zum Hauptinhalt
Eine abgestimmte Haushaltspolitik reicht nicht, meint Bert Rürup und fordert eine Regulierung des Bankensystems.

© dpa

Bert Rürup im Interview: „Natürlich brauchen wir eine Bankenunion“

Bert Rürup, ehemals Chef der Wirtschaftsweisen, spricht im Tagesspiegel-Interview über Wege aus der Euro-Krise, den Streit der deutschen Ökonomen und darüber, warum weder Hans-Werner Sinn noch Thilo Sarrazin Antworten geben können.

Herr Rürup, wie lange geben Sie dem Euro noch?

Da sich alle Regierungen der Länder der Währungsgemeinschaft der dramatischen Folgen eines Auseinanderbrechens bewusst sind, werden wir noch sehr lange mit dem Euro zahlen.

Andere Ökonomen sehen das anders.
Untergangspropheten wie Nouriel Roubini gibt es immer. Er gehört zu den wenigen, die die Krise von 2008 vorausgesagt haben. Aber wenn man wie Roubini stets Krisen und Untergänge voraussagt, trifft man natürlich auch einmal ins Schwarze.

Immerhin ein Wirtschaftswissenschaftler, der mal richtig liegt.
Ja. Dennoch kann man sich bei einigen Teilnehmern an der Diskussion nicht des Eindrucks erwehren, dass Sendungsbewusstsein und Meinungsstärke größer sind als das Wissen um die Ursachen der Krise und vor allem um die Wirkungen und Kosten der eigenen Empfehlungen. Die heutigen Probleme begannen vor drei Jahren als Staatsschuldenkrise Griechenlands, eines Landes von der wirtschaftlichen Größe Hessens. Das Wesen dieser Krise hat sich seitdem verändert.

Wie denn?
Nicht überall standen marode Staatsfinanzen am Anfang. So mussten in Irland und Spanien in Schieflage geratene Banken von bis dahin solide wirtschaftenden Staaten gerettet werden. Unterkapitalisierte Banken haben zudem die Anleihen ihrer eigenen verschuldeten Staaten gekauft, und diese Staaten können ihre Banken nicht mehr rekapitalisieren. Internationale Kapitalanleger werden misstrauisch und legen ihr Geld nicht mehr oder nur mit hohen Risikoaufschlägen in diesen Ländern an. Das Ganze nennt sich dann systemische Krise. Und die Politik war nicht ganz unschuldig.

Bankenhilfe und mehr Zeit für Spanien - Die Beschlüsse im Video:

Inwiefern?
Neben dem zögerlichen Taktieren in 2010 nur ein weiteres Beispiel: Unter ihrem Präsidenten Trichet hat die EZB am Sekundärmarkt, das heißt von Banken, Staatsanleihen aus Krisenstaaten gekauft, um den Kurs zu stabilisieren. Das war eine indirekte Finanzierung von Staatsschulden. Unter Trichets Nachfolger Draghi wurde stattdessen mehrmals die „Dicke Berta“ eingesetzt, also das Fluten der Märkte mit billiger Liquidität.

Und das wirkt besser?
Es wurde Zeit gekauft aber mit der Folge, dass schwache Banken dieses billige Geld zu einem Teil in Schuldverschreibungen ihrer verschuldeten Länder anlegten. Letztlich war das ebenfalls eine indirekte Finanzierung von Staatsschulden, durch die aber die Verbindung kranker Banken mit kranken Staaten forciert wurde.

Dann doch lieber Staatsanleihen kaufen?
Für eine bestimmte Zeit – ja. Das wäre eine Überdehnung des derzeitigen EZB-Mandats, aber im Vergleich zum Abfeuern der „Dicken Berta“ das kleinere Übel.

Man darf nicht alle Staaten in einen Topf werfen

Welche Fehler sind sonst noch passiert?
Der Schuldenschnitt für Griechenland. Viel früher wäre besser gewesen, und vor allem hätte man ihn nicht nur zulasten der privaten Gläubiger machen sollen und die öffentlich-rechtlichen Gläubiger freistellen. Wenn Gläubiger vorrangig behandelt werden, irritiert das die Marktteilnehmer und macht sie misstrauischer.

