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Vertrauen missbraucht. Die Siemens-Mitarbeiter verzichteten auf Gehalt, um ihre Jobs zu sichern – gebracht hat ihnen das nichts. Sie haben trotzdem ihren Arbeitsplatz verloren.

© picture-alliance/ dpa

Betriebsklima: Gestörte Verbindung

Viele Beschäftigte fühlen sich ausgenutzt und machen nur noch Dienst nach Vorschrift. Arbeitgeber wären gut beraten, das zu ändern.

Softwareexperte Thorsten Meyer* war stolz, für Siemens zu arbeiten. Jede Überstunde für die Produktion neuer Handymodelle hat er klaglos hingenommen, hat an die Zusagen der Geschäftsführung geglaubt – und war dann ganz plötzlich arbeitslos, wie 3300 seiner Kollegen.

Es war wie ein Schlag ins Gesicht: Als der damalige Finanzchef der Siemens-Mobilfunksparte, Joe Kaeser, im Juni 2005 der Belegschaft im Werk Kamp-Lintfort den Verkauf der Handysparte an BenQ verkündete, erlebte er, wie skrupellos Arbeitgeber sein können.

„Eine solche Erfahrung macht einen zum Söldner“

Erst im Jahr zuvor hatten die Angestellten der Handysparte nach der Drohung des Managements, ihre Arbeitsplätze nach Ungarn zu verlagern, zugestimmt, auf rund 25 Prozent Gehalt zu verzichten. Und dann das: Kurz vor Ablauf der Beschäftigungsgarantie, die das Dax-Unternehmen seinen Leuten gegeben hatte, meldete der neue taiwanische Besitzer für die deutsche Tochter Insolvenz an.

„Eine solche Erfahrung macht einen zum Söldner“, sagt Meyer. Der Familienvater meint damit, dass er heute seinen Job erledigt, aber nicht mehr mit dem Herzen an seinem neuen Arbeitgeber hängt.

So verfahren offenbar viele Fach- und Führungskräfte. Das belegen Studien des Meinungsforschungsunternehmens Gallup. Regelmäßig befragt es deutsche Beschäftigte, wie es um ihre emotionale Bindung zum Arbeitgeber bestellt ist. Und auch 2015 zeigen sich Anzeichen einer Beziehungskrise: 15 Prozent aller Deutschen haben innerlich gekündigt, 70 Prozent machen Dienst nach Vorschrift, besagt die jüngste Erhebung aus 2014, deren Ergebnisse jetzt vorliegen.

15 Prozent aller Deutschen haben innerlich gekündigt

Nur gerade mal 15 Prozent verspüren eine hohe Bindung zu ihrem Arbeitgeber und sind bereit, „die extra Meile zu gehen“, sagt Studienleiter Marco Nink. Für Unternehmen sei das schlecht. Die emotionale Kälte ihrer Angestellten kostet die Firmen viel Geld, errechnet der Berater. Wem sein Arbeitgeber egal ist, der wechselt eher, macht keine Überstunden und ist erst recht nicht kreativ. Durch schwache Produktivität, hohe Fluktuation und Fehlzeiten entstünde der deutschen Volkswirtschaft so ein Schaden im hohen zweistelligen Milliardenbereich.

Höchste Zeit also, die Herzen der Mitarbeiter zurückzugewinnen? Aus Sicht der Unternehmen mag das stimmen. Das Kalkül: Die Mitarbeiter bleiben länger, fordern weniger, leisten mehr. Paradebeispiel für diesen Ansatz ist Suchmaschinen-Betreiber Google. Hier kreiert das Management bewusst eine Wohlfühlatmosphäre rund um den Arbeitsplatz, die von Gratisverpflegung bis hin zu gemeinsamen Freizeitaktivitäten beinahe alles bietet.

Durch das Verwöhnprogramm identifizieren sich Mitarbeiter so sehr mit ihrem Unternehmen, dass sie dort etwa nach der Arbeit selbst noch kostenlos Schulungen für Kollegen geben: Ob Programmier-Know-how, Meditationsworkshop oder Tanzkurs – wer etwas gut kann, lässt mit dem „Googler für Googler“-Angebot die Kollegen teilhaben.

Emotionale Bringschuld?

