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Berufsorientierung: Einmischen verboten

Wenn Jugendliche sich für einen Job entscheiden, fällt es den Eltern oft schwer, sich nicht einzumischen. Warum das aber meist der bessere Weg ist.

Katharina Webers Eltern haben es gut gemeint mit ihrer Tochter, als sie ihr 1984 sagten, ein Pädagogikstudium sei nicht das Richtige. Die beiden waren zwar selbst Lehrer, aber Zeitungen berichteten von hoher Lehrerarbeitslosigkeit. In Mathe und Naturwissenschaften tat sich die Tochter leicht, also sollte sie an eine Fachhochschule für Ingenieure. „Die Eltern werden recht haben“, dachte sich Katharina Weber. Ein Fehler, sagt sie heute. Die Beziehung zu den Eltern war durch die falsche Entscheidung lange belastet.

Elf Jahre arbeitete sie als Produktionsleiterin in der Baustoffindustrie. Im Hinterkopf suchte sie immer wieder nach einem Ausweg, doch noch in den Lehrerberuf zu wechseln. Schließlich begann sie, sich im eigenen Betrieb auf Ausbildung zu konzentrieren. Heute ist sie als Berufseinstiegsbegleiterin in Hennigsdorf die Hälfte ihrer Arbeitszeit an Schulen unterwegs. Sie möchte selbstverständlich auch ihre 15-jährige Tochter bei der Berufswahl unterstützen. „Ich hoffe, dass ich keinen Schaden durch Beratung anrichte.“

Studienreform, neue Berufsbilder, einbrechende Branchen, ein schwer überschaubarer Arbeitsmarkt – es gibt viele Gründe, warum Eltern von Kindern im Übergang von Schule zu Beruf unsicher sind. Immer mehr Orientierungsangebote sprechen neben den Jugendlichen auch direkt die Eltern an. In der Studienberatung der Technischen Universität Berlin ist es keine Seltenheit, dass Jugendliche mit Eltern oder Großeltern in die Sprechstunde wollen – und zwar nicht erst seit der verkürzten Schulzeit. Die Berufswahl wird zum Familienprojekt.

Eltern wollen ihre Kinder unterstützen. Doch wie viel Unterstützung ist hilfreich? Experten raten Eltern, die Stärken ihrer Kinder zu fördern – und nicht, versteckt in gut gemeinte Beratung, die eigenen Ängste auf das Kind zu übertragen. Wer Kindern die Berufsorientierung abnehmen will, nimmt ihnen die Gelegenheit herauszufinden, was sie wirklich wollen. Das kann Psychologen zufolge zu Beziehungskonflikten und beruflicher Unzufriedenheit führen.

Es liege zwar in der Verantwortung der Eltern, ihre Kinder vor Misserfolgen zu bewahren, soweit das möglich ist, sagt der Berliner Schulpsychologe Klaus Seifried. Wenn Eltern ihren Kindern aber zu wenig Verantwortung lassen, führt dies zu einer geringen Anstrengungsbereitschaft. „Die Kinder sind gewohnt, dass ihnen alle Wege geebnet werden.“ Sie seien dann sehr ichbezogen, hätten häufig bei Misserfolgen eine geringe Frustrationstoleranz und gäben leicht auf. Zu viel Einmischung kann auch dazu führen, dass Kinder sich von Eltern abwenden. Dauerhafte Konflikte können die Folge sein.

„Vermurkste Karrieren fangen oft damit an, dass die Eltern viel zu großen Einfluss haben“, sagt Uta Glaubitz, Berufsberaterin aus Berlin. In ihren Beratungen sitzen häufig Personen, die sehr unzufrieden sind mit ihrem Beruf. Ihre Beobachtung: Häufig haben sich in diesen Fällen die Eltern in die Berufswahl eingemischt – und die Kinder sollten Statuswünsche, Aufstiegswünsche oder häufig auch die ungelebten Berufswünsche ihrer Eltern erfüllen. „Viel Aufwand, wenig Ergebnis“, fasst Glaubitz zusammen. Eltern sollten sich nicht ganz heraushalten. Das ist auch gar nicht möglich. Sie sollten ihre Kinder zu Selbstbewusstsein erziehen – und ernsthafte Wünsche unterstützen. Einem Kind zum Beispiel, das Schauspieler werden will, ist mit einem Theater-Abo oder einen Schauspielkurs als Geschenk mehr geholfen als mit einem Gespräch über die Berufsaussichten. Auch der oft gehörte Rat, sich ein zweites Standbein aufzubauen, führt Glaubitz zufolge eher zu unentschiedenen Karriereschritten – und letztlich zu Unzufriedenheit und Misserfolg. „Egal welcher Berufswunsch: Die Basis ist das Selbstbewusstsein.“

Wie konkret Eltern unterstützen, hängt vom Alter und dem Jugendlichen ab. Man könne auch mal zu einer Beratung begleiten, sagt Schulpsychologe Seifried. „In der Regel sollten Jugendliche ab 16 Jahren möglichst selbstständig handeln.“ Seifried empfiehlt Eltern, ihre Kinder zu motivieren, sich selbst über Beruf und Ausbildung zu informieren – und sich anschließend berichten zu lassen, was sie herausgefunden haben.

Mit Zeit können Eltern ihre Kinder unterstützen wie kein Lehrer und kein professioneller Berufsberater: Zeit, um über Interessen, Ideen und Wünsche der Kinder zu sprechen. Zeit, um von der eigenen Arbeit zu erzählen und auch zu hören, welche Erfahrungen das Kind gerade im Betriebspraktikum macht. „Wichtig ist, das Vertrauen zwischen Eltern und Kindern zu halten“, sagt Seifried.

Auch Katharina Webers Tochter stellt mittlerweile Fragen zur Berufswahl und Arbeit der Mutter. Berufsorientierung ist in der Familie seit der 7. Klasse ein Thema: Ein Jahr später als üblich wechselte die Tochter von einer Waldorfschule an ein Gymnasium. Nach einem weiteren Schulwechsel besucht sie heute die 10. Klasse eines Oberstufenzentrums mit Wirtschaftsschwerpunkt. Die Mutter begleitete die Tochter – auf deren Wunsch hin – schon zu einer Berufseinstiegsmesse und zum Tag der Offenen Tür der Fachhochschule Brandenburg. Dort hat sie Hörsäle angesehen, mit Professoren und Studenten gesprochen und zum ersten Mal vom Numerus Clausus gehört. Was die Tochter beruflich machen möchte, wisse sie noch nicht, sagt Weber. „Was soll ich werden?“ habe sie aber noch nie gefragt. Katharina Weber hätte vielleicht ein paar Ideen. Aber sie hofft, dass ihre Tochter nicht fragt.

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