absetzen. „Einen ersten Mai nach dem Motto: ’Wir stürzen den Kanzler’ wird es nicht geben“, heißt es bei den Metallern in der Frankfurter Gewerkschaftszentrale. Und die Dachgewerkschaft DGB weist Spekulationen, die Arbeitnehmerorganisationen setzten auf den Sturz der Regierung, entrüstet zurück: „Das liegt uns völlig fern.“

Stattdessen setzen die Gewerkschafter auf Basisarbeit. Schon vor der Agenda-2010-Rede des Bundeskanzlers, die das Fass aus Gewerkschaftssicht zum Überlaufen brachte, reifte die Erkenntnis, dass die Zukunft und der Erfolg der Arbeitnehmerorganisationen in Deutschland nicht (mehr) von Massenkundgebungen abhängen wird, sondern davon, ob die Funktionäre ihre Mitglieder überhaupt noch erreichen. Die sorgen sich nämlich um ihre Arbeitsplätze, während ihre Gewerkschaftsbosse große Politik in Berlin machen. Das Problem scheint erkannt: „Vielen Gewerkschaftssekretären vor Ort brennt die Hütte. Da ist es schwer, eine politische Kampagne durchzusetzen“, heißt es beim DGB in Berlin. Anders formuliert: Den Gewerkschaften fehlt zurzeit auch die Basis, einen Regierungssturz anzuzetteln.

Ein Beispiel der bröckelnden Front: Ursprünglich plante der DGB-Landesbezirk Berlin-Brandenburg mit allen Bundestagsabgeordneten der Region intensive Gespräche, um den Unmut zu bekunden. Als sich die Berliner Genossen zum Ende dieser Woche jedoch entschieden, Schröders Agenda 2010 mitzutragen, bliesen die Gewerkschafter ihre Kampagne gleich ab. „Dann konzentrieren wir unsere Kraft eben auf Brandenburg“, hieß es.

Um trotzdem etwas zu bewegen, werden die Politiker in allen Regionen bearbeitet und auf Gewerkschaftslinie eingeschworen. „Wir haben bereits im April Gespräche mit den Abgeordneten von CDU und SPD geführt“, sagt zum Beispiel Ulrike Kleinebrahm vom IG-Metall-Bezirk in Bochum. Auch die Kreis- und Bezirksvorstände der beiden großen Parteien in Bochum wurden von der Gewerkschaft und den Betriebsräten beackert. „Die Abgeordneten haben natürlich unterschiedliche Positionen, um die es teilweise heftige Diskussionen gibt“, sagt Kleinebrahm. Aber gerade die Gewerkschaftsfunktionäre, die gleichzeitig Mitglieder in der SPD sind, arbeiteten auf ihren Unterbezirksparteitagen dafür, den Schröder’schen Kurs zu „korrigieren“.

Die SPD-Spitze hat bereits reagiert und vier Regionalkonferenzen anberaumt. Am Montag findet die erste im Bonner Hotel Maritim statt. Doch die lokalen Gewerkschafter halten dagegen und organisieren ihre eigenen Auftritte. Was das bedeutet, haben SPD-Fraktionschef Franz Müntefering und NRW-Wirtschaftsminister Harald Schartau schon zu spüren bekommen. Zu einer Parteiversammlung der SPD Westliches Westfalen in Bochum mobilisierten Verdi, IG Metall und IG BCE rund 500 Mitglieder. Die von den ungebetenen Demonstranten als „Lügenbolde“ und „Arbeiterverräter“ gebranntmarkten Parteisoldaten kamen bei ihrer eigenen Veranstaltung kaum in Tritt und wurden mit Pfiffen und Buh-Rufen wieder nach Hause geschickt.

Doch die Genossen mit Berliner Bundestagsmandat nehmen solche Wutausbrüche zumeist gelassen entgegen. „Dass es kein Zuckerschlecken wird“, sagt der Bielefelder Abgeordnete Rainer Wend, „war mir schon klar“. Es sei ihm dennoch gelungen, die Beweggründe der Agenda 2010 vor Ort zu erläutern. „Die Gewerkschaften sind ja kein monolithischer Block.“ Bei manch’ einem sei die Erkenntnis über die Notwendigkeit sozialer Einschnitte gereift, als er, Wend, ihm die Zusammenhänge erläutert habe. Bei manchen eben nicht. Am 1. Mai wird Wend mit IG-Metaller Zwickel in Bielefeld vor den Maidemonstranten sprechen. Zwickel werde sicher mehr Applaus bekommen, meint der Abgeordnete. „Zum Wackeln ist das aber kein Grund.“ Der Donnerstag ist für die Gewerkschafter aber allenfalls ein Auftakt: Am 6. Mai ist die nächste Sitzung des Gewerkschaftsrates mit dem Kanzler. Vom 12. bis 17. Mai üben IG Metall und DGB den Schulterschluss, die Basis soll in einer gemeinsamen Aktionswoche mobilisiert werden. Am 17. Mai ruft die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi zur Großdemonstration gegen „Leistungsabbau“ in Berlin auf, Anfang Juni könnte es dann tatsächlich heiß werden. Wenn Rot-Grün bis dahin nicht spürbar eingelenkt habe, sagte IG-Metall-Sprecher Claus Eilrich dem Tagesspiegel, wollen die Gewerkschafter bundesweit in den Landeshauptstädten ihren Widerstand gegen die Kanzler-Pläne demonstrieren. Und dann, so hoffen die Gewerkschaftsbosse, könnten weit mehr als die halbe Million Arbeiter und Angestellte, die üblicherweise den Tag der Arbeit feiern, auf die Straße gehen.

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