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Berliner Handwerk: Nicht von gestern

Berlins Handwerksbetriebe sind erfolgreich. 442 Jungmeister haben gerade ihre Prüfung geschafft.

Den wohl ungewöhnlichsten Werdegang der neuen Berliner Handwerksmeister, die am vorigen Wochenende für ihre bestandenen Prüfungen geehrt wurden, hat Andreas Neuschwander hinter sich: Ursprünglich hatte der 43-Jährige einst Betriebswirtschaftslehre studiert, er wurde Vertriebscontroller bei einer Bausparkasse und Finanzfachmann eines Konzerns. Doch die Maßschuhe, die er sich vom Schuhmacher Stefan Kilian anfertigen ließ, stellten sein Berufsleben unerwartet auf den Kopf. Begeistert von der alten Handwerkskunst, begann er 2006 bei Kilian in Rixdorf eine Lehre.

„Ich habe den bequemen Schreibtischstuhl gegen einen dreibeinigen getauscht – und es nicht bereut“, sagt Neuschwander. Bei „Orthopädieschuhtechnik Müller“ verdiene er weniger als früher, aber „die Freude der Kunden, die wieder schmerzfrei laufen können“ mache dies wett. Orthopädisches Schuhwerk wird laut Inhaber Kilian seltener gekauft, seit die Kunden 80 Euro Selbstbeteiligung zahlen müssen. Überrascht hat den Chef, dass der Absatz edler Maßschuhe zu Preisen ab 1500 Euro trotz der Wirtschaftskrise stabil blieb. Selbst im finanzschwachen Neukölln kann Handwerk also noch goldenen Boden haben – wenn der Ruf der Firma so gut ist, dass die Kundschaft aus ganz Berlin und dem Umland kommt.

Das Handwerk erzielt 13 Prozent des Berliner Bruttoinlandprodukts, beschäftigt 12,5 Prozent aller Erwerbstätigen und spielt eine führende Rolle bei der Ausbildung. Die Zahl der Meister ist steigend (siehe Kasten) und der Frauenanteil höher als im Bundesdurchschnitt: Von den Lehrlingen sind 30 Prozent weiblich und bei den Meistern 28 Prozent.

Allerdings sind nicht alle Meister Handwerker. Von den 554 erfolgreichen Prüfungsteilnehmern in diesem Jahr stammen 112 aus Industrie- und Gewerbeberufen. Bei der großen Meisterfeier der Berliner Wirtschaft mit 1100 Gästen erhielten sie ihre Urkunden deshalb von der Industrie- und Handelskammer. Die 34-jährige Winnie Semmer zum Beispiel ist Industriemeisterin für Digital- und Printmedien. Sie kann Bücher, Broschüren oder Plakate layouten und kennt auch alle weiteren Herstellungsschritte. Jetzt ist sie „stolz, unser Familienunternehmen, die Druckerei Lippert in Friedrichshain, als Meisterbetrieb weiterführen zu können“. Obwohl die neunmonatige Prüfungszeit eine große Belastung gewesen sei, rät sie zur Meisterprüfung: „Aus meiner Sicht ist es nicht nur eine große Bereicherung für jeden Einzelnen, sondern auch für die Firmen.“

Handwerkskammerpräsident Stephan Schwarz sagt, der Titel sei „die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit“. Wissen und Kompetenz seien wichtiger denn je. IHK-Präsident Eric Schweitzer sieht im Meisterbrief „eine Art Generalschlüssel“. Man könne sich damit selbstständig machen oder angestellte Führungskraft werden – und auch selber ausbilden. Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für SPD) erinnerte beim Festakt der Kammern an die Tradition der Meister, die auf Gilden und Zünfte im frühen Mittelalter zurückgehe. Es gebe keinen Bedeutungsverlust, die Qualität des Handwerks „hebt sich von anderen Ländern wie den USA ab“.

Seit 2004 sind viele Handwerksberufe, die als relativ einfach und ungefährlich gelten, zulassungsfrei. Das führte zu einem Gründungsboom, etwa bei den Fliesenlegern. Senator Nußbaum zog jetzt aber ein kritisches Fazit: Von den neuen Betrieben hätten „nur die wenigsten überlebt“. Laut Wolfgang Rink, Sprecher der Handwerkskammer, mangelt es bei den Existenzgründern in zulassungsfreien Gewerben häufig an betriebswirtschaftlichen Kenntnissen.

Die Wirtschaftskrise trifft nach Einschätzung der Senatsverwaltung für Wirtschaft nicht alle Handwerker, sondern vor allem „einzelne Gewerke“ wie die Kfz-Werkstätten. Die allgemeine Stimmung habe sich in diesem Herbst jedoch laut Umfragen „eingetrübt“, sagte eine Sprecherin. 26 Prozent der Berliner Handwerksbetriebe beurteilen die aktuellen Umsätze demnach als schlecht, nur 24 Prozent sind rundum zufrieden. Immerhin rechnen 65 Prozent der Unternehmen damit, kein Personal entlassen zu müssen. Damit bleibe das Handwerk ein „stabilisierender Faktor“ der Wirtschaft, urteilt die Verwaltung.

Dass der Meisterbrief kein Auslaufmodell ist, bestätigt Hanno Hermann Jordan, Geschäftsführer der Konditoreninnung Berlin. An deren Akademie steigt die Zahl der Absolventen und Bewerber: „Wir mussten bereits einige Leute abweisen.“ Auch ein zusätzlicher Winterkurs für angehende Konditorenmeister sei schon ausgebucht, „es gibt sogar japanische Interessenten“. Das Konditorenhandwerk bleibe eben etwas Besonderes – die Herstellung eines Baumkuchens zum Beispiel sei „hohe Kunst“.

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