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Subventionen: Brüsseler Spritzen für Berlin

1,2 Milliarden Euro EU-Fördermittel fließen bis 2013 nach Berlin. Das ist Treibstoff für den Wirtschaftsstandort.

Von Anna Sauerbrey

Seit März hat Uwe Feindt einen neuen Titel: Er ist Baustellenmanager. „Seine“ Baustelle sind 500 Meter aufgerissenes Kopfsteinpflaster in der Einkaufsstraße Alt-Rudow, am Ende der U-Bahnlinie 7, dort, wo Berlin fast Kleinstadt ist. Wasser-, Abwasser- und Gasrohre werden neu verlegt. Was das mit Europa zu tun hat? Das Gehalt des Baustellenmanagers kommt aus Brüssel. Rund 100 000 Euro an „wirtschaftsdienlichen Mitteln“, die aus dem EU-Fonds für regionale Entwicklung (Efre) stammen, stellt die Senatswirtschaftsverwaltung bis 2010 für das Projekt „Zukunft Rudow“ zur Verfügung. Die Initiative ging von hier ansässigen Händlern aus: Sie sehen sich unter Druck wegen der vielen Einkaufszentren und befürchten weitere Umsatzeinbrüche, jetzt, da in ihrer kleinen Straße ein langes Loch klafft und die Parkplätze sowie die Bushaltestelle verschwunden sind. Die Aufgabe des Baustellenmanagers: einen Marketingplan aufstellen und Kontakt zur Baustellenleitung halten.

Das Projekt ist nur eine von vielen Maßnahmen zur Wirtschaftsförderung, in die Geld aus den Strukturfonds der EU fließen. Zwar maßen die Berliner bei den vorigen Wahlen zum Europaparlament der europäischen Politik nur geringe Bedeutung bei, weniger als die Hälfte ging zur Wahl. Tatsächlich ist Europa aber für Berlins Wirtschaftspolitik von großer Bedeutung. „Jeder dritte Euro, den wir in der Wirtschaftsförderung ausgeben, kommt aus Brüssel“, sagt Jens-Peter Heuer, Staatssekretär in der Wirtschaftsverwaltung. Das sind jedes Jahr etwa 140 Millionen Euro. Viele Förderprogramme wären ohne EU-Gelder gar nicht denkbar. Zum Vergleich: Aus dem Konjunkturpaket II der Bundesregierung erhält Berlin bis 2010 einmalig 474 Millionen Euro.

Da eines der wichtigsten Gemeinschaftsziele der EU die Angleichung der Lebensverhältnisse in den einzelnen Mitgliedsstaaten und ihren Regionen ist, gibt die Gemeinschaft einen beträchtlichen Teil ihres Haushalts für die strukturelle Förderung aus. Berlin profitiert davon in der laufenden Förderperiode 2007 bis 2013 mit 1,2 Milliarden Euro. Der größte Batzen ist der Efre, aus dem 876 Millionen Euro stammen. Die EU-Strukturförderung ist fast eine Art erweiterter Länderfinanzausgleich.

Die Bundesrepublik gehört zwar zu den sogenannten Nettozahlern der EU, das heißt, sie zahlt mehr an Beiträgen in den europäischen Haushalt ein, als sie zurückerhält – im Jahr 2006 waren es 7,4 Milliarden Euro. Gerade Berlin und die ostdeutschen Länder aber haben auch in Milliardenhöhe von der europäischen Geldumwälzung profitiert. Berlin hat sich inzwischen so gut entwickelt, dass es von der Gemeinschaft in dieser Förderperiode nur noch als Ziel-2-Region in einem dreistufigen Bedürftigkeitsranking eingeordnet wird.

Die Projekte und Unternehmen, in die die Mittel für Berlin fließen, sind vielfältig. Ein wichtiges Ziel ist es, die Stadt als Technologiestandort zu etablieren. BerlinSolar zum Beispiel, eine Tochterfirma des kalifornischen Unternehmens CaliSolar, erhält zur Entwicklung von neuen Herstellungsverfahren für Solarzellen 1,2 Millionen Euro. Die Hälfte stammt aus dem Fonds für regionale Entwicklung, die andere Hälfte aus Landesmitteln, denn für alle Programme gilt: Jeder Euro aus einem Strukturfonds muss durch einen privaten oder landeseigenen Euro gegenfinanziert werden. 30 Mitarbeiter arbeiten in Adlershof seit 2006 daran, kostengünstigere Verfahren zur Solarzellenproduktion zu entwickeln, konkret den Energieeinsatz bei der Gewinnung von Roh-Silizium zu reduzieren. Ohne die EU-Gelder wäre die Gründung kaum möglich gewesen. „Die Fördergelder aus Berlin und Europa waren in der Anfangsphase zum Überleben wichtig, da wir zunächst nur von relativ wenig Risikokapital finanziert waren“, sagt Fritz Kirscht, Managing Director der Firma.

Auch in vielen Wirtschaftsförderprogrammen, die von der Investitionsbank Berlin(IBB) im Auftrag des Senats entwickelt und verwaltet werden, stecken Strukturfonds-Gelder. Sie finden sich in Programmen für Weiterbildung, für Investitionen in Betriebsstätten und für die Erschließung neuer Märkte. Aus einem IBB-Existenzgründerprogramm erhielt zum Beispiel Esther Kempar ein Darlehen. 2002 war die Schokoladenfirma, bei der sie gearbeitet hatte, in die Insolvenz gegangen und Kempar machte sich mit „Estrellas Chocolaterie“ in der Akazienstraße in Schöneberg selbstständig. Dass ihr Darlehen von 15 000 Euro zur Hälfte aus EU-Mitteln stammte, war ihr zunächst gar nicht bewusst. Beraten hatte sie die IBB, ausgezahlt hatte den Kredit ihre Hausbank. Die Brüsseler Euros wirkten wie Berliner Euros.

Ein dritter Mechanismus ist die Wirtschaftsförderung der Bezirksämter. Europäische Gelder fließen in Projekte, die strukturschwache Kieze stärken sollen. Tempelhof-Schöneberg und Mitte investieren zum Beispiel gemeinsam mit der EU in das Medienviertel „mstreet“, Marzahn und Hellersdorf geben Brüsseler Euros für die Entwicklung eines Industriegebietes aus und Rudow leistet sich den Baustellenmanager. Sein aktuelles Ziel in den Verhandlungen mit dem Tiefbauamt: das Loch in Alt-Rudow zum Jahresende vorübergehend zu schließen, damit dort wenigstens über Weihnachten mal wieder die Geschäfte statt nur die Bagger brummen.

Mehr zum Thema Fördertöpfe können Sie ab Freitag im Tagesspiegel-Mittelstandsmagazin „Berlin maximal“ lesen.

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