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Wirtschaft: Betriebsrat wirft Siemens Verschleierung vor

Allein in der Softwareentwicklung sollen angeblich 15000 Jobs wegfallen/CDU warnt vor „Deindustrialisierung“

Münch en/Berlin (nad/ce). Der Betriebsrat des SiemensKonzerns hat seine Befürchtungen im Zusammenhang mit dem geplanten Arbeitsplatzabbau konkretisiert und sich vehement gegen Vorwürfe der Panikmache gewehrt. Allein in der Softwareentwicklung sollen demnach bis Ende 2007 bis zu 15000 Arbeitsplätze wegfallen. „Der Konzern will ein Drittel des gesamten Etats für Software-Entwicklung in Niedriglohnländer verlagern“, sagte der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende des Münchner Standorts Hofmannstraße, Leo Mayer, dem Tagesspiegel. Der Arbeitnehmervertreter berief sich dabei auf Planungen des Vorstands.

Der Gesamtbetriebsrat hatte dem Siemens-Vorstand am Donnerstag vorgeworfen, sich im Zuge des geplanten Sparprogramms „Siemens Management System“ (SMS) systematisch aus Deutschland zurückziehen zu wollen. Wenn die geplante weltweite Angleichung von Umsatz und Wertschöpfung in den jeweiligen Märkten umgesetzt werde, stünden längerfristig etwa 74000 Arbeitsplätze auf dem Spiel, fürchten die Arbeitnehmer-Vertreter. Siemens-Chef Heinrich von Pierer wies die Vorwürfe als „Panikmache“ zurück. Die Gefährdung von 74000 der rund 165000 Stellen in Deutschland durch Verlagerung in Niedriglohnländer sei „frei erfunden“, sagte er am Freitag beim Besuch des Siemens-Generatorenwerkes in Erfurt. „Ich war verwundert, was für eine Rechnung aufgemacht wurde.“ Mit dem Betriebsrat werde über 5000 Arbeitsplätze verhandelt, die gefährdet sind.

Der Betriebsrat rechnet dagegen damit, dass in der Softwareentwicklung etwa die Hälfte der 33000 Jobs von den Verlagerungsplänen betroffen sind. Allein bei der Netzwerksparte ICN am Hauptstandort München sieht Arbeitnehmervertreter Mayer 1500 Arbeitsplätze gefährdet. Mayer zufolge soll die Software-Entwicklung sukzessive vor allem nach Polen, Portugal, Indien und die Slowakei verlagert werden. „Es wird keinen Knall geben, aber einen ganz schleichenden Prozess, der immer weitergeht“, glaubt er.

Auch am Siemens-Standort Erlangen sind derzeit 40 Mitarbeiter der Softwareentwicklung – vorrangig in der Sparte Industrielösungen – ohne Arbeit, weil ihre Projekte ins kostengünstigere Ausland verschoben wurden. „Das läuft momentan alles sehr nebulös ab, weil Siemens keine Fakten auf den Tisch legt“, sagte der Erlanger Betriebsrat Klaus Hannemann. Unternehmenskreisen zufolge soll allein die Softwareentwicklung im polnischen Werk Breslau von derzeit 30 auf 400 Mitarbeiter aufgestockt werden.

Politik in Sorge um den Standort

Ein Siemens-Sprecher bestätigte, dass es „im Rahmen des Programms für globale Wettbewerbsfähigkeit entsprechende Pläne“ für die Verlagerung von Softwareentwicklern gebe, die rund 15000 Jobs betreffen könnten. Es handele sich dabei aber um den „gezielten Aufbau der Ressourcen für Forschung und Entwicklung“. Siemens wolle mit diesen Aktivitäten nah bei seinen Kunden sein; daher sei das kein reines Kostenthema.

Die drohende „Deindustrialisierung“ des Standorts Deutschland sorgt auch in der Politik für Unruhe. Unions-Fraktionsvize Friedrich Merz fürchtet weitere Unternehmensverlagerungen, wenn die Bundesregierung nicht bei der EU-Kommission auf eine neue Richtlinie zur Besteuerung von stillen Reserven dringt. Der Standortwettbewerb würde sich sonst „drastisch verschärfen“, schreibt der CDU-Finanzexperte in einem Gastbeitrag für die „Financial Times Deutschland“.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte Mitte März geurteilt, dass Unternehmen, die ihren Sitz innerhalb der EU verlagern, stille Reserven (siehe Lexikon) in ihren Bilanzen nicht mehr aufdecken und versteuern müssen. Merz spricht sich dafür aus, die stillen Reserven in dem Land zu besteuern, in dem die Gewinne entstanden sind. Die Entscheidung des EuGH müsse korrigiert werden, sonst habe Deutschland vermutlich bald „ein sehr dickes Problem“. Viele Firmen würden sich überlegen, ob sie ihren Standort nicht in andere EU-Staaten mit deutlich niedrigeren Unternehmenssteuern verlagerten, fürchtet Merz.

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