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Wirtschaft: Berliner Wirtschaftsforscher unter Druck

BERLIN (mo).Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ist ins Fadenkreuz der Politik geraten.

BERLIN (mo).Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ist ins Fadenkreuz der Politik geraten.Den Berlinern ging jetzt ein erhoffter Auftrag durch die Lappen: Für das Projekt "Technologische Leistungsfähigkeit", das vom Bundesforschungsministerium jährlich neu ausgeschrieben wird, haben die Berliner die Federführung verpaßt.Die soll nun dem Newcomer der Wirtschaftsforschungsszene, dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), und dem Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) zugesprochen werden - obwohl sich das WZB nicht einmal offiziell dafür beworben hatte.

Für das DIW ist das keine Kleinigkeit.Immerhin sind die Berliner Wissenschaftler auf die sogenannte Auftragsarbeit angewiesen.Neben dem Grundetat von zuletzt 15 Mill.DM, der zu gleichen Teilen von Bund und Ländern getragen wird, sammelt das Institut fast noch einmal soviel aus Gutachten und Aufträgen von Dritten ein: wichtige Auftraggeber sind die Bundesministerien.

In diesem Jahr aber machte das DIW weniger durch seine wirtschaftswissenschaftliche Leistungsfähigkeit als durch Mißerfolge Schlagzeilen.So preschten die Berliner wenige Tage vor der Niedersachsen-Wahl mit einer Analyse vor, nach der Deutschland die Maastricht-Kriterien klar verfehle.Mitarbeiter der DIW-Konjunkturabteilung unter Leitung von Lafontaine-Berater Heiner Flassbeck unterstellten, daß die amtlichen Berechnungen des Etatdefizits nicht richtig seien und die Teilnahme an der Währungsunion in Gefahr sei.Kurz darauf mußte das Institut einräumen, daß man aufgrund des verfügbaren Datenmaterials zu anderen Ergebnissen gekommen sei.Für die politische Unsensibilität von zwei DIW-Mitarbeiterinnen aber, die ihre Bedenken vor offenen Mikrofonen und laufenden Kameras anmeldeten, werden die Wirtschaftsforscher mittlerweile zur Kasse gebeten.Weder die offzielle Entschuldigung beim Statistischen Bundesamt in Wiesbaden noch die klärenden Worte, die DIW-Präsident Lutz Hoffmann an Theo Waigel, Wolfgang Schäuble und Günter Rexrodt schrieb, konnten verhindern, daß das Institut in Mißkredit geriet: Der geplatzte Auftrag aus dem Rüttgers-Ministerium ist nur ein Indiz dafür.

Manch einer im DIW hatte die Abfuhr kommen sehen.Schließlich mußte die zuständige Abteilung nur wenige Tage nach dem unseligen Streit um die richtige Defizitquote zur Präsentation im Bonner Forschungsministerium antreten.Gerade CDU-Forschungsminister Jürgen Rüttgers aber wird eine besonders kritische Haltung zu den Arbeiten des DIW nachgesagt.Obwohl Hoffmann glaubte, mit dem Minister in einem "bereinigenden Telefonat" bestehende Vorurteile ausgeräumt zu haben, hält Rüttgers an seiner Überzeugung fest, das Institut habe seine wissenschaftliche Befähigung in den Dienst politischer Stimmungsmache gestellt.

Es ist nicht zu übersehen: Das Klima zwischen der amtierenden Regierungskoalition und den Berliner Wirtschaftsforschern ist gestört.Zu eindeutig hat sich Konjunkturexperte Flassbeck auf die Seite des SPD-Vorsitzenden und Schattenfinanzministers Oskar Lafontaine gestellt, als daß Christdemokraten und Liberale beim Maastricht-Desaster des DIW an einen Zufall glauben wollen.

Zwar sind traditionell führende Köpfe im DIW Mitglied der SPD: etwa der ehemalige DIW-Präsident und heutige Chef der Hamburger Landeszentralbank Hans-Jürgen Krupp, der in den 80er Jahren im SPD-Schattenkabinett für den Posten des Bundeswirtschaftsministers vorgesehen war, oder Ex-Präsident Klaus-Dieter Arndt, einst Parlamentarischer Staatssekretär für die SPD in Bonn.Die offene Parteinahme Flassbecks aber hat die Bonner CDU-Politiker nachhaltig verärgert.Mit wissenschaftlicher Unabhängigkeit, heißt es unisono, ließe sich diese Art der Politikberatung nicht in Einklang bringen.Der Umstand, auf den DIW-Mitarbeiter aufmerksam machen, daß der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Horst Siebert, dem Bundeskanzler nahesteht, interessiert die Regierungsmannschaft freilich nicht so sehr.

Hingegen ist in Bonn noch gut in Erinnerung, daß sich das DIW mit der Aussage, Deutschland habe kein Standort-, sondern ein Beschäftigungsproblem, bei Regierung, Industrie und Verbänden in die Nesseln setzte.Sogar das Kuratorium und der Freundeskreis des DIW gingen damals auf die Palme.Alexander von Tippelskirch, seinerzeit Vorsitzender des Kuratoriums und langjähriger Vorstand der Industriekreditbank, protestierte, industrielle Gönner kehrten dem Institut den Rücken.Auch dem Bundesverband der Deutschen Industrie, im Vorstand des DIW mit seinem Hauptgeschäftsführer Ludolf von Wartenberg vertreten, soll das nachhaltig die Laune getrübt haben.Konsequenzen hat man im DIW bisher allerdings nicht gezogen.Einen Maulkorb will der nach eigener Einschätzung "eher liberale" Institutspräsident Hoffmann seinen Mitarbeitern nicht verpassen.Das gilt auch für Heiner Flassbeck, auf den er "fachlich" nichts kommen läßt."Politische Erpressungsversuche" liefen beim DIW ins Leere.Außerdem läuft die zweite Amtszeit des Präsidenten im September 1999 aus.Bis dahin hat Hoffmann gut zu tun, die interne Umstrukturierung geräuschlos über die Bühne zu bringen.

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