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Wirtschaftsprognose: Berlins Schwäche mildert die Krise

Wenn Schwäche zur Stärke wird. Die Berliner brauchen die Folgen des Krisenjahres 2009 nicht dermaßen fürchten wie andernorts. Das hat vor allem einen Grund: Es gibt so gut wie keine Industrie in Berlin. Experten rechnen mit einer Stagnation des Wirtschaftswachstums.

Falls das neue Jahr sich für Berlins Unternehmen so entwickelt, wie das alte zu Ende geht, wird trotz der weltweiten Finanzkrise wohl alles nicht so schlimm. Zum Beispiel hat das größte Berliner Hotel, das Estrel in Neukölln, das „zweitbeste Jahr nach unserem Rekordjahr 2007“ hinter sich und ist über Silvester ausgebucht. Unverändert sind rund 50 Hotelneubauten in der Stadt geplant, acht davon sollen 2009 eröffnen. Christian Tänzler von der Berlin Tourismus Marketing GmbH erwartet eine „leichte Steigerung“ der Übernachtungszahlen von zuletzt 17,75 Millionen jährlich auf „um die 18 Millionen“. Vor allem die Leichtathletik-WM und die Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag des Mauerfalls seien wichtige Attraktionen.

Aber auch andere Branchen sehen Grund zur Zuversicht: Die Einzelhändler blicken zufrieden auf das Weihnachtsgeschäft zurück und sind laut Handelsverband „noch optimistisch“. Entscheidend werde sein, wie sich der Arbeitsmarkt in der Region entwickele, sagt Vize-Hauptgeschäftsführer Günter Päts. Schließlich hänge die Kauflust und -kraft der Berliner davon ab, ob sie einen Job haben.

Bisher habe die Finanzkrise die meisten Firmen nicht erreicht, heißt es in einer IHK-Bilanz. Auch von einer „Kreditklemme“ könne keine Rede sein, die Banken und Sparkassen setzten ihre Finanzierungspraxis fort. Die „große Verunsicherung“ in vielen Betrieben könne allerdings Investitionen bremsen.

Firmen in Wachstumsbranchen wie der Solartechnik und der Gesundheitswirtschaft expandieren indes weiter. Schon jetzt werden 35 Prozent aller deutschen Solarmodule in Berlin und Brandenburg gefertigt, die Region ist bundesweit führend. In Berlin sichert die Solarwirtschaft rund 1000 Arbeitsplätze. Sulfurcell plant ein neues Werk in Adlershof, während Inventux gerade eine Produktionsanlage in Marzahn eröffnet hat (siehe auch nebenstehenden Text).

Unter auswärtigen Unternehmen ist der Standort Berlin immer beliebter geworden: Die Wirtschaftsfördergesellschaft Berlin Partner siedelte in diesem Jahr 128 Firmen mit rund 5900 Arbeitsplätzen an – allen voran den US- Kommunikationsdienstleister Sitel, der in Siemensstadt 1000 Jobs schaffen will. Als wichtiger Neuzugang gilt auch der Deutschlandsitz des US-Pharmakonzerns Pfizer. Für 2009 erwartet René Gurka, Geschäftsführer von Berlin Partner, allerdings einen Rückgang auf das Niveau von 2005 – damals wurden 75 Firmen angesiedelt. Gleichzeitig werde aber „die Attraktivität Berlins als Messe- und Kongressstandort in der Krise noch zunehmen“.

So sieht es auch die Messe Berlin, die gerade das erfolgreichste Geschäftsjahr ihrer Geschichte abschließt. Die Funkausstellung und die Tourismusbörse zogen mehr Aussteller und Besucher an als je zuvor, auch für die Grüne Woche im Januar ist ein Ansturm absehbar. Vor allem floriert das Kongressgeschäft, dessen Umsatz auf 20 Millionen Euro stieg. Laut einer Erhebung der „International Congress & Convention Association“ ist Berlin auf Platz zwei der weltweiten Konferenzstädte gerückt und lag mit 123 Kongressen nur hinter Wien (154).

Die Gastronomie stöhnt weniger über die Finanzkrise als über schärfere Vorschriften. Auf das Rauchverbot in Lokalen folgt ab Januar in sechs Bezirken eine Vorschrift, die Heizpilze, große Blumenkübel, Dekomaterial und Speisekartenaufsteller in Schankvorgärten untersagt. Berlins Hotel- und Gaststättenverband kündigt Widerstand an: Vizepräsident Klaus- Dieter Richter will sich beim runden Tisch Tourismus des Regierenden Bürgermeisters beschweren und Wirte bei eventuellen Klagen unterstützen.

Mit Vorschriften und den verantwortlichen Politikern hadert auch der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer, Jürgen Wittke. Angesichts der Finanzkrise und der Erhöhung der Lkw-Maut seien „Kompromisse bei der Umweltzone nötig“. Denn ab 2010 will der Senat nur noch Autos mit grüner Plakette in die Innenstadt fahren lassen. Wittke nennt dies „ein Damoklesschwert“ für viele Handwerks- und Fuhrunternehmen, die es sich nicht leisten könnten, ihre Fahrzeuge mit gelber Plakette auszutauschen. Die Wagen seien oft erst zwei bis drei Jahre alt.

Die Finanzkrise „kommt erst mit Zeitverzögerung im Handwerk an“, sagt Wittke. Im Bauhandwerk sei „noch nicht viel spürbar“. Der Senat solle die Branche durch mehr energetische Gebäudesanierungen und Schulsanierungen in Schwung bringen, fordert die Kammer. Erfreulich sei der Baubeginn für den Flughafen BBI in Schönefeld, der sich zum „wichtigen Motor für den Mittelstand“ entwickele. Die Kfz- Branche kann von einem solchen Motor nur träumen: Autozulieferer litten schon unter der Krise, sagt Wittke, aber auch Werkstätten dürften Probleme bekommen: Autofahrer tendierten dazu, „nur noch TÜV-relevante Mängel“ reparieren zu lassen.

Insgesamt rechnen IHK und Investitionsbank nicht mehr mit einem Wirtschaftswachstum in Berlin. „Wenn es gut läuft, haben wir 2009 eine Stagnation“, sagt die IHK-Bereichsleiterin für Wirtschafts- und Finanzpolitik, Petra König. Die Stadt werde sich immerhin „besser behaupten als ganz Deutschland“, denn bundesweit sagen Institute ein Minuswachstum voraus. Ausgerechnet die Schwächen Berlins milderten die Krisenfolgen, sagt König: Der Industrieanteil und die Bedeutung von Exporten seien „unterdurchschnittlich“. Immer wichtiger würden junge Unternehmen in Hochtechnologiezentren wie Adlershof und Buch. Diese seien oft in Nischenmärkten aktiv und als Vorreiter gut gegen Krisen gewappnet.

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