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Wirtschaft: Bilal Yüksel

Geb. 1944

Rentenbescheid, kein Licht, Eheprobleme: Papa Yüksel konnte helfen. Im Booklet von „Best of Turkish Pop vol. 02“ gibt es ein Schwarz- Weiß-Foto von Bilal Yüksel aus seiner Armeezeit. Ein junger Mann im T-Shirt, schlank, herausfordernder Blick. Man könnte meinen: Hey, cooler Typ, total independent, Outlaw-Charisma. Einer, der was vor hat im Leben.

Aber wer ist das?

„Guten Tag, mein Name ist Bilal Yüksel. Ich bin der Vater.“

Die Rapper kamen alle vorne durch den Lottoladen, Wrangelstraße 86, vorbei an Bilals Theke. Das Tonstudio war im zweiten Hinterzimmer. Bilal, mit Anzug und Schlips, reichte die Hand, fragte, wie’s läuft, lächelte und wies den Weg. Keiner der Rapper ahnte, dass Bilal sie gleichzeitig castete. Nicht musikalisch oder choreographisch, sondern charakterlich. Wenn die Rapper wieder gegangen waren, schlenderte Bilal nach hinten. Sein Urteil hatte Gewicht. „Der wird es nicht weit bringen.“

Im Kiez nannten sie ihn „Onkel Bilal“ oder „Papa Yüksel“. Wenn jemand mit seinem Rentenbescheid nicht zurecht- kam, wenn das Licht ausgefallen war, wenn es Eheprobleme gab, wenn eine Schraube fehlte, für alles hatte Bilal eine Lösung. Er setzte Tee auf, redete, kramte in seinem Alteisenlager, schlug auf den Ratgeberseiten der Hürriyet nach.

Onkel Bilal nahm dafür niemals Geld. Wer ihn kannte, brachte eine Süßigkeit vorbei, am besten einen Mars-Riegel.

Bilal Yüksel war ein guter Moslem und ein guter Geschäftsmann. Beides verlangt Menschenfreundlichkeit, Zuversicht, Gottvertrauen und eine gewisse Verschwiegenheit. „Über zwei Dinge sollst du nicht reden: Wie gläubig du bist und wie viel Geld du hast.“ Von seinem Lottogewinn 1987 wussten die meisten trotzdem. 800000 Mark, davon bekamen natürlich die Verwandten ihren gerechten Anteil. Die Moschee in Bilals Heimatort am Schwarzen Meer erhielt ein neues Dach. In Istanbul wurde eine Wohnung eingerichtet. Eigentlich hatten sie schon lange geplant, in die Türkei zurückzugehen. Nun sollte es endlich losgehen.

Als alle schon auf gepackten Koffern saßen, blies Bilal das Unternehmen wieder ab. Für die Kinder sei es doch besser, noch ein paar Jahre in Berlin zu bleiben. Da hatte er seine Existenz, den Zeitungsladen Wrangelstraße 85 schon aufgegeben. Zufällig war nebenan der Lottoladen zu kaufen. Allah ließ Papa Yüksel nicht im Stich.

Seine älteren Brüder hatten ihn nach Deutschland geholt. Dort würde er sein Geld viel schneller und leichter verdienen. Bilal lernte schneller Deutsch als sie und wurde Anführer einer türkischen Baukolonne. Auf der Baustelle nannten sie ihn „Willi“. Seine Brüder hießen „Max“ und „Hans“. Als es mit der Baukonjunktur bergab ging, öffnete Bilal „Willi“ Yüksel seinen Laden.

Da gewährte er noch Kredit, wenn andere längst „Raus!“ brüllten. Als an einem Freitag niemand von der Familie da war, um die Wocheneinnahmen zur Bank zu bringen, drückte Bilal dem Oberalki Joe 2000 Mark in die Hand und schickte ihn los. Joe brach vor Rührung fast in Tränen aus. Nicht mal seine Mutter hätte ihm so viel Geld anvertraut. Er brachte es brav zur Bank. Bilal sah an den Augen, ob jemand kreditwürdig ist.

Das meiste Geld vertraute er seinen Söhnen an. Der älteste, Ünal, wollte eine Band gründen, hatte auch schon genug Leute, aber keine Instrumente. Später richtete Ünal das Tonstudio ein. Auch das war ziemlich teuer. Es kamen ökonomische Durststrecken, aber der Vater verlor nie den Glauben, dass Ünal es schaffen würde. Zusammen mit seinen Brüdern gründete der ein eigenes Label, das türkische Popmusik produziert: „Plakmusik“. Aus dem Lottoladen-Hinterzimmer ist die Firma längst in ein Loft umgezogen.

Wie die Dinge liegen, würde er bald in die Türkei zurückkehren können, um sich zur Ruhe zu setzen, dachte sich Bilal. Den Lottoladen wollte er noch in diesem Sommer verkaufen.

Seine Söhne waren mitten in der Produktion von „Best of Turkish Pop vol. 2“, als der Anruf kam, dass Bilals Laden brennt. Aus der Heizung war Gas entwichen und hatte sich entzündet. Sofort brannte das hintere Ladenzimmer, in dem Bilal saß. Das Feuer versperrte die vordere Tür, die hintere war verschlossen. Ein Nachbar versuchte vergeblich, die Fenstergitter durchzusägen.

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