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Kunsthandwerk. Beim Frühlingsfest in der Preußenallee war Ramschverkauf tabu. Darauf achtete der Kiezverein, der die Feier organisierte .

© David von Becker

Berlin: Stadt der Partymeilen

87 Straßenfeste werden in diesem Jahr in Berlin gefeiert. Händler und Gäste legen dabei Wert auf Qualität.

Mehr als 140 Stände säumten am vorigen Wochenende die Preußenallee in Westend, viele gehörten Kunsthandwerkern oder gemeinnützigen Organisationen. Es gab ein buntes Kinderprogramm und eine Musikbühne – aber weder die bei vielen Straßenfesten üblichen 99-Cent-Artikel noch Ärztesocken oder Billiglederwaren. Das Frühlingsfest richtete der Nachbarschaftsverein „Family & Friends“ aus, den Anwohner vor Jahren als Spielplatz-Initiative gegründet hatten. „Wir machen das mit Herzblut, alle Anmeldungen für Stände gehen über unseren Tisch“, sagt der Mitorganisator Stefan Piltz. Nur dass es zwei chinesische Imbissbuden gab, war ein Versehen: „Eine Chinapfanne braucht man“, findet Piltz, „aber die zweite war zuviel“.

Mit dem Frühling startet die neue Straßenfestsaison – oft zur Freude, aber manchmal auch zum Leidwesen der Anrainer. 87 Termine in diesem Jahr sind der Industrie- und Handelskammer (IHK) bekannt. Das Spektrum reicht vom urigen „ Internationalen Berliner Bierfestival“ auf der Karl-Marx-Allee in Friedrichshain bis zu überregional bekannten Veranstaltungen wie der Silvesterfeier am Brandenburger Tor oder dem Karneval der Kulturen am Pfingstsonntag. Bereits am kommenden Freitag beginnt ein zweitägiges Frühlingsfest in der Fußgängerzone Wilmersdorfer Straße.

In Neukölln jedoch fallen gewohnte Feste aus – etwa der „Rixdorfer Blumenkorso“, den der Verein „Aktion Hermannstraße“ immer im Mai ausrichtete. Seit einem Jahr verweigert Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) mit Rückendeckung der BVV die Genehmigung für sechs Feste in der Sonnenallee, der Hermann- und der Karl-Marx-Straße. Er spricht von gesunkener Qualität und der mangelnden Beteiligung örtlicher Gewerbetreibender. Statt Standortwerbung habe es Ramschbuden, „Saufexzesse“ und ein Verkehrschaos gegeben.

Stephan Manasse, Vereinsvorsitzender der „Aktion Hermannstraße“, ärgert sich darüber. Die Kritik stimme „zum Teil“, doch ignoriere der Bezirk, dass es insgesamt eine „gute Mischung“ gegeben habe. Händler aus der Straße hätten zuletzt rund 20 Stände aufgebaut und „ein positives Ergebnis erzielt“. Verhandlungen über neue Feste hält Manasse für sinnlos, „solange Buschkowsky Bürgermeister ist“. Die Ämter „würden einem nur das Leben schwer machen“, glaubt er.

Dagegen kann Dieter Aßhauer, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Karl–Marx-Straße, die Vorwürfe aus dem Rathaus nachvollziehen. Auch er sei nicht immer glücklich mit dem Niveau der Feste gewesen. Aßhauer kooperiert mit dem Bezirk: Am Rande der Karl-Marx-Straße gab es im vorigen September ein „Ramadanfest“, das die arabische und türkische Bevölkerung einbezog und so erfolgreich verlief, dass eine Fortsetzung geplant ist.

In der Friedrichstraße in Mitte gibt es keine großen Partys, denn die dortigen Geschäftsleute lehnen Trubel ab. „Straßenfeste passen nicht zum gehobenen Charakter des Quartiers – auch wenn wir diesen noch nicht an allen Stellen erreicht haben“, sagt Rainer Boldt, Vorsitzender der IG Gewerbetreibende an der Friedrichstraße. Aktuell sei die Gegend zudem geprägt durch Baustellen und Staus. Ausgerechnet jetzt Feste zu feiern, „wäre kontraproduktiv“. Nur am Rande der Straße gibt es manchmal kleinere Events wie die Jazzfeste des Kulturkaufhauses Dussmann.

Bier- und Bulettenmeilen werden oft von großen Agenturen organisiert. Vielerorts gehen Ämter und Anlieger jedoch andere Wege. Der Charlottenburg-Wilmersdorfer Wirtschaftsstadtrat Marc Schulte (SPD) lobt Veranstaltungen wie die „Antikmeile Suarezstraße“, das „Fest der Nationen“ auf dem Prager Platz oder die Feiern am Rüdesheimer Platz, wo der Verein „Rüdi Net“ am 15. und 16. Mai ein Fest mit vielen Ständen von Künstlern und Kunsthandwerkern plant.

Ein störendes Straßenfest fällt Schulte schon gar nicht mehr ein. Einst gab es regelmäßig Ärger um die Sommerfeste der AG City auf dem Kurfürstendamm, die Namen wie „Euromeile“ und „Global City“ trugen. Zahlreiche Händler beklagten Umsatzrückgänge. Kritik gab es auch am Jahrmarkt, der zur ehemaligen „Langen Nacht des Shoppings“ eines anderen Veranstalters gehörte.

In diesem Jahr plant die AG City kein Fest: „Ehe wir uns blamieren, verzichten wir lieber auf ein Programm“, sagt Geschäftsstellenleiterin Jennifer Woelki. Das „Frühlingsshopping“, bei dem am vorigen Sonntag mehr als 100 Läden öffneten, blieb eine reine Verkaufsaktion. Ohnehin dürfen vom Breitscheid- bis zum Wittenbergplatz, abgesehen vom Weihnachtsmarkt, jährlich nur noch zwei große Feste stattfinden. So steht es in der „Nutzungs- und Gestaltungssatzung“ von Charlottenburg-Wilmersdorf und Tempelhof-Schöneberg, die seit Jahresbeginn „unverträgliche“ Veranstaltungen verhindern soll.

Die IHK-Handelsexpertin Jeanette Streier rät Festveranstaltern, Geschäftsleute im Kiez einzubeziehen: „Es gibt Synergien, wenn man Händler aus der Straße mit ins Boot holt.“ Stadtrat Schulte sieht das „Erfolgsrezept“ seines Wirtschaftsamts ebenfalls in der Kooperation mit Geschäftsstraßen. Beantrage ein fremder Veranstalter ein Fest, „fordere ich dazu auf, mit den Anrainern zu sprechen“. Diese lehnten Ramschmeilen in der Regel ab. Wäre es anders, würde er aber auch solche Feste genehmigen: „Wir sind keine Geschmackspolizei.“

Am U-Bahnhof Krumme Lanke in Zehlendorf haben Händler mehrere Feste selbst gestaltet und finanzieren so die Neugestaltung des Bahnhofsvorplatzes. Ein Zahnarzt mixte Cocktails, die Apothekerin servierte Sushi und Würste. „Zu uns kommen Leute, die sonst nicht auf Straßenfeste gehen“, sagt Christian Zech, Optikermeister und Gründer der „Krumme Lanke Interessengemeinschaft“. Nur in diesem Jahr fällt das Fest aus: Zech hat keine Zeit für die Organisation, da er sein Geschäft umbaut.

Berliner Straßenfeste im Überblick: www.berlin.ihk24.de

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