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Wirtschaft: „Berlin ist wieder auf Wachstumskurs“

Der linke Wirtschaftssenator Harald Wolf will sich mehr um die einheimischen Firmen kümmern und die Stromkonzerne zur Senkung der Preise zwingen

Herr Wolf, vom neuen Jahr an gibt es höhere Beihilfen für Investitionen im Berliner Speckgürtel als in der Stadt selbst. Rutscht jetzt noch mehr Industrie auf dem Fördergefälle ab nach Brandenburg?

Nein. Berlin-Brandenburg wird bei Ansiedlungen als eine Region wahrgenommen und von uns auch so vermarktet. Förderung ist zwar wichtig, aber selten der ausschlaggebende Punkt für Standortentscheidungen. Viele Unternehmen interessieren sich gerade für einen städtischen Standort, weil es hier Fühlungsvorteile gibt zu Wissenschaft und Forschung.

Bislang gab es eine Übereinkunft zwischen beiden Ländern, dass man sich nicht wechselseitig Unternehmen „wegfördert“.

Die Vereinbarung besteht auch weiter: Die Förderhöchstsätze dürfen nicht genutzt werden, um Unternehmen von Berlin abzuziehen. Grundsätzlich haben wir in Berlin auch ein Interesse daran, dass Brandenburg Investoren gewinnt, weil wir davon auch profitieren.

Kapitalintensive Investoren, wie es sie vor allem im industriellen Sektor gibt, und die erheblich von der Förderung profitieren, dürften Sie kaum noch nach Berlin locken.

Berlin besitzt das Umfeld und die Infrastruktur einer europäischen Metropole zu einem Preisniveau, das 30 Prozent unter vergleichbaren Städten liegt, eine exzellente Wissenschafts- und Forschungslandschaft plus höhere Fördermöglichkeiten als in den westdeutschen Bundesländern. Den Strukturwandel bewältigen wir in erster Linie aus der Entwicklung unseres Bestandes. Unsere Substanz an Firmen müssen wir pflegen und unterstützen. Dadurch wird der Standort auch für Ansiedlungen attraktiver.

Laut Koalitionsvereinbarung wollen Sie „ein umfassendes Konzept zur Pflege von Bestandsunternehmen entwickeln“. Wie wird das aussehen?

Politik, Verwaltung und Wirtschaftsförderung müssen noch stärker auf die Unternehmen zugehen. Die Branchendialoge wollen wir fortsetzen und die Kontakte zu Schlüsselunternehmen pflegen. Schließlich gibt es die jährlichen Unternehmensbesuche. Vorrangig geht es um Informationen und Kontakte. Oft wissen Unternehmen zum Beispiel gar nicht, welche Förderinstrumente für sie in Frage kommen beziehungsweise welche Forschungseinrichtungen für sie relevant sind.

Gibt es neue Ideen, um Wirtschaft und Wissenschaft zusammenzubringen?

Mit der kohärenten Innovationsstrategie und der Entwicklung von Masterplänen in den Kompetenzfeldern haben wir bereits etwas Neues begonnen. Als Nächstes wollen wir ein Cluster-Management entwickeln. Auf dem Gebiet Gesundheitswirtschaft stehen inzwischen die Grundstrukturen. Jetzt geht es an den Aufbau für die Bereiche Verkehr und Mobilität sowie Informationstechnologien, Medien und Kreativwirtschaft.

Aus der Wirtschaft hört man, die Kooperationsbereitschaft sei bei der Humboldt- Uni stark ausgeprägt, etwas weniger bei der TU und eher schwach an der Spitze der FU.

Ich werde mit dem Wissenschaftssenator über die Verbesserung der Beziehungen reden. Beim Ausschöpfen der Kooperationspotenziale haben wir noch Reserven.

Das Berliner Wachstum bleibt deutlich hinter dem Bundesdurchschnitt zurück. Ist kein Ende des Strukturwandels in Sicht?

Wir haben noch eine Strukturschwäche, die auch so schnell nicht zu überwinden ist. Doch Berlin ist inzwischen wieder auf Wachstumskurs. Vieles spricht dafür, dass das 2007 so sein wird – es gibt ja auch neue regionale Impulse.

Zum Beispiel?

Der Flughafen BBI. Kurzfristig wird von den Milliardeninvestitionen hoffentlich der Großteil bei regionalen Unternehmen landen. Mittel- und langfristig haben wir die infrastrukturelle Verbesserung. Viele Investoren haben darauf gewartet. Jetzt ist klar, dass der Flughafen kommt und damit ein Standortdefizit verschwindet. Mit Brandenburg zusammen machen wir eine Ansiedlungspolitik für das Flughafenumfeld und haben dazu ein Akquisitionsteam gegründet. In diesem Jahr beginnt die Akquise.

Sind schon Interessenten aufgetaucht?

Es gibt zunehmend Anfragen. Ich höre keine Klagen mehr über den fehlenden Großflughafen, sondern potenzielle Investoren fragen, wann die Eröffnung sein wird. Und wenn die hören, dass der Flughafen zum Winterflugplan 2011 fertig ist, sind sie zufrieden.

Die Wirtschaft in Berlin klagt immer noch über bürokratischen Ballast. Was passiert da in dieser Legislaturperiode?

