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Berliner Behörden: Hilfe in 3200 Lebenslagen

Arbeit in der Telefonbox: Das Callcenter der Berliner Behörden kümmert sich um die Anliegen der Bürger – bald unter der Servicenummer 115.

Carola H. ist nervös. Sie hat ihren Kopfhörer auf, ihr Mikrofon am Mund und will sich nicht von der Arbeit abhalten lassen. Oben auf ihrem Bildschirm blinkt das Telefonsymbol, unten bewegt sich ein schwarzes Laufband: Noch sieben Anrufer in der Warteschleife, ist da zu lesen. Da will die Callcenter-Mitarbeiterin nicht mit Besuchern plaudern, sondern den nächsten Anrufer bedienen. Erst als die Zahl der Wartenden auf null sinkt, erzählt sie: „Ich finde es interessant herauszubekommen, welche Anliegen die Bürger haben, und zu versuchen, ihnen zu helfen.“ Manchmal müsse sie sich ganze Lebensgeschichten anhören. „Oder Oma Erna ruft an, um sich darüber zu beschweren, dass die Hecke geschnitten wird, während doch kleine Vögelchen darin sitzen.“

Carola H. ist eine der rund 100 überwiegend weiblichen Mitarbeiterinnen im Callcenter des IT-Dienstleistungszentrums Berlin (ITDZ). Hier hat die Berliner Verwaltung ihre ursprünglich 186 dezentralen Vermittlungsstellen zentralisiert. Wer die Zentrale einer Senatsverwaltung oder der sieben Bezirksämter anruft, wird unbemerkt ins Callcenter in Wilmersdorf umgeleitet. Nur die Bezirke, deren Rufnummern nicht mit einer 9 beginnen, sind noch nicht angeschlossen. Wer nicht weiß, welche Verwaltung er anrufen soll, wählt die 900 und landet direkt im Callcenter. „Ja, ich gebe hier für die Bürgerämter Friedrichshain-Kreuzberg Auskunft“, erklärt Carola H. dem nächsten Anrufer. Ihre Stimme hat einen freundlichen, warmen Ton.

„An einem normalen Arbeitstag bearbeiten wir 22000 Anrufe“, erklärt Konrad Kandziora, Vorstand des ITDZ. Es können bis zu 25000 sein. „Zehn bis 15 Prozent der Anrufe erledigen wir abschließend.“ Das sind zum Beispiel Fragen nach Öffnungszeiten, Zuständigkeiten und danach, welche Unterlagen man bei einem Behördengang mitbringen muss. Bald sollen 80 Prozent der Anliegen sofort erledigt werden, ohne dass der Anrufer zu einem Sachbearbeiter weitergeleitet wird. Denn aus der 900 soll bald die bundesweit einheitliche Bürgerservicenummer 115 werden.

Einfühlungsvermögen und Sprachkenntnisse braucht man in dem Job schon heute. „Pappe weg“ gibt Carola H. zum Beispiel in ihre Eingabemaske auf dem Bildschirm ein. Schon wird ihr angezeigt, wo man einen neuen Führerschein bekommt. „Manche sagen auch ,Fleppen verloren’“, sagt Carola H. Und sie weiß auch, wie lange es dauert, bis ein neuer Führerschein ausgestellt ist: „Acht bis zwölf Wochen momentan, leider.“ Nicht immer sind die Antworten erfreulich. Jeden Abend wird ausgewertet, wonach die Bürger fragen. So wird die Datenbasis, auf die die Mitarbeiter zurückgreifen, immer weiter ausgebaut.

So bunt und vielfältig wie Ausdrucksweise und Fragen der Anrufer ist der Arbeitsplatz von Carola H. und ihren Kolleginnen nicht. Auf einer 200 Quadratmeter-Etage sitzen 30 Mitarbeiterinnen in etwa fünf Quadratmeter kleinen grauen Boxen, die ihr Chef „Stuben“ nennt. Kaum eine der Stuben enthält mehr als Computer, Bildschirm und einen Aktenordner. Hier und da stehen Topfpflanzen. Der Besprechungstisch ist mit Seidenblumen geschmückt. Die Trennwände sind hellbraun oder hellgrau, hellgelb die Stühle, mittelblau der Teppich. „Alles ist nach Feng Shui gestaltet“, sagt Kandziora. „Wir hatten einen Meister hier.“ Der habe auch die Höhe der Trennwände auf 147,5 Zentimeter festgelegt. Wer aufsteht, kann in die Nachbarboxen schauen.

Montags bis freitags sitzen die Mitarbeiterinnen in dieser und zwei anderen Etagen am Telefon. Über dem ganzen Raum liegt ein unaufhörliches Gemurmel. „Hier ist es ruhig“, sagt Kandziora. „Das kann man überhaupt nicht vergleichen mit New York: Dort sitzen 200 Leute in einem Saal und sie haben einen Lärmpegel wie in einer Fabrikhalle.“ Kandziora war auf einem Informationsbesuch in New York, denn dort gibt es bereits eine zentrale Behörden-Rufnummer. Die New Yorker 311 ist Vorbild für die deutsche 115. „Bürgermeister Michael Bloomberg wollte einfach wissen, was die Leute in seiner Stadt bewegt“, sagt Kandziora. „Seit es die Serviceline 311 gibt, weiß er es ganz genau.“

Nachmittags wird es ruhiger im Callcenter. „Die Menschen rufen meist morgens bei den Behörden an“, sagt Kandziora. Sein Wunsch ist jedoch, dass die 115 rund um die Uhr erreichbar sein soll. Mit dem Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten und mit dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg läuft derzeit ein Pilotprojekt. „Es ist jetzt schon möglich, 60 Prozent der Anfragen von Bürgern bereits beim ersten telefonischen Kontakt zu erledigen“, sagt der Leiter des ITDZ. Und das sei nicht trivial. 3200 Lebenslagen – Geburt, Umzug, Führerschein oder Steuererklärung – kennt die Verwaltung. Und die zugrunde liegenden Verwaltungsprozesse müssen nun einheitlich geordnet werden, damit die Anfragen im Callcenter bearbeitet werden können. Viel Wissen steckt in den Köpfen der 115000 Mitarbeiter der Berliner Verwaltung. Das muss nun in einer Wissensdatenbank für die Callcenter- Mitarbeiter aufbereitet werden. „Das ist die große Herausforderung: jeden Verwaltungsprozess so einfach darzustellen, dass er dem Bürger einfach zu vermitteln ist“, sagt Kandziora. „Am Ende geht es darum, dem Bürger ein Service-Versprechen zu geben – und es auch zu erfüllen.“ Ab Herbst sei die 115 in Berlin startklar.

Nicht immer wollen die Bürger etwas wissen. Manchmal wollen sie auch etwas loswerden, ihren Ärger über einen nicht bewilligten Antrag zum Beispiel. „Die Mitarbeiter hier sind gut ausgelastet“, sagt Trainerin Martina Winckler. „Man muss das lieben, über den ganzen Tag und auch in kritischen Situationen am Telefon freundlich zu bleiben.“

45 Sekunden dauert ein Gespräch im Schnitt, und besonders am Vormittag läuten die Telefone ohne Unterbrechung. Nach 50 Minuten aber dürfen die Callcenter-Mitarbeiter zehn Minuten pausieren. Und für die Stressbewältigung hat Trainerin Winckler auch ein paar Tipps parat. „Dann kann man einen Wutzettel nehmen und ihn zerknüllen, oder man lässt seinen Ärger an einem Ball aus.“

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