zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Billigflieger auf Abwegen

Jet Blue ist längst zu den größten US-Fluglinien aufgerückt – nun ändert sie ihr Geschäftsmodell

Seit dem letzten Jahr gehört die Billig-Fluggesellschaft Jet Blue Airways nach den Maßstäben der amerikanischen Regierung zu den großen Fluggesellschaften. Schließlich hat sie die Umsatzmarke von einer Milliarde Dollar (817,7 Millionen Euro) pro Jahr durchbrochen. Für David Neeleman, Gründer und Chef der Fluglinie, ist dies alle andere als beruhigend: „Eigentlich sollten wir von jetzt an Verluste machen“, sagt Neeleman nur halb im Spaß. Während die großen Fluggesellschaften über die Jahre Milliarden-Verluste angehäuft haben, schrieb seine Discounter-Airline in 18 Quartalen nacheinander Gewinne.

Doch wenn Jet Blue ihre Erfolgsgeschichte fortsetzen will, muss sie den großen Konkurrenten immer ähnlicher werden. In ihren ersten fünf Jahren setzte JetBlue auf alle Merkmale einer Billig-Fluglinie: Man flog nur einen Flugzeugtyp, landete in New York nur auf dem Kennedy-Airport und verzichtete auf teure Bauprojekte. So hat Jet Blue es zur zehntgrößten Airline in den USA gebracht – mit 8600 Angestellten, 32 Flugzielen und einer Flotte von 80 Airbus A 320.

Nach den neuen Plänen der Jet- Blue-Führung will man im Jahr 2010 bis zu 30000 Leute beschäftigen und 275 Maschinen betreiben, darunter viele kleinere Jets vom Typ Embrear 190 für die kürzeren Strecken – auch das ist neu in der Strategie des Billigfliegers. Denn die Nutzung verschiedener Flugzeugtypen erhöht die Kosten für Ersatzteil- und Ausbildungsprogramme und macht die Routenplanung komplizierter. Um die Expansion zu beflügeln, braucht auch Jet Blue jetzt einige der kostspieligen Extras, auf die Budget-Fluglinien traditionell verzichten.

Darunter: eine eigene Ausbildungsstation, Wartungszentren und Flughafen-Terminals. Der Wachstumsschub wird nicht zuletzt Testfall, ob Jet Blue weiterhin auf die viel beschworene Treue seiner Mitarbeiter setzen kann. Bislang förderte die Firmenkultur eine Loyalität, mit der die für andere Discounter üblichen Spannungen umgangen wurden. Erreicht wurde dies auch durch Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen.

Der Kurswechsel zeigt, unter welchen Druck auch die Discount-Flieger geraten sind. Mit unschlagbaren Ticketpreisen und schlanken Betriebskosten haben sie den etablierten Linien in den vergangenen Jahren Marktanteile abgenommen. Doch die schlimmste Krise der Industrie hat auch die großen Gesellschaften in den Discount-Markt getrieben: Mit eigenen Billig-Angeboten kämpfen viele um die abgewanderten Fluggäste. Auch die steigenden Preise für Flugbenzin treffen große wie kleine Gesellschaften gleich hart.

Gestiegene Anschaffungskosten könnten auch bei Jet Blue schnell zum Problem werden. Das Unternehmen hat so viele Flugzeuge bestellt wie keine andere US-Airline. Außerdem ist das Einsparungspotenzial bei vielen Billigfliegern bereits ausgereizt. So werden bei JetBlue schon jetzt 77,7 Prozent der Ticketverkäufe über die Website der Gesellschaft abgewickelt. Der Anteil dieses kostengünstigsten Vertriebsweges lässt sich laut Finanzchef Owen auch kaum noch erhöhen.

In seinen zwei Jahrzehnten Branchenerfahrung hat sich Firmenchef Neeleman einen Ruf als entscheidungsfreudiger Einzelgänger gemacht. Der 45-Jährige gesteht, dass er sich dabei von einigen Gründungskonzepten seiner Airline verabschieden musste und wünscht sich manchmal, dass Jet Blue noch immer eine kleine und einfache Gesellschaft wäre. Doch „ein gutes Unternehmen zeichnet gerade seine Anpassungsfähigkeit aus“, sagt er. „Auch General Electrics wäre als reiner Glühlampenfabrikant undenkbar.“

Schon als Student verkaufte Neeleman Pauschalreisen nach Hawaii, bevor er 1984 Mitgründer der Billig-Fluglinie Morris Air wurde. Morris Air wurde 1993 von der US-Airline Southwest übernommen, und der damals 34-jährige Neeleman erhielt ein Southwest-Aktienpaket im Wert von 22 Millionen Dollar. Nach nur fünf Monaten setzte Southwest den Querdenker vor die Tür. Fünf Jahre später versammelte Neeleman die Großinvestoren um sich, um mit 130 Millionen Dollar das teuerste Startup der Luftfahrtgeschichte zu gründen: Jet Blue.

Die Airline versprach bis zu 65 Prozent günstigere Ticketpreise als die Wettbewerber – ohne auf Annehmlichkeiten wie zugewiesene Plätze, Ledersitze und Einzelbildschirme mit Satelliten-TV zu verzichten. Nach nur drei Quartalen machte Jet Blue Gewinne und bestellte bis zum dritten Jahr seines Bestehens 95 weitere Airbus-Maschinen hinzu. Der Börsengang des Unternehmens 2002 gehörte zu den erfolgreichsten des Jahres. Wie alle anderen Billigflieger vertraut Jet Blue auf schlankes Management und geringere Lohnkosten: Die teuren Rentenpläne der großen Linien gibt es nicht und die Mitarbeiter tragen 25 Prozent ihrer Krankenversicherung selbst. Piloten, Mechaniker und Flugbegleiter erhalten zusätzliche Aktienoptionen und eine jährliche Erfolgsbeteiligung.

Anders als die großen Fluggesellschaften, die ihre Flotte immer weiter vereinfachen wollen, hat sich Jet Blue aber nun für die Anschaffung von 100 Embrear-Maschinen neben der bestehenden Airbus-Flotte entschieden. Mit den kleineren Jets sollen Nebenstrecken bedient werden. Doch mit monatlich drei neuen Embrear-Jets bis 2012 musste Jet Blue auch ein neues Schulungszentrum für das Personal eröffnen, das bislang bei Airbus ausgebildet wurde. Die größte Herausforderung für die Jet-Blue-Führung ist die Bewahrung der Unternehmenskultur auch inmitten der ehrgeizigen Expansionspläne. „Ich werde es bald nicht mehr schaffen, jeden neuen Flugbegleiter persönlich zu begrüßen“, sagt Neeleman.

Susan Carey

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false