Wir arbeiten mit dem Standardkostenmodell – auch in Abstimmung mit der Bundesregierung – um Informationspflichten und diverse Verfahren abzuschaffen oder zu erleichtern. In den Niederlanden wurden dadurch rund 25 Prozent der Bürokratiekosten gesenkt.

Wann kommt das bei den Firmen an?

Spätestens in der Mitte der Legislaturperiode. Der andere Punkt bei der Entbürokratisierung sind die verwaltungsinternen Abläufe. Vom E-Government verspreche ich mir eine Menge, aber um bestimmte Verwaltungsprodukte dafür passend zu machen, muss man die Geschäftsprozesse entsprechend vereinfachen und standardisieren.

Was tut sich bei den relativ hohen Wasser- und Stromkosten?

Auf der jüngsten Wirtschaftsministerkonferenz waren wir uns einig, dass die oligopolistische Struktur die wichtigste Ursache ist für die hohen Strompreise. Der Wettbewerb funktioniert nicht, die Konzerne verdienen satte Renditen. Was wir brauchen, sind gesetzliche Änderungen. Wir haben zurzeit die Regulierung über die Netzentgelte; das hat sich in Berlin auch schon preisdämpfend ausgewirkt.

Und das reicht nicht aus?

Das Hauptproblem liegt auf der Ebene der Erzeugung und in der Funktionsweise der Leipziger Strombörse. Teilweise sind die Produktionspreise nur halb so hoch wie die Preise, zu denen an der Strombörse gehandelt wird. Daran sieht man, dass das System nicht im Sinne der Verbraucher funktioniert. Inzwischen handeln auch Fonds und andere Finanzinvestoren an der Strombörse. Wenn aber eine Kilowattstunde mehrmals gekauft und verkauft wird, steigt der Preis. Deshalb gibt es die Überlegung, das Instrument der Missbrauchsaufsicht zu verbessern, um überhöhte Preise zu verhindern. Wir wollen dazu eine Umkehr der Beweislast: Die Energieerzeuger müssen nachweisen, dass ihnen besondere Kosten entstanden sind, die die Preise rechtfertigen.

Im Widerstand gegen die Konzerne scheint sich der linke Berliner Senator Wolf gut mit dem rechten hessischen Wirtschaftsminister Rhiel zu verstehen.

Die oligopolistische Struktur in der Energiewirtschaft gefällt weder dem Linken noch dem Ordoliberalen. Wir sind uns einig in der Ansage an die Konzerne: Ihr müsst auf das Abschöpfen der Monopolrendite verzichten, ansonsten gibt es staatliche Eingriffe.

Welche?

Kartellrechtliche Eingriffe bis hin zur Schaffung gesetzlicher Möglichkeiten zur Entflechtung.

Und was machen Sie gegen die hohen Wasserpreise in Berlin?

Künftig werden alle Verbraucher für die Finanzierung des Leitungsnetzes herangezogen, und wir ändern die Tarifstruktur.

Zu Lasten der kleinen Leute, zu Gunsten der Industrie.

Das stimmt so nicht. Ein großes Mietshaus mit vielen Parteien und großem Verbrauch zahlt weniger, ein Ein- oder Zweifamilienhaus zahlt mehr. Und in den Bereichen, wo Wasser als Produktionsmittel eingesetzt wird, sinkt der Preis auch.

Ist das linke Politik?

Wir werden ein System einführen, das sozial schwache Haushalte vor großen Erhöhungen der Wasserpreise schützt.

Ihre Partei hat mit Ihnen als Spitzenkandidat bei den Abgeordnetenhauswahlen stark verloren. Machen Sie künftig mehr Politik für die eigene Klientel?

Die letzte Legislaturperiode war stark geprägt durch die Sanierungspolitik. Nun haben wir ein gutes Fundament und mehr Spielräume für gestaltende Politik. Zum Beispiel den Einstieg in die Gemeinschaftsschule. Das ist ein linkes Projekt, mit dem wir mehr Schüler zum Abitur und ins Studium bringen wollen. Ferner schaffen wir in Berlin einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor und wir werden die öffentlichen Unternehmen aus Gründen der Daseinsvorsorge nicht privatisieren.

Aber womöglich wirtschaften Private besser. Und sie bringen Kapital und Know-how in die Stadt.

Warum sollten Private besser sein? Welches Nahverkehrsunternehmen bringt denn in Deutschland eine ähnliche Leistung wie die BVG? Wir haben dort in den vergangenen Jahren enorme Produktivitätssteigerungen gehabt, auch bei der BSR. Dabei ist es unbestritten, dass es noch immer Sanierungs- und Neustrukturierungsaufgaben gibt.

Wen wünschen Sie sich als Käufer der Landesbank Berlin?

Zum einen ist ein guter Preis für das Land wichtig. Dann würde ich mir einen Käufer wünschen, der dafür steht, dass die Bank ein Berliner Unternehmen bleibt. Schließlich bin ich gespannt, ob der öffentlich-rechtliche Bereich stark genug ist, zu verhindern, dass Berlin eine privat geführte Sparkasse erhält.

Sie wären also für das Sparkassenlager als Käufer und gegen eine Geschäftsbank?

Das Verkaufsverfahren ist ein diskriminierungsfreies Verfahren, den Zuschlag erhält das beste Gebot.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

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