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Wirtschaft: Berliner Haushalt: "Berlin kann nicht ewig Kostgänger der Länder sein"

Gregor Gys (54) ist seit dem 18. Januar 2002 Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen in Berlin.

Gregor Gys (54) ist seit dem 18. Januar 2002 Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen in Berlin. Der prominente PDS-Politiker hat maßgeblich an den Vereinbarungen der Senatskoalition aus SPD und PDS mitgewirkt. Mit dem Rechtsanwalt ist erstmals ein kommunistischer Politiker in die Wirtschaftsverwaltung des Landes eingezogen. Gysi selbst glaubt nicht, dass sich ausländische Investoren aus diesem Grund davon abhalten lassen, nach Berlin zu kommen.

Herr Gysi, Sie sind jetzt zwei Wochen im Amt. Wie schlecht geht es Berlin wirklich?

Die Berliner Wirtschaft wächst langsamer als die anderer Bundesländer. Und das Wachstum hat sich noch einmal deutlich verlangsamt. Wir werden in den nächsten Tagen die Prognose von einem halben Prozent Wachstum für 2002 nach unten revidieren müssen.

Der Finanzsenator sagt, dass nicht die Einnahmen, sondern die Ausgaben das Problem Berlins sind.

Zum Thema Ted: Schuldenlast - Soll Berlin mit dem Mangel leben? Das ist nur richtig, wenn man sich die Gesamteinnahmen der Stadt ansieht. Und da werden Steuern, Mittel aus dem Länderfinanzausgleich und Geld, das wir vom Bund bekommen, addiert. Tatsache ist, dass wir viel zu geringe Steuereinnahmen haben. Das heißt, die Einnahmestruktur stimmt nicht.

Da diese Schwäche über den Finanzausgleich ausgeglichen wird, müssten Sie sich doch nicht besonders anstrengen.

Doch. Wir haben nur die Wirtschaftskraft einer mittelgroßen Stadt. Aber wir haben die Ausgaben und die Probleme einer Metropole. Meine Aufgabe ist es unter anderem, bessere Rahmenbedingungen für höhere Steuereinnahmen zu setzen. Weil wir mehr Geld brauchen und weil wir ja langfristig auch mal zum Geberland im Finanzausgleich werden wollen.

Warum?

Ich kann ganz anders auftreten, wenn ich den anderen Ländern Geld gebe, statt es von ihnen zu bekommen. Auch kann die Hauptstadt nicht ewig Kostgänger der Länder sein.

Für solche Überlegungen haben Sie jetzt schon Zeit?

Eher nicht. Unser größtes Problem ist die Arbeitslosigkeit. Da nutzen mir Länderfinanzausgleich oder Bundeshilfen wenig. Erst wenn es gelingt, mehr Unternehmen anzusiedeln, mehr Investitionen zu erreichen und damit Arbeitsplätze zu schaffen, habe ich nicht nur die Einnahmeseite verbessert, sondern vor allem die Ausgaben erheblich gekürzt - etwa bei der Sozialhilfe.

Haben Sie denn schon neue Investoren anwerben können?

Natürlich habe ich schon den einen oder anderen getroffen. Und ich stelle fest, dass es ein Umdenken gibt. Die Hauptstadt übt einen Reiz auf junge Menschen aus. Die Mieten sind relativ preisgünstig, so dass es für Mitarbeiter und Unternehmer aus Süddeutschland interessant ist, den Standort Berlin genauer zu prüfen. Ich kenne auch den Fall eines internationalen Unternehmens mit 250 Beschäftigten in der Nähe der Stadt. Es hat inzwischen festgestellt, dass die Ansiedlung im Umland durch Reisen mehr kostet als an Steuern gespart werden.

Da werden sich Ihre Länder-Vereinigungspartner in Potsdam aber freuen, dass Sie Ihre Investoren vor den Toren der Stadt suchen.

Ich habe das Unternehmen weder gesucht noch abgeworben. Aber es ist doch bemerkenswert, dass es in Unternehmen inzwischen auch die Überlegung gibt, wieder in die Hauptstadt zu ziehen.

Müssen Sie nicht erst einmal den schlechten Ruf der Stadt aufpolieren?

In bestimmten Branchen haben wir schon jetzt einen guten Ruf. Zum Beispiel in der Informations- und Kommunikationswirtschaft, in der Biotechnologie, in der Verkehrstechnik. Was die Medienbranche angeht, sind wir mit 9000 Unternehmen Spitze. Da hatten wir in der Krise einen Vorteil. Denn die kleinen Unternehmen überstanden die Branchenkrise besser als ein großes. Sie haben nur einen Nachteil. Um kleine Firmen kümmert sich keiner. Wenn man mit 3000 bis 4000 Beschäftigten operiert, reist die ganze Politik an und macht Dinge möglich, die sonst unmöglich scheinen.

Wenn Sie auf diese jungen, aufstrebenden Branchen setzen - warum hat die Koalition ihre erste Großtat beim Sparen an einem der Universitätskrankenhäuser verüben müssen? Am Klinikum Benjamin Franklin hängen viele Biotechfirmen.

Der Wirtschaft und den Medizin- und Biotech-Unternehmen nutzt es nichts, zwei Unikliniken mit Mittelmaß zu bekommen.

Bisher haben wir immer angenommen, es handele sich bei beiden Kliniken um Spitzeninstitute.

Richtig. Aber wenn wir nicht in beide investieren, fallen sie zurück. Und nur in eine der beiden Kliniken zu investieren, geht auch nicht.

Und warum mussten Sie dann gleich die große Keule schwingen, anstatt das klar zu machen?

