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Berliner Wirtschaft: Kopf-an-Kopf-Rennen

Berlin hat die meisten Verlage in Deutschland. Ihre Programme laufen gut. Trotzdem liegt München vorn Die Häuser dort machen mehr Umsatz. Und sie bringen mehr Bücher auf den Markt

Berlin ist vulgär, grob und ein wenig lächerlich - aber es brodelt. Die perfekte Stadt für Literatur. Das findet zumindest Elisabeth Ruge, Mitgründerin und Chefin des Berlin-Verlags. Trotzdem sagt sie: „Es ist keine gute Idee, Geld mit Literatur machen zu wollen.“ Die Statistiken geben ihr Recht: Berlin ist Verlagshauptstadt – wenn man von der Zahl der Verlage ausgeht. Wirtschaftlich gesehen liegt jedoch München vorn. Die beiden Städte liefern sich seit Jahren ein Rennen an der Spitze der Statistiken. Hamburg und andere deutsche Verlagsstädte sind „weit abgeschlagen“, sagt Detlef Bluhm vom Landesverband Berlin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.

Mit 153 Verlagen führt Berlin jetzt zum ersten Mal die Statistik des Berichts „Buch und Buchhandel in Zahlen“ an, der vom Börsenverein des deutschen Buchhandels herausgegeben wird. München folgt mit 151. Laut Bluhm ist Berlin jedoch schon viel länger die Stadt mit den meisten Verlagen. Er schätzt, dass es insgesamt rund 300 gibt. Viele kleine Häuser sind nicht bei dem überregionalen Verband registriert.

Auch beim Umsatz seien die Zahlen nicht eindeutig. Laut Steuerstatistik lag Berlin mit 500 Millionen Euro 2006 weiterhin auf Platz zwei hinter München. Einige der großen Verlage rechneten jedoch bei Firmensitzen in anderen Bundesländern ab, sagt Bluhm. Er schätzt, dass Verlage, die ihren Hauptsitz in Berlin haben, insgesamt rund 1,4 Milliarden Euro umsetzen – wenn man die mit ihnen verbundenen Unternehmen hinzunimmt. Rechnet man wie Bluhm, kann man die Zahl jedoch nicht mehr mit der von München vergleichen.

Bei den Neuerscheinungen liegt die bayrische Landeshauptstadt ebenfalls weiter vorne: Mit 8741 Publikationen vor Berlin mit 8399. „Wirtschaftlich ist München nicht einzuholen“, glaubt Ullrich Hopp vom Bebra-Verlag, der vier Mitarbeiter beschäftigt. Berlin als Verlagsstadt zeichne sich durch die große Vielfalt aus. Das liege vor allem an den vielen kleinen Verlagen, sagt Bluhm. „In dieser Hinsicht ist Berlin auf jeden Fall Deutschlands Verlagshauptstadt“. Die kleinen Verlage würden Trends entdecken und Wege abseits der ausgetretenen Pfade einschlagen. Und immer wieder sind die Bücher der kleinen Häuser sehr erfolgreich. Wie zum Beispiel der „Berliner Currywurstführer“ des Bebra-Verlags. Seit sieben Jahren sei der Markt für Berlin-Bücher aber wesentlich schlechter, sagt Ulrich Hopp. Nach einer kurzen Krise entpuppte sich das für Bebra als Chance. Hopp erweiterte sein Programmm. In den vergangenen drei Jahren sei es besonders gut gelaufen, sagt Hopp. 2006 schrieb das Unternehmen schwarze Zahlen. Auch der Berlin-Verlag steigerte 2006 seinen Umsatz – um 7,5 Prozent auf 8,7 Millionen Euro. Mit 40 Mitarbeitern ist der Verlag mittelgroß. „Wir wachsen nicht raketenartig, sondern gemächlich“, sagt Verlegerin Ruge. Sie setzt auf ein „ausgesprochen literarisches Programm“.

Führend sei Berlin jedoch bei Wissenschafts- und Schulbuchverlagen, sagt Bluhm. Hier sei die Stadt der stärkste Standort in Deutschland – in Bezug auf Mitarbeiter, Umsätze und Titel. Der Springer-Wissenschaftsverlag und Cornelsen sind zwei der wichtigsten Berliner Verlage. Cornelsen ist auch einer der Hauptauftraggeber der Industriebuchbinderei Stein + Lehmann. Berlin biete ihnen jedoch keinen Standortvorteil, sagt Geschäftsführer Arno Stein. „Wo wir sitzen, ist den Verlagen wurscht, es zählen nur Preise und Termine.“ Viele Verlage ließen in Leipzig drucken. Das sei ein klassischer Druckstandort, der sich seit der Wende besonders gut entwickelt habe.

Leipzig war wie Berlin zu Beginn des 20. Jahrhunderts das, was Bluhm „Verlagsmetropole“ nennt. Zurzeit gebe es so etwas in Deutschland nicht. Berlin fehlten dazu die großen Publikumsverlage wie Rowohlt, Suhrkamp, Fischer. Die meisten unterhalten zwar eine Dependance in Berlin, der Hauptsitz bleibe aber in Hamburg, Frankfurt oder wie in den meisten Fällen in München. „Das wird sich nicht so schnell ändern, aber hoffentlich in den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten“, sagt Bluhm. Einzig der Ullstein-Verlag ist 2004 nach Berlin gezogen. Während Berlins Status als Verlagshauptstadt noch wackelt, ist die Stadt unangefochtene Autorenhauptstadt: Schriftsteller und Wissenschaftler aus der ganzen Republik kommen nach Berlin, um hier zu arbeiten. „Berlin ist das Experimentierfeld der Gegenwart“, sagt Bluhm. Lesungen, Kolloquien, Poetry-Slams – das geistige Umfeld sei ein Standortfaktor für die Verlage. Die Berliner Lektoren sind oft näher an den Autoren als die Münchner, die zu Veranstaltungen einfliegen müssen. Kultur werde in Berlin endlich als „harter Wirtschaftstandortfaktor“ anerkannt. Trotzdem gibt es keine besondere Wirtschaftsförderung für die Branche wie in den Achtzigern. Für Verlage sei es besonders schwierig, Kredite zu bekommen, sagt Bebra-Chef Hopp. Dabei müsse der Senat den Verlegern unter die Arme greifen. Am heutigen Mittwoch versuchen Bluhm und weitere Mitglieder des Landesverbands des Börsenvereins in einem Strategiegespräch, Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS) davon zu überzeugen.

Trotz der Schwierigkeiten sei Berlin ein Zentrum für Verlagsgründer, sagt Hopp: „Wahrscheinlich gibt es hier mehr Verrückte als anderswo – und das meine ich positiv.“ Doch die Verlage seien für Berlin wirtschaftlich nicht besonders wichtig, sagt Bluhm. Der gesamte Deutsche Buchhandel mache weniger Umsatz als Aldi Süd. „Verlage sind mehr als ein ökonomischer Faktor. Sie sind wichtig für das gesellschaftliche Leben.“

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