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Berliner Wirtschaft: Kinder-Rendite

Mehr als nur sozial: Familienfreundliche Betriebe profitieren, wenn Beruf und Nachwuchs vereinbar sind

Christel Pisarek weiß nicht, wer sie für den Wettbewerb „Frau in Verantwortung“ vorgeschlagen hatte – von den Mitarbeitern ihres „O. T. Sanitätshaus Berlin“ habe sich jedenfalls noch niemand geoutet, sagt die Unternehmerin. Die Beschäftigten erklären jedoch gerne, warum die Chefin Ende voriger Woche den Preis des Bezirksamts Charlottenburg-Wilmersdorf erhielt, bei dem es besonders um familien- und frauengerechte Arbeit geht: In dem Sanitätshaus mit fünf Filialen und eigener Orthopädie-Werkstatt in Halensee sei es „überhaupt kein Problem“, den Beruf mit der Familie zu vereinbaren, sagen alle. Denn für Christel Pisarek ist die Motivation und Qualifikation ihrer Beschäftigten am wichtigsten: „Wenn die gut sind, können sie von mir aus fünf Kinder bekommen.“

Elf der 20 Mitarbeiter sind weiblich und neun davon Mütter. Eine arbeitet drei Tage pro Woche zu Hause und kommt nur in die Firma, wenn besonders viel zu tun ist. Andere haben Teilzeitstellen, die meisten jedoch einen Vollzeitjob. Die Chefin lobt, sie müsse wenig tun, um den Betrieb am Laufen zu halten – auch wenn ein Kind zum Arzt gebracht werden muss oder es andere familiäre Pflichten gibt. Vertretungen „organisieren meine Leute sehr gut untereinander“. Aber sie gewährt bei Bedarf zusätzlichen Mutter- oder Vaterschaftsurlaub und gibt Mitarbeitern frei, die sich um Angehörige kümmern. Orthopädiemeister Gerd Kampmann etwa besucht regelmäßig seine 80-jährige, pflegebedürftige Mutter in Freiburg. Von der Chefin bekomme er sogar „die Bahnfahrt geschenkt“, sagt er. Dafür arbeitet Kampmann auch mal sonntags, um Schuhe pünktlich fertigzustellen.

Für kleine und mittlere Unternehmen seien „familienfreundliche Rahmenbedingungen ein Erfolgsfaktor“, sagt Stephan Schwarz, Präsident der Handwerkskammer. Für viele Mitarbeiter sei es „genauso wichtig wie das Gehalt“, dass Job und Elternschaft zusammenpassen. Dies berge „die Gefahr, dass Qualifizierte das Unternehmen verlassen“, denn laut Studien können sich 78 Prozent der Beschäftigten den Arbeitsplatzwechsel zu einem familienfreundlichen Betrieb vorstellen. Um sie angesichts des Fachkräftemangels zu halten, müsse man „nicht gleich am großen Rad drehen“ und etwa eine Betriebs-Kita eröffnen. Gerade kleinere Betriebe könnten flexibel reagieren und Lösungen im persönlichen Gespräch finden.

„Es gibt nur Gewinner“, sagt Thomas Letz von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin über familiengerechte Konzepte: Die Gesellschaft profitiere davon, wenn Kinder geboren werden, und für Berlin seien gute Lösungen ein Standortvorteil, um Fachleute anzulocken. Firmen könnten ihre Belegschaft motivieren und die Fluktuation verringern. Es sei viel teurer, neue Fachkräfte anzuwerben und einzugliedern, als familienfreundliche Angebote zu machen. Letzteres vermindere auch den Stress der Eltern und senke laut Studien die Zahl der Fehlzeiten und Krankheitstage.

Gemeinsam mit dem Berliner Beirat für Familienfragen und dem DGB haben die Kammern jetzt den Wettbewerb „Unternehmen für Familie – Berlin 2010“ ins Leben gerufen (siehe Infokasten). Peter Ruhenstroth-Bauer vom Familienbeirat betonte, es gehe auch um die Interessen vieler Berliner, die Pflegebedürftige betreuen.

Der Beirat und IHK-Experte Letz empfehlen neben Teilzeit- auch Heimarbeit. Selbst kranke Mitarbeiter könnten so oft tätig bleiben, etwa durch Büroarbeit am Heimcomputer. Für die Kinderbetreuung haben Großunternehmen wie Bayer-Schering oder die Charité eigene Kitas. Für die am Potsdamer Platz ansässigen Konzerne Daimler, Sanofi-Aventis und Sony betreibt die Fröbel-Gruppe eine gemeinsame Tagesstätte in der Nähe. In Marienfelde leistet der Träger „Kaengoo“ dasselbe für das mittelständische Unternehmensnetzwerk Motzener Straße. Auch Tagesmütter oder Krabbelecken und -zimmer für Kinder in den Firmen können das Betreuungsproblem lösen.

In der Charlottenburger Solartechnikfirma ib vogt erlaubt es Gründerin Dagmar Vogt, dass Kinder mitgebracht werden. Im Mutterschaftsurlaub behalten Ingenieurinnen am Heim-PC den Zugang zum Intranet des Unternehmens und können auf Firmenkosten Sprachen lernen. Dafür wurde Dagmar Vogt bereits von der Wirtschaftsverwaltung zur „Unternehmerin des Jahres 2008/2009“ gekürt. Und laut der „Top-Job-Studie“ gehört sie deutschlandweit zu den 100 besten mittelständischen Arbeitgebern.

Familienfreundlich geht es auch beim Schöneberger Baustoffhändler „Bauking Kapella“ zu: Eltern mit Kindern unter 14 Jahren haben bei der Urlaubsplanung Vorrang und bekommen auf Wunsch drei Wochen zusammenhängenden Jahresurlaub. „Alle, die Kinder haben, können irgendwann davon profitieren“, heißt es, damit sei für Gerechtigkeit gesorgt.

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