Das sieht man bei den Renditen italienischer und spanischer Anleihen. Brechen diese Länder unter den Zinskosten zusammen, wenn die EZB nicht hilft?
Die Gefahr besteht. Aber man steht vor einem Dilemma. Hilft man schnell und ohne Auflagen, schwindet der Druck, die Staatsfinanzen zu konsolidieren und Strukturreformen durchzusetzen. Andererseits erfordern Konsolidierung und Reformen Zeit, die die Finanzmärkte nicht bereit sind zu geben. Und es ist nicht sicher, ob die Reformen in den Krisenländern in der angedachten Zeit wie gewünscht wirken. Deshalb sollte man das, was kurzfristig hilft – wie der Kauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt – nicht grundsätzlich verteufeln.

Hilft die Senkung der Leitzinsen durch die EZB auf historisch niedriges Niveau?
Die war zwar erwartet worden, hat aber niemandem wirklich genutzt und wurde von den Märkten nicht honoriert.

Der Euro-Raum ist in der Rezession, da kann Geld doch gar nicht billig genug sein.
Beim Blick auf die Krise darf man die Staaten nicht alle in einen Topf werfen. Spanien war bis 2008/09 ein fiskalischer Musterknabe. Dann platzte die Immobilienblase, und der spanische Staat musste die Banken retten. In Spanien wie in Irland haben wir in erster Linie ein Bankenproblem. In Griechenland ein massives Staatsschuldenproblem. Italien hat solide Banken, im Norden eine leistungsfähige Wirtschaft, keine Überschuldung der privaten Haushalte, und die Staatsschulden sind in den vergangenen zehn Jahren nicht dramatisch gestiegen. Dass die Märkte Italien im Visier haben, kann man daher eigentlich nur mit dem Reformstau und Misstrauen in die Politik erklären.

Warum hat Ministerpräsident Monti der deutschen Kanzlerin auf dem EU-Gipfel so zugesetzt? Hat er sie zu einer Bankenunion „gezwungen“, wie vergangene Woche deutsche Ökonomen in einem Aufruf meinten?
Nein. Herr Monti hat aus innenpolitischen Gründen eine eigene Interpretation der Beschlüsse kommuniziert. Und eine Reihe meiner Fachkollegen hat etwas massiv kritisiert, was gar nicht beschlossen wurde. Beschlossen wurde, dass, nachdem eine Bankenaufsicht eingerichtet wurde, Banken direkt Geld aus dem Rettungsschirm bekommen können und nicht wie im Falle Spaniens der Staat dazwischengeschaltet ist. Bislang bekommt keine Bank Geld aus dem Rettungsschirm, und die Haftungsrisiken Deutschlands sind unverändert.

Warum schlagen die Ökonomen dann Alarm?
Das weiß ich auch nicht. Sicher ist, dass sie in ihrem offenen Brief eine in der Bevölkerung verbreitete diffuse Skepsis gegenüber der Politik und der Währungsunion aufnehmen und verstärken – auch mit populistischen Behauptungen.

Weder Sinn noch Sarrazin geben Antworten

Gibt es einen Trend gegen den Euro?
Sicher ist, dass die derzeitige Politik infrage gestellt wird. Aber man weiß nicht, was sie genau wollen. Es fehlen die konstruktiven Vorschläge. Wie bei Thilo Sarrazin: „Europa braucht den Euro nicht.“ Ja und? Der Euro ist aber da, und als guter Ökonom weiß Sarrazin, dass ein Scheitern des Euro und eine Rückkehr zur D-Mark Deutschland in eine tiefe und lange Depression stürzen würde. Deshalb sagt er dazu nichts. Hypothetische Fragen, ob wir ohne den Euro nicht vielleicht besser gefahren wären oder in der Zukunft weniger Probleme hätten, sind heute irrelevant. Nur die Frage: „Wie soll es weitergehen?“ ist wichtig. Konkrete Antworten darauf geben Hans-Werner Sinn und erst recht Thilo Sarrazin nicht.

Haben Sie eine Antwort?
Die Politik einer Stabilisierung der Währungsunion ist für Deutschland mit Risiken und auch Kosten verbunden. Aber nach allem, was wir wissen, wäre ein Scheitern des Euro für uns ungleich teurer. Deshalb sollten wir den durch den vereinbarten Fiskalpakt eingeschlagenen Weg weitergehen. Und selbstverständlich brauchen wir so etwas wie eine Bankenunion, bei der es nicht um eine Vergemeinschaftung der Risiken geht, sondern darum, eine europäische Bankenaufsicht mit starken Durchgriffsrechten auf insolvente und insolvenzgefährdete Banken einzurichten. Denn nur über abgestimmte Haushaltspolitik bekommen wir keine Stabilität. Wir brauchen eine Regulierung des Bankensystems, damit die Staatsfinanzen nicht mehr von Banken in Geiselhaft genommen werden können.

