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Berliner Wirtschaft: Jetzt stehen die Arbeitgeber Schlange

Viele Unternehmen in Berlin können Stellen nicht besetzen, weil qualifizierte Bewerber fehlen

Der Unterrichtsstoff wird praktisch vermittelt: Eine Fertigungsstraße, voll mit Schaltern, Hebeln, Kontakten. Ihr gegenüber sitzen angehende Industrietechnologen mit Laptops auf dem Schoß. Die Berufsschüler sollen die Fertigungsstraße so programmieren, dass sie automatisch ein Ventil zusammenbaut. Im Siemens-Schaltwerk an der Nonnendammallee werden 1000 Schüler aller Berufsgruppen aus- und weitergebildet. Es ist ein Hochhaus voller Lehrer, Schüler und modernster Technik. „Das Besondere bei uns ist, dass wir immer Praxis und Theorie zusammen haben“, sagt Norbert Giesen von der Ausbildungsstätte. Fast alle Absolventen werden übernommen.

Fachkräftemangel kennt der Konzern nicht. Doch andere Betriebe finden keine geeigneten Leute. Umfragen der Industrie- und Handelskammer (IHK) und der Vereinigung der Unternehmerverbände in Berlin und Brandenburg (UVB) zeigen: Ein Großteil der Betriebe klagt bereits über die Probleme, qualifizierte Mitarbeiter zu finden (siehe Kasten).

„Die ganze Branche sucht“, sagte Klaus-Dieter Richter, Vizevorsitzender des Hotel- und Gaststättenverbandes Berlin. Von zehn Betrieben können laut UVB-Umfrage neun ihre Stellen nicht besetzen. Schon aus der Schule kämen viele ohne ausreichende Mathe- oder Sprachenkenntnisse. Die Unlust am Lernen setze sich in der Ausbildung fort. Viele brechen ihre Lehre ab.

Gelassener geben sich einige Betriebe. Das Hotel Adlon verweist auf seinen großen Namen und die damit verbundene Schwemme an Bewerbungen: Auf 30 bis 40 Plätze kommen jährlich 1000 Interessenten. Auch im Hotel Palace am Europa-Center herrscht kein Mangel. Ein Problem werde es aber bald geben, heißt es: „Wir suchen jemanden im Convention Sales Bereich.“ Doch das Palace ist nicht das einzige Haus, das eine Fachkraft für die Organisation und Verwaltung von Veranstaltungen braucht. „Alle suchen immer das Gleiche gleichzeitig“, sagt eine Sprecherin.

Ganz andere Sorgen hat die IT-Branche. „Es gibt ein deutlich abnehmendes Interesse an der Informatik“, sagt Bernd Völcker, Vorstand des Softwarehauses Infopark. Schuld daran seien zu theoretische und dröge Studiengänge. Nun setzt das Unternehmen viele Hebel in Bewegung: Es nutzt Internetnetzwerke wie Xing, herkömmliche Stellenanzeigen, Fachmessen und Kooperationen mit Hochschulen.

Der Frauenanteil in IT-Berufen liegt sogar unter zehn Prozent. Um dies zu ändern, veranstaltet das Oberstufenzentrum Informatik- und Medizintechnik in Neukölln am 25. Februar einen Aktionstag für Schülerinnen (Haarlemer Straße 27, 9 bis 16 Uhr, Tel.: 606 40 97).

Branchenübergreifend wird der Mangel an Fachleuten vor allem auf drei Faktoren zurückgeführt: Durch den demographischen Wandel gebe es weniger Bewerber für mehr Arbeit. Ein weiterer Grund ist unzureichende Qualifizierung. Sei es wegen schlechter Noten in der Schule oder weil die Unternehmen verschlafen haben, rechtzeitig auszubilden. Dazu kommt, dass die Konjunktur wieder anzieht und es mehr Arbeit gibt.

Auch Siemens spürt: Der Kampf um die besten Köpfe wird schwerer. „Wir bekommen die Leute nicht so einfach wie früher“, sagte Thede. Der Konzern stiftet sogar Experimentierkästen für Kindergärten, um schon die Kleinen für Technik zu begeistern. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) habe zwar keinen Mangel an Bewerbern, heißt es dort. Dennoch will es früh Kinder für das Berufsfeld begeistern. In Schülerlaboren in Adlershof können Schüler beispielsweise aus Wasser Energie gewinnen.

Helmut Schiffer, stellvertretender Pflegedirektor der Charité, sieht seinen Arbeitgeber in einer günstigen Ausgangsposition: „Als größte Universitätsklinik Europas bieten wir gewisse Anreize.“ Aber: „Je weniger Arbeitgeber in Ausbildung investieren, desto weniger Fachkräfte sind auf dem Arbeitsmarkt.“ Damit entspricht Schiffer ganz der Position des Deutschen Gewerkschaftsbundes. „Wer heute nach Fachkräften ruft, hätte sie gestern ausbilden müssen“, kritisiert die stellvertretende DGB-Vorsitzende im Bezirk Berlin-Brandenburg, Doro Zinke.

Eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Arbeit schlägt vor, ältere Arbeitnehmer umzuschulen. „Die könnten dann passgenau eingesetzt werden.“ Die meisten Betriebe setzen allerdings auf junge Menschen, die frisch von der Hochschule kommen. In der Konjunkturumfrage der IHK suchten von 1400 Unternehmen jeweils über 40 Prozent Bachelor- und Masterstudenten. „Je höher die Qualifikation ist, desto höher ist der Bedarf“, hat Uwe Gluntz von der Gesellschaft für Personalentwicklung Nord beobachtet. Die gpn hat 150 Firmen in Berlin in der Personalentwicklung beraten.

Über den Bedarf freuen sich auch die Zerspanungsmechaniker bei Siemens. Eine Klasse programmiert gerade Programme für eine Dreh- und Fräsmaschine. „Vor wenigen Jahren haben die Betriebe gedacht: Die brauchen wir nicht mehr“ sagt der Berufsschullehrer Klaus Wermuth. Doch die Metallverarbeitung hat sich seither gewandelt. Heute wissen die Schüler: Nach der Ausbildung stehen die Arbeitgeber Schlange.

Matthias Jekosch

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