Aber sollten Beschäftigte auf die Avancen ihres Arbeitgebers eingehen? Muss man sich emotional an den Betrieb binden? Oder sollte man das besser lassen? Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat für seinen Gute-Arbeit-Index Beschäftigte gefragt, ob sie ihre Firma wechseln würden, wenn sie die Chance hätten. Von denjenigen, die in der Umfrage als Menschen mit „Guter Arbeit“ identifiziert wurden, würden 94 Prozent bei ihrem Unternehmen bleiben. „Gute Arbeit", das heißt humane Arbeitszeiten, gerechte Bezahlung, faire Vorgesetzte und vor allem: eine sinnvolle Tätigkeit.

"Es geht nicht ohne den Bauch"

Bindung und Commitment entstehen vor allem durch gute Zusammenarbeit im Kleinen. „Die emotionale Mitarbeiterbindung ist für Arbeitnehmer ausgesprochen wichtig“, sagt Hugo Kehr, Professor für Psychologie an der TU München. Der Motivationsforscher berät Unternehmen, wie sie ihre Beschäftigten besser anspornen können. In seinem Modell müssen Kopf, Bauch und Hand zusammenspielen, um die besten Ergebnisse zu erreichen. Kopf und Hand, also Verstand und Fähigkeiten, lassen sich durch Geld und Boni, also extrinsisch motivieren. „Das reicht auch, um einen ordentlichen Job zu machen“, sagt Kehr. „Wenn Kreativität und geistige Höchstleistung gefragt sind, geht das aber nicht ohne den Bauch.“

Doch die Gefühlskomponente ist schwer zu aktivieren. Erst wenn die Arbeit dem Mitarbeiter am Herzen liegt, entsteht emotionales Engagement und damit intrinsische Motivation. Wer intrinsisch motiviert ist, so Motivationsforscher Hugo Kehr, ist am Ende zufriedener mit seiner Arbeit.

Zu oft ist das Engagement aber einseitig. „Die Beschäftigten werden in eine Bringschuld gedrängt, emotionales Engagement zu liefern.“ Das sei aber schwierig, wenn von den Unternehmen wenig zurückkomme. Von den meisten Firmen gebe es nicht mehr als „Lippenbekenntnisse“, in Mitarbeitern zuallererst den Mensch zu sehen.

Für den Arbeitssoziologen Klaus Kock von der Technischen Universität Dortmund ist die richtige Balance zwischen sachlicher und emotionaler Ebene entscheidend. „Professionelle Distanz ist wichtig, aber sie darf nicht zu groß sein“, sagt Kock.

Ein Betrieb ist kein Familienersatz

Vor allem sollte die Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber nicht zur Einbahnstraße werden. Die Beschäftigten geben ihren Arbeitseinsatz und ihr Engagement. Dafür bekommen sie einen Lohn, aber dürfen auch einen emotionalen Gegenwert erwarten. Wird man beteiligt an Entscheidungen? Wird die eigene Arbeit ernst genommen? Wird man von Vorgesetzten mit Respekt behandelt? Kocks Buch zum Thema heißt: „Es ist ein Geben und Nehmen“ (Siehe Kasten).

Übertreiben sollte man es aber nicht. „Ein Betrieb ist kein Kegelklub und kein Familienersatz“, sagt der Soziologe. Zu große Identifikation mit dem Arbeitgeber kann hinderlich sein. Dann, wenn es zu Auseinandersetzungen kommt. „Zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern gibt es grundsätzliche Zielkonflikte“, erläutert Kock. Der Chef will, dass seine Angestellten lange im Unternehmen bleiben; die dagegen möchten früh Feierabend machen, um Zeit für ihr Privatleben zu haben. Die Geschäftsführung möchte Kosten drücken und wenig zahlen; Beschäftigte erwarten fairen Lohn.

Oft wird in solchen Situationen die Belegschaft von Chefs beschworen: „Wir sitzen doch alle im selben Boot.“ Häufig stimme das aber nicht, sagt Kock. Und die meisten Beschäftigten würden dieses Manager-Mantra auch nicht abkaufen. Wem aber dann das Unternehmen zu sehr am Herzen liegt, der verkennt die grundlegenden Machtstrukturen. „Das Unternehmen gehört mir ja nicht“, sagt Kock. Wer das vergisst, zieht am Ende den Kürzeren. So wie Ex-Siemens-Mitarbeiter Thorsten Meyer.

* Name von der Redaktion geändert

Jan Guldner, Claudia Obmann

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