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Bernd Gottschalk, Autogeschäftsexperte: "Vieles geschieht, was vor kurzem undenkbar war"

Ex-Autoverbandschef Bernd Gottschalk über die Krise in Amerika und die Stärken der deutschen Autobauer.

Herr Professor Gottschalk, haben Sie sich jemals vorstellen können, dass die Amerikaner den Großteil ihrer Autoindustrie verstaatlichen?



Vieles geschieht derzeit, was vor kurzem noch undenkbar war. Dazu gehört auch der gewachsene Einfluss des Staates auf die Wirtschaft. Dafür trägt zuallererst die Finanzwelt die Verantwortung. Aber auch die US-Autoindustrie hat Chancen vertan, sich aus eigener Kraft im Wettbewerb zu behaupten. Der Staat handelt heute aktiv und entschlossener, wie die Finanzmarktstabilisierung oder die Konjunkturprogramme in Deutschland zeigen. Das ist gut. Aber er wäre auch gut beraten, sich aus Banken und Unternehmen wieder zurückzuziehen.

Welche Chancen haben Chrysler und GM?

Die US-Autoindustrie wird nach den chirurgischen Eingriffen eine andere sein. „Größe“ wird nicht mehr das Erfolgsrezept sein, sondern „Wettbewerbsfähigkeit“. Insofern können neue, schlanke und dezentraler organisierte, global tätige US-Firmen sehr wohl eines Tages wieder zu neuer Stärke kommen. Ford versucht das ganz aus eigener Kraft. Allianzen haben ihre eigenen Gesetze, da sieht das reale Leben oft anders aus als die beschwörenden Gemeinsamkeitsappelle bei der Hochzeit. Stückzahlen alleine reichen da nicht, wenn Kulturen nicht passen oder die Komplexitäten zu hoch sind. Vergessen wir nicht: In der Zukunft braucht diese Industrie weniger Kapazitäten als Kapital, und zwar vor allem Humankapital und Mittel für Forschung und Entwicklung. Wer das nicht ausreichend hat, bekommt Probleme.

Wer überlebt überhaupt die Krise?

Diese Frage wird gestellt, seit es die Autoindustrie gibt, und sie wird wohl gestellt, so lange es sie gibt. Man darf aber nicht verkennen, dass sich die Konzernstrukturen geändert haben. Volkswagen zum Beispiel gelingt der Spagat aus notwendiger Größe und Eigenständigkeit attraktiver Marken im eigenen Konzern. Andere werden sich stärker für Kooperationen öffnen. Aus China werden neue Konzerne hinzukommen.

Also spielt Größe doch keine Rolle?

Schon, aber wenn die Vorteile der großen Serie durch die Kosten der Vielfalt kaputtgehen, ist nichts geholfen. Größe ist nicht allein entscheidend. Viel wichtiger werden die Attraktivität der Produktpalette, die Intelligenz der Produktionsordnung, die Kraft der Marken und der Teamgeist der Truppe sein.

90 Millionen Autos könnten in diesem Jahr weltweit gebaut werden – nur für etwa die Hälfte gibt es eine Nachfrage. Wann pendelt sich dieses Verhältnis wieder ein?

Die Überkapazitäten sind das Hauptproblem unserer Branche. Sie zu reduzieren, gelingt nicht wirklich, neue entstehen aber, wo Wachstum erschlossen werden muss. An diesem Problem haben aber alle ihren Anteil: Die Staaten subventionieren die Anwerbung, die Ministerpräsidenten, die um die Werke kämpfen, wie die Betriebsräte, die die Arbeitsplätze verteidigen. Im Grunde geht es darum, wie man am Hochlohnland Deutschland mit guten Produkten flexibel und wirtschaftlich erfolgreich arbeiten kann. So wurde bei uns ein Export von mehr als vier Millionen Pkw pro Jahr möglich. Die Krise wirft die Industrie aber zurück und erhöht noch die Diskrepanz.

Wenn die Wachstumsmärkte in den BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China liegen – was folgt daraus für die Produktionsstruktur unserer Industrie?

