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Wirtschaft: „Berlin ist der Nabel der Eisenbahnwelt“ Friedrich Smaxwil, Präsident der Bahnindustrie, über die Branchenmesse Innotrans und moderne Züge

Herr Smaxwil, warum findet die wichtigste Bahnmesse der Welt ausgerechnet in Berlin statt?Deutschland ist das Eisenbahnland in Europa.

Herr Smaxwil, warum findet die wichtigste Bahnmesse der Welt ausgerechnet in Berlin statt?

Deutschland ist das Eisenbahnland in Europa. Wir haben eine lange Tradition, ein großes Schienennetz, die stärkste und innovativste Bahnindustrie. Und Europa ist der weltgrößte Markt. Deshalb hat die Innotrans ein so immenses Wachstum erlebt – 1996 fing es mit 172 Ausstellern an, heute kommen mehr als 1900. Berlin ist der Nabel der Eisenbahnwelt.

Ihre Branche hat Glück – wegen der hohen Spritpreise und der Klimadebatte steigt die Zahl der Bahnfahrer.

Ja, die Megatrends sprechen für uns: Immer mehr Menschen leben weltweit in Städten, und dort werden sie vermehrt unter Abgasen und Staus leiden, wenn der Nahverkehr nicht ausgebaut wird. Die Leute wollen mobil sein, ohne die Umwelt zu belasten. Zudem ist jeder Zug weitaus klimafreundlicher als das Auto oder der Lkw. Das wachsende Verkehrsaufkommen, vor allem im Güterbereich, wird nur zu bewältigen sein durch einen Ausbau der Eisenbahn.

Der Abschwung ist kein Thema?

Nein, wir können genauso optimistisch sein wie vor ein oder zwei Jahren. Letztes Jahr hatte die Bahnindustrie in Deutschland rund 41 000 Beschäftigte – bis zum Jahresende werden wir möglicherweise bei 42 000 oder sogar 43000 liegen. Es sieht so aus, dass wir uns vom allgemeinen Trend – zumindest im Moment - abgekoppelt haben.

Obwohl in Deutschland kaum noch neue Strecken gebaut werden?

Das ist ein Problem. Der Bund gibt pro Jahr 2,5 Milliarden Euro für den Erhalt der Eisenbahninfrastruktur aus und rund eine Milliarde für Neu- und Ausbauten. Aber das ist zu wenig angesichts des zunehmenden Verkehrs. Wenn es nicht mehr Investitionen gibt, könnten Engpässe in der Infrastruktur schon bald das Wirtschaftswachstum hemmen.

Wie wollen Sie die Anwohner besänftigen, die über den Verkehrslärm stöhnen?

Wir verstehen das Problem, und wir arbeiten daran, die Güterwaggons leiser zu machen. Da gibt es ja viele Ideen, zum Beispiel das von der Bahnindustrie und der Deutschen Bahn derzeit geführte Projekt „Leiser Zug auf realem Gleis“. Doch wer für Klimaschutz ist, kommt um eine stärkere Rolle der Bahn nicht herum. Die beste Lösung wäre es, den Verkehr aus den Ballungszentren herauszuhalten, indem man ein eigenes Güter-Schienennetz baut.

Das Auto hat sich enorm entwickelt. Können die Züge mithalten?

Vor dem Auto muss sich die Bahnindustrie in Deutschland nicht verstecken. Die Bahn ist heute ein High-Tech-Produkt – mit Software, Mikroelektronik, Leichtbautechnik, Stark- und Schwachstrom, Mechanik, Mechatronik, Elektrotechnik. Die Antriebe sind in den vergangenen zehn Jahren um 20 bis 30 Prozent effizienter geworden, Lokomotiven können mit vier Stromsystemen durch ganz Europa fahren, die Lärmemissionen sinken. Jetzt geht es darum, den Zugang zum System Bahn zu erleichtern.

Und wie?

Bald kann man Tickets per Handy buchen, Leihwagen und Flüge von unterwegs aus bestellen, im Internet surfen, Filme anschauen. Der Spielraum für das Erleben und Entfalten von individueller Mobilität wird sich vergrößern.

Rast ein ICE in zehn Jahren mit Tempo 400 durch die Landschaft?

Die Renaissance der Bahn geht auch auf die Faszination der Geschwindigkeit zurück. Ohne Züge wie den ICE wäre die Eisenbahn heute ein Auslaufmodell mit dem angestaubten Gepräge der alten Staatsbahnen. Geschwindigkeiten jenseits der 400 Stundenkilometer sind im Alltagsbetrieb aber wenig sinnvoll. Im Tagesbetrieb fahren wir heute etwa in Spanien Tempo 300, Zielgeschwindigkeit ist 350 km/h. Für Deutschland ist das wegen der dichten Besiedlung kein Thema, weil ein Zug alle 50 Kilometer hält. Wenn die Strecke Erfurt-Nürnberg fertiggestellt ist, dann ist das Potenzial bei uns wahrscheinlich ausgereizt.

Nach dem Achsbruch bei einem ICE 3 in Köln zweifeln viele an der Sicherheit der Züge. Zu Recht?

Nein. Es ist nicht sachgerecht, von einem Einzelfall, dessen Ursachen noch nicht feststehen, vorschnell auf die Unsicherheit der ganzen Bahn zu schließen. Im Übrigen wurden laut der DB alle ICE 3-Züge zusätzlichen Prüfungen unterzogen – es wurden keine weiteren Probleme entdeckt.

Schon bei seiner Markteinführung war der ICE 3 ein Pannenzug.

Es gab Probleme, aber das ist heute Vergangenheit. Er ist genauso zuverlässig wie die ICEs der Vorgänger-Baureihen. Man muss sehen, woher wir kommen: Bis 1994 hat die damalige Bundesbahn die Züge in Eigenregie entwickelt. Vom einen auf den anderen Tag hat dann die Bahnindustrie die Verantwortung bekommen, und wir mussten erst einmal Erfahrungen sammeln. Dabei sind wir uns bewusst, dass wir von den zuständigen Behörden und der Öffentlichkeit – also den Kunden unserer Kunden – kritisch beobachtet werden. Wir werden weiterhin unsern Beitrag leisten, dass die Bahn der weltweit sicherste Verkehrsträger bleibt.

— Das Gespräch führte Carsten Brönstrup

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