Können die Griechen drinbleiben?
Griechenland hat noch viel von einer vorindustriellen Gesellschaft mit einem Staat ohne eine halbwegs effiziente Verwaltung. Aber eine Rückkehr zur Drachme würde dieses Land auf den Entwicklungsstand Albaniens zurückwerfen und damit ins Chaos. Mit einer bereits jetzt sehr starken Linken und einer dann rasant zulegenden extremen Rechten wäre dieses Land lange Zeit unregierbar. Das können wir nicht wollen. Griechenland sollte für uns mehr sein als ein ökonomisches Problem.

Kern des Problems sind die erheblichen Leistungsbilanzungleichgewichte zwischen Nord- und Südeuropa. Können die Griechen jemals so wettbewerbsfähig sein wie die Finnen?
Die Wettbewerbsfähigkeit hängt letztlich von drei Preisen ab: dem Zins, dem Wechselkurs und dem Lohn. Wenn ein Land eine eigene Währung hat, dann kann es, wenn die Arbeitskosten zu hoch sind, durch eine Abwertung wettbewerbsfähig werden. Oder man kann am Zins drehen. In einer Währungsunion stehen weder der Zins noch der Wechselkurs als Instrumente zur Verfügung. Umso größer sind die Anpassungslasten bei den Arbeitskosten, die durch die Produktivität gedeckt sein müssen. Das hatten einige Länder nicht verstanden.

Und damit den Euro gefährdet.
Der Euro hatte sein Rekordtief im Herbst 2000 mit einem Wechselkurs zum Dollar von 82 Cent, stieg in den Jahren danach bis auf fast 1,60 Dollar im Sommer 2008, und heute bekommt man für einen Euro knapp 1,25 Dollar. Ein krisenbedingter Absturz sieht anders aus.

Ist Deutschland der große Euro-Gewinner?
Sicher hat Deutschland vom Euro profitiert in Form hoher Ersparnisse bei grenzüberschreitenden Geschäften sowie im Vergleich zur D-Mark geringeren Wechselkursrisiken. Die großen Gewinner waren Griechenland, Spanien, Portugal und Italien. Die Einführung des Euro war für diese Länder mit einem Import an Preisstabilität und einem Rückgang der realen Zinsen verbunden. Insbesondere von Griechenland wurde diese Chance nicht genutzt: Die niedrigen Zinsen erleichterten es, die Staatsverschuldung in den Jahren 2001 bis 2009 von 150 Milliarden Euro auf 300 Milliarden auszudehnen.

Dieses „Über die Verhältnisse leben“ erklärt das Misstrauen vieler Menschen hierzulande gegenüber der Krisenpolitik.
Mag sein. Natürlich ist die Krisenpolitik mit Risiken für Deutschland verbunden, und irgendwann wird es zu Ausfällen kommen. Bislang aber hat unser Staat massiv von den extrem niedrigen Zinsen profitiert, die er als „sicherer Hafen“ für seine Schulden zahlen muss. Bei aller Krisenbewältigung sollten wir intensiver auf die Frage eingehen, warum wir ein vereinigtes Europa anstreben sollten.

Gibt es ökonomische Gründe?
Die USA, eine politisch blockierte Nation, verlieren an ökonomischer Bedeutung, und China setzt alles daran, wieder das zu werden, was es bis Ende des 19. Jahrhunderts war, die größte Volkswirtschaft der Welt. China wird versuchen, den Renminbi ebenfalls als Weltwährung zu etablieren. Gemessen an der Produktionsleistung ist die EU die größte Wirtschaftszone, und die Euro-Zone steht – Krise hin oder her – fiskalisch deutlich besser da als die USA. Ein Scheitern des Euro und damit ein Auseinanderdriften Europas würde zu einer weltwährungspolitischen Bipolarität von Dollar und Renminbi führen. Und ein Chimerika kann weder ökonomisch noch politisch im Interesse Europas oder Deutschlands sein.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false