Die deutsche Autoindustrie hat hierfür das richtige Konzept: eine starke Heimatbasis und zugleich einen globalen Produktionsverbund mit Standorten in Wachstumsmärkten. Der Prozess ist aber noch nicht am Ende, wie die Ausbaupläne für Russland, Indien oder sogar USA zeigen. Mitwachsen, wo es Wachstum gibt, Verdrängungswettbewerb, wo man die besseren Karten – sprich Produkte und Kosten – hat, ist nicht das schlechteste Rezept. Dann sichern auch Investitionen im Ausland Arbeitsplätze in Deutschland.

Experten sind für eine Verbindung von Daimler und BMW. Was ist da nötig?


Experten oder sogenannte Experten…? Die beiden Unternehmen wissen selbst am besten, wo sie zusammenarbeiten können – siehe Einkauf – und wo die Strahlkraft der beiden großen Marken Grenzen setzt.

Daimler beteiligt sich an Tesla, VW schmiedet eine Allianz mit einem chinesischen Elektrofahrzeughersteller. Wie gut sind die deutschen Hersteller bei Elektroautos aufgestellt?


Die ersten „e-smarts“ laufen bereits in London, und die Lithium-Ionen-Batterie wird zuerst in deutschen Autos verbaut – „green premium“ sozusagen. Niemand wird später einmal sagen können, die Deutschen hätten die Elektromobilität verschlafen.

Wie groß wird der Anteil batteriebetriebener Fahrzeuge in zehn Jahren sein?

Ich bin davon überzeugt, dass die „urbane Mobilität“ und das „Zweitauto“ in der Familie eine neue Liaison eingehen. Unsere Expertisen bestätigen, dass in Großstädten die Elektrifizierung von Fahrzeugen eine große Zukunft hat. Hier erwarten wir schon 2020 spürbare Marktanteile, sofern die Infrastruktur steht. Der Kunde muss aber wissen, dass Nullemission nicht mit Null-Zusatzkosten zu haben ist. Auf langen Strecken sieht das anders aus: Da ist der nochmals effizientere Verbrennungsmotor noch lange nicht am Ende. Langfristig muss er sich aber auf einen Wettlauf mit Brennstoffzelle und Wasserstoff einstellen.

Das CO2-Thema ist von der Absatz- und Wirtschaftskrise verdrängt worden.

Das sehe ich anders. Das CO2-Thema mag aus den Schlagzeilen der Medien und manchen Sonntagsreden verdrängt worden sein, in den Entwicklungsstuben von Herstellern und Zulieferern hat es höchste Priorität. In Europa wird sich noch mancher wundern, der die Deutschen am liebsten mit Steuer- und Umweltpolitik oft im Gewand versteckter Industriepolitik in die ökologische Schmuddelecke drängen wollte.

Das Ende der Abwrackprämie ist in Sicht. Wie stark wird der deutsche Automarkt 2010 abstürzen?

Die Prämie mag als Konjunkturstimulans rasch gewirkt haben. Sie hat vor allem Kleinstwagen begünstigt. So rechnen Experten in diesem Jahr mit über 800 000 Pkw-Neuzulassungen on top. Wir schließen nicht aus, dass daraus ein Zulassungsvolumen von über 3,6 Millionen Pkw resultiert. Das klingt wie Boom, aber davon hat die Inlandsproduktion bisher wenig profitiert. Die Marktspaltung trifft zudem das wichtige Premium-Segment. Der Vorzieh-Effekt 2009 könnte 2010 dann zu einem Absatzvolumen von unter drei Millionen Pkw führen.

Glauben Sie, dass die deutsche Autoindustrie stärker aus der Krise hervorgeht?


Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel.

Die Fragen stellten Alfons Frese und Henrik Mortsiefer.

ZUR PERSON

VERBANDSCHEF

Bernd Gottschalk (65) arbeitete knapp 25 Jahre für Daimler-Benz, zuletzt als Vorstandsmitglied für den Bereich Nutzfahrzeuge, bevor er 1997 Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) wurde.

BERATER

Als VDA-Präsident wurde Gottschalk Mitte 2007 vom CDU-Politiker Matthias Wissmann abgelöst. Gottschalk gründete eine Managementberatungsgesellschaft und mit der Autovalue GmbH einen Dienstleistungsanbieter für Expertisen und Beratungen rund ums Autogeschäft.

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