zum Hauptinhalt

Unternehmensgründungen: Berliner gründen gern und gehen oft pleite

Im Vergleich zu anderen Städten hat Berlin die Nase vorn bei dem Schritt in die Selbstständigkeit - trotz verbesserter Arbeitsmarktlage. Die Hauptstadt ist als Produktionsstandort gefragt.

Obwohl die Wirtschaft wächst und neue Arbeitsplätze entstehen, wagen nach wie vor viele Berliner den Schritt in die Selbstständigkeit. Mit 203 Neugründungen auf 10 000 Erwerbstätige sei die Hauptstadt im Vergleich zu anderen Städten die aktivste Gründermetropole, heißt es in einem am Mittwoch von der Bürgschaftsbank Berlin-Brandenburg (BBB) präsentierten Gründerindex für das Jahr 2006. In München kommen auf 10 000 Erwerbstätige 169 Gründer, in Frankfurt am Main 154. Auch im ersten Quartal 2007 waren die Berliner in Gründerlaune, auf 10 000 Erwerbstätige kamen 52 Neugründungen, deutschlandweit lag dieser Wert bei 42. „Berlin bleibt der deutsche Gründerchampion, und das ist gut für die Region“, sagte BBB-Geschäftsführerin Waltraud Wolf.

Verändert haben sich offenbar die Gründe fürs Gründen. In den vergangenen Jahren entschieden sich viele Menschen für die Selbstständigkeit, um der Arbeitslosigkeit zu entgehen. So bezogen 2004 noch rund 75 Prozent der Berliner Gründer eine Förderung durch die Arbeitsagentur. „Das Gründungsgeschehen hat sich von der arbeitsmarktpolitischen Förderung emanzipiert“, sagte Klaus Semlinger, Vizepräsident der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, der den Gründerindex erstellt hat. Heute beziehen noch 39 Prozent der Berliner Gründer eine Förderung, im Bundesdurchschnitt sind es 31 Prozent. Dass die Gründungsbereitschaft trotz rückläufiger Förderzahlen und besserer Jobchancen hoch bleibe, ist Semlinger zufolge ein Zeichen dafür, dass sich die Selbstständigkeit als Alternative zu einer Anstellung breiter im allgemeinen Bewusstsein verankert habe.

Bei den meisten Gründungen handelt es sich um Kleingewerbe: die Eröffnung einer Würstchenbude oder eine selbstständige Existenz als Immobilienmakler. Nur in jedem sechsten Fall wird ein sogenannter „echter Betrieb“ aufgebaut, der auch Mitarbeiter einstellt. Bei diesen Betrieben hat sich Berlin im ersten Quartal 2007 nicht so gut entwickelt wie andere Standorte. Das zeigt sich beim Saldo aus Neugründungen und Schließungen. Während es im Bundesgebiet 16 Prozent mehr An- als Abmeldungen gab, lag der Wert in Berlin bei nur sieben Prozent. Neue Firmen entstehen überwiegend im Dienstleistungssektor, im Handel und im Baugewerbe. Beim Vergleich mit anderen Wirtschaftsmetropolen fällt auf, dass in Berlin relativ viele Betriebe des verarbeitenden Gewerbes gegründet werden. 2006 entstanden hier mit rund 1200 Unternehmen fast so viele wie in Hamburg, München, Köln, Frankfurt und Stuttgart zusammen. „Der Erneuerungsprozess der Berliner Industrie, der unmittelbar nach der Wiedervereinigung eingesetzt hatte, hält offenbar an“, sagte Wirtschaftswissenschaftler Semlinger.

Seit 1990 sind der Stadt mehr als 160 000 Industriearbeitsplätze verloren gegangen. Da an jedem Arbeitsplatz in der Produktion weitere Dienstleistungsjobs hängen, war der Niedergang der Industrie einer der Hauptgründe für die steigende Arbeitslosigkeit. Laut Semlinger sind die verbleibenden Berliner Betriebe heute deutlich wettbewerbsfähiger als zu Mauerzeiten. Das rege Gründungsgeschehen zeige, dass Berlin als Produktionsstandort wieder attraktiv sei. „Das liegt unter anderem an den hochwertigen Forschungseinrichtungen der Stadt, aus denen heraus Hightechfirmen gegründet werden“, sagte Semlinger. Alexander Visser

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false