Weil der Senat seit 1993 versucht, beide medizinische Fakultäten zur Kooperation bei den Einsparungen zu bringen. Bisher kamen gerade von einer der Kliniken keine Vorschläge. Und jetzt unterbreiten sie welche. Das ist doch auch ein erster Erfolg.

Das reicht aber nicht.

Beide Universitätskliniken treiben zu wenig Drittmittel ein, wenn man es mit dem Bundesdurchschnitt vergleicht. Beide werden vom Land Berlin mit zu geringen Mitteln ausgestattet. Der Wissenschaftsrat hat schon vor Jahren festgestellt, dass so der Absturz ins Mittelmaß nicht aufzuhalten ist. Der Senat will auch in 15 Jahren noch eine Hochschulmedizin haben, die internationalen Standards genügt. Deshalb wird jetzt die Expertenkommission herausfinden, was wo zu entwickeln ist und wo gespart werden muss. Sollte einer der Klinikenstandorte aufgegeben werden müssen, wäre es meine Aufgabe, den Biotech-Campus eines der Krankenhäuser neu anzubinden.

Um die alte Industrie braucht sich niemand zu kümmern?

Die Bestandspflege ist eine ebenso wichtige Aufgabe wie die Neuansiedlung. Aber man darf sich da keine Illusionen machen. Ich mache mir nichts vor, dass wir in zehn Jahren wieder die Ausstattung mit Industrie haben wie vor Jahrzehnten. Was wir tun können, tun wir. Zum Beispiel mit einer Bürgschaft für Herlitz.

Neue Investoren kommen wohl nicht in eine Stadt mit einem kommunistischen Wirtschaftssenator?

Das kann ich nicht glauben.

US-Investoren sind skeptisch, sich in einem sozialistisch regierten Berlin anzusiedeln.

So? Die sind China gegenüber so aufgeschlossen, dass ich das für eine abwegige These halte. An ideologiefeste Unternehmer glaube ich nicht. Unternehmer wollen Geschäfte machen und wissen, ob sich die Rahmenbedingungen für ihre Investitionen verschlechtern oder verbessern. Und wenn die amerikanischen Unternehmen schon sicher sind, dass sie von der kommunistischen Partei Chinas, die ohne demokratische Kontrolle die Macht ausübt, nicht verstaatlicht werden, dann können sie bei einer SPD/PDS-Landesregierung in Deutschland wohl noch einen Deut sicherer sein.

Verstaatlichen ist die eine Sache, privatisieren eine andere. Wann verkaufen Sie die Bankgesellschaft?

Das ist Gott sei Dank nicht vornehmlich meine Aufgabe. In meiner Partei war schon vor der Wahl der Wille, die Bank loszuwerden, ziemlich groß. Das ist aber alles nicht so einfach. Es geht um die Risikoverteilung, den Namen der Sparkasse und anderes.

Und die PDS hat keine Bauchschmerzen, die Bank privaten Investoren anzudienen?

Gerade die PDS-Mitglieder in Berlin haben doch eines mitbekommen: Diese Stadt ist unter anderem in eine tiefe Krise wegen einer staatlichen Bank, nicht wegen einer privaten Bank geraten.

Also wird verkauft?

Das hängt von den Verhandlungen und deren Ergebnissen ab.

Geld kommt dadurch nicht in die Kasse. Wird Berlin zur Sanierung seines Haushalts jetzt sein Tafelsilber verkaufen?

Berlin wird weiter privatisieren müssen. Aber nicht alle Unternehmen. Wir müssen uns fragen, ob das Land eine ökologische oder soziale Ausgleichsfunktion hat. Die sehe ich zum Beispiel weder bei der Messe noch sehe ich sie bei der Porzellan-Farbrik...

Manufaktur...

Das ist doch eine sehr schöne Fabrik. Bei den Verkehrsbetrieben BVG haben wir dagegen eine ökologische und soziale Lenkungsaufgabe.

Die für niedrige Preise?

Nein. Die für bezahlbare Preise und für eine zuverlässige Beförderung. Es rechnen sich eben nicht alle Strecken für einen privaten Investoren. Wir erwarten von den Arbeitnehmern aber hohe Flexibilität auch sehr früh oder sehr spät am Tage. Andererseits wird das Autofahren immer teurer. Deswegen müssen wir, um niemanden von der Mobilität auszuschließen, ein bezahlbares, dichtes Personennahverkehrsnetz sicherstellen.

Die BVG wird also nicht angetastet?

Unser Ziel ist ein sicherer und attraktiver öffentlicher Nahverkehr zu sozial verträglichen Preisen. Parallel ist stets zu prüfen, was kostengünstiger geht. Da ist schon viel passiert. Mit noch weniger Busfahrern ist jetzt nichts mehr zu machen. Aber in der Verwaltung der Verkehrsbetriebe kann man wohl das eine oder andere effizienter gestalten.

Aber Wohnungsbaugesellschaften können doch zu Geld gemacht werden?

Wir werden nicht den Fehler der Münchener wiederholen, alles zu privatisieren. München hat heute keinen Einfluß mehr auf den Wohnungsmarkt, und die Unternehmen klagen, dass ihre Mitarbeiter sich das Wohnen in München nicht mehr leisten können. In Berlin haben wir natürlich das andere Extrem. Letztlich müssen wir privatisieren zum Beispiel an Genossenschaften und einen Bestand an Wohnungen sichern, mit dem wir noch marktregulierend eingreifen können. Immer wenn aus einem rein ideologischen Grund alles oder nichts privatisiert werden soll, dann ist das Ergebnis meist negativ für die Stadt.

Herr Gysi[Sie sind jetzt zwei Wochen im Amt. Wie]

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