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Wirtschaft: Betriebskrankenkassen verlieren Mitglieder

Techniker, Barmer, KKH und DAK profitieren von Beitragserhöhungen bei der Konkurrenz

Berlin – Immer mehr Kassenpatienten kehren ihrer Betriebskrankenkasse den Rücken und gehen zur Konkurrenz. Das hat eine Umfrage des Tagesspiegel unter den großen Ersatzkassen ergeben. Während diese noch vor wenigen Jahren massenhaft Kunden an die billigeren Betriebskrankenkassen (BKK) verloren hatten, scheint dieser Trend jetzt endgültig gestoppt. „Die Wende ist geschafft“, heißt es übereinstimmend bei der Barmer Ersatzkasse, der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) und der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH). „Die Abwanderungen sind gestoppt.“

„Deutliche Zugänge“ meldet die KKH. Von 20000 Versicherten, die sie von den betrieblichen Kassen zurückgeholt hat, spricht die DAK. Hauptprofiteurin ist jedoch die Techniker Krankenkasse (TK). Hatten die Hamburger im Jahr 2002 – dem Höhepunkt der Wanderungswelle – noch gut 50000 Mitglieder an die Betriebskrankenkassen verloren, konnten sie im vergangenen Jahr rund 100000 Versicherte von den betrieblichen Kassen zurückgewinnen. 115300 Neuzugängen von Ex-Betriebskrankenkassen-Mitgliedern standen bei der Techniker Krankenkasse im vergangenen Jahr nur 6300 Abgänge zu einer BKK gegenüber.

Die Erfolgsstory der Betriebskrankenkassen scheint damit beendet zu sein. Noch vor wenigen Jahren hatten sich die BKKen vor Neuanmeldungen kaum retten können. Mit sensationell günstigen Beiträgen hatten sie den etablierten großen Ersatzkassen die Kunden weggeschnappt. Doch das schnelle Wachstum wurde für manche Betriebskrankenkasse zum Fluch.

Beispiel: die BKK für Heilberufe mit Sitz in Düsseldorf. Der einstige Billiganbieter (Beitragssatz 11,9 Prozent) gewann innerhalb weniger Jahre eine halbe Million Mitglieder, darunter jedoch auch zahlreiche „schlechte Risiken“, die mehr Kosten verursacht als Beiträge gezahlt hatten. Beitragserhöhungen kamen zu spät, die Kasse häufte Schulden von mehr als 360 Millionen Euro an und wurde zum Sanierungsfall. Heute liegt der Beitrag bei 14,8 Prozent und damit über dem, was Barmer und die anderen Ersatzkassen verlangen und weit entfernt von den 13,7 Prozent, die TK-Mitglieder zahlen.

200000 Kunden haben die BKK inzwischen verlassen, jetzt klagt die Kasse gegen die Apotheker- und Ärztebank, weil diese ihr einen Millionenkredit gewährt und damit eine frühzeitige Anhebung der Beitragssätze verhindert hatte.

Der Sanierungsfall Heilberufe-BKK hat auch die anderen betrieblichen Krankenkassen geschädigt. Denn um die Düsseldorfer zu retten, mussten alle BKKen einspringen. Konsequenz: Einst günstige Kassen waren gezwungen, ihre Beiträge zu erhöhen. „Wer noch unter 13 Prozent lag, wurde überproportional zur Sanierung herangezogen“, sagt Rainer Brenker von der Deutschen BKK. Heute liegt der durchschnittliche Beitragssatz der Betriebskrankenkassen bei 13,9 Prozent, heißt es beim Bundesverband der Betriebskrankenkassen.

Das ist zwar immer noch weniger als die 14,2 Prozent, die den Durchschnitt aller deutschen Kassen darstellen, aber: „Der Mythos der Betriebskrankenkassen, billig zu sein, hat sich gewandelt“, sagt Thomas Isenberg vom Verbraucherzentrale Bundesverband.

Hinzu kamen zahlreiche Zusammenschlüsse. Von den einst 706 Betriebskrankenkassen sind nur noch 209 übrig geblieben. Zum Ärger der Versicherten haben viele Krankenkassen wie etwa die Taunus BKK nach dem Zusammenschluss nicht nur die Beiträge erhöht, sondern auch versucht, die Kunden an sich zu ketten. Begründung: Das Sonderkündigungsrecht nach Beitragserhöhungen gebe es im Fall von Fusionen nicht. Eine gewagte Rechtsauffassung, die das Bundessozialgericht nicht teilte.

Beitragserhöhungen, Verunsicherungen, aber auch Probleme mit dem Service haben viele Versicherte vergrault. „Viele Betriebskrankenkassen waren erreichbar, als es um die Aufnahme ging, aber nicht mehr bei den Leistungen“, heißt es bei der Techniker. Die Versicherten haben ihre Konsequenz gezogen.

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