zum Hauptinhalt
WIRECENTER

© Imago

Berliner Straßenverkehr: Freie Fahrt für schwere Laster

Vor einem deutschlandweit drohenden „Verkehrsinfarkt“ warnt Bundesminister Wolfgang Tiefensee. Er erwartet, dass der Lkw-Verkehr auf Fernstraßen um mehr als 80 Prozent wächst. Dagegen verschwinden immer mehr Lkw von Berliner Straßen.

Mario Jacobeit stöhnt mächtig. „Seit zwei Jahren wird der Verkehr immer dichter“, sagt der Kundenberater der Kreuzberger Firma Zapf Umzüge. Werktags fährt er zehn bis zwölf Stunden durch Berlin. Jacobeit ist zwar im Pkw unterwegs, doch weiß er, dass die Lastwagenfahrer der Spedition dasselbe beklagen. Zum einen gebe es zu viele Großbaustellen auf der Stadtautobahn, nach der 18-monatigen Sperrung des Tunnels Flughafen Tegel seien nun die Sanierungsarbeiten an der Spandauer-Damm-Brücke ein großes Problem. Aber auch die Fertigstellung der Autobahn A113 zum Flughafen Schönefeld habe die Lage nicht entspannt – im Gegenteil. „Die zwei rechten Spuren sind von Lkw jeglicher Nation blockiert.“

Deutschland sei im Güterverkehr ein „Transitland“ und Berlin ein „Drehkreuz für die östlichen Wirtschaftsräume, die sich entwickeln“, sagt der Verkehrsexperte der Industrie- und Handelskammer Berlin, Stefan Mathews. Allerdings sieht die IHK den Ausbau der Stadtautobahn optimistisch. Für Berliner Unternehmen sei die A 113 „von höchster Bedeutung“. Sie schaffe einen direkten Anschluss der Innenstadt an den Fernverkehr und vor allem an die Autobahnen nach Posen, Breslau, Dresden und Prag. Auch die ab 2010 geplante Verlängerung der A 100 vom Dreieck Neukölln nach Treptow nütze dem Wirtschaftsverkehr.

In Berlin gebe es „500 000 gewerbliche Fahrten am Tag“, sagte der Vize-Hauptgeschäftsführer der IHK, Christian Wiesenhütter, bei einem ADAC-Verkehrsexpertentreffen. Die Zahl stammt aus dem Wirtschaftsverkehrskonzept Berlin und enthält auch Fahrten von Pkw, die auf Firmen zugelassen sind. Berliner Lkw bis 3,5 Tonnen Nutzlast absolvieren werktags etwa 167 000 Fahrten und schwere Lastwagen rund 20 000. Wie viele auswärtige Lkw Berlin auf dem Weg in andere Städte durchfahren, ist dagegen unklar.

Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) warnt vor einem deutschlandweit drohenden „Verkehrsinfarkt“ und erwartet, dass der Lkw-Verkehr auf Fernstraßen bis 2025 um mehr als 80 Prozent wächst. Doch die Senatsverkehrsverwaltung gibt sich gelassen. Denn laut einer Statistik der Fuhrgewerbe-Innung und der IHK sanken Transporte im Binnenverkehr auf den Straßen seit 1995 von 83 auf gut 50 Millionen Tonnen. Manuela Damianakis, Sprecherin der Verkehrsverwaltung, erklärt den Rückgang durch das Wegbrechen industrieller Arbeitsplätze. Ein Verkehrskollaps drohe aber ohnehin nicht: „Berlin hat eine sehr leistungsfähige Infrastruktur.“ Europas modernstes Verkehrsmanagement-System residiere im Flughafen Tempelhof. Hier werden Verkehrsinformationen ausgewertet, Ampelschaltungen den Verkehrsströmen angepasst – was etwa den Tiergartentunnel staufrei hält – sowie dynamische Verkehrszeichen aktiviert und elektronische Anzeigetafeln beschriftet. Auf der A 113 sieht Damianakis noch keine Probleme. Denkbar sei aber ein gestaffeltes Mautsystem, das die Durchfahrt zu Stoßzeiten für Lkw unattraktiv mache. Solche Möglichkeiten sieht der neue „Masterplan Güterverkehr und Logistik“ des Bundesverkehrsministeriums vor. Manche anderen Maßnahmen aus dem Masterplan werden in Berlin wenig ändern, etwa die angedachten Überholverbote für Lkw auf Autobahnen.

Mit guter Logistik lassen sich Transporte aber auch so organisieren, dass möglichst wenig Lkw-Fahrten überhaupt nötig sind. Dazu dienen die drei Güterverteilzentren, die seit den 90er Jahren im Umland entstanden sind. In Großbeeren (GVZ Berlin Süd) haben sich neben vielen Logistik-Dienstleistern zum Beispiel Aldi, Lidl und Rewe angesiedelt. Weitere Verteilzentren gibt es in Freienbrink (GVZ Berlin Ost) sowie Wustermark und Brieseland (GVZ Berlin West).

Weniger gelungen scheinen die Versuche, Transporte auf die Bahn und Schiffe zu verlagern. Mehr als 80 Prozent des Güterfernverkehrs werden laut einer Statistik der Verkehrsverwaltung per Lkw abgewickelt. Der Schienengüterverkehr macht nur etwas mehr als zehn Prozent aus und die Binnenschifffahrt rund neun Prozent. Das Verhältnis hat sich sogar verschlechtert, vor elf Jahren betrug der Lkw-Anteil erst 69 Prozent. Allerdings könnte die Schifffahrt wieder an Bedeutung gewinnen, wenn die Havel im Rahmen des „Verkehrsprojekt 17 Deutsche Einheit“ für große Lastkähne ausgebaut wird. Umweltschützer kritisieren die Zerstörung der Natur, während die IHK die „uneingeschränkte Umsetzung“ fordert.

Exotische Transportideen haben keine Chance. So schließt die BVG aus, Straßen- oder U-Bahn-Linien nachts für Lieferungen zu nutzen, obwohl es Warentransporte per Straßenbahn zu DDR-Zeiten in Ost-Berlin durchaus gab. In Schweizer Städten verkehren Müllfahrzeuge auf Straßenbahngleisen. „Aber wir haben hier ja fast einen 24-Stunden-Betrieb“, sagt BVG-Sprecherin Petra Reetz. In der U-Bahn gebe es zudem „mehr als 100 Baustellen pro Nacht“ und „außergewöhnlich enge Röhren“. Keine Lösung scheint auch das an der Uni Bochum entwickelte Transportsystem „Cargo Cap“. Es ähnelt einer Riesen-Rohrpost: Unbemannte Kapseln sollen durch eigene Röhren mit 1,60 Meter Durchmesser sausen. Doch in der einstigen Hauptstadt der Rohrpost stünden unter anderem die vielen schon verlegten Leitungen und Rohre im Untergrund dem Bau entgegen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false