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Auf dem Land liegt die Zukunft. Pavlos Georgiadis hat die Olivenbäume der Familie aufgepäppelt. Er lädt Deutsche ein, bei griechischen Bauern zu lernen.

© CalypsoTree

Bio-Produkte von jungen Griechen: Wo Öl und Honig fließen

Von wegen Schockstarre: Statt zu resignieren, nehmen viele junge Griechen die Dinge selbst in die Hand. Sie produzieren Honig oder bauen Oliven an - und hoffen auf Bio-Kundschaft im Ausland.

Hier riecht es nach Erholung. Der Kokosduft des Sonnenöls steigt Michalis als Erstes in die Nase, als er zusammen mit seiner Frau in das schicke All-Inclusive-Resort in Nea Makri kommt. Das Hotel in dem griechischen 20 000-Einwohner- Ort eine gute halbe Stunde von Athen ist gut gebucht, am Pool aalen sich die Urlauber, es ist kaum eine Liege frei. Hier ist die neue Zurückhaltung der Touristen noch nicht angekommen. Die beiden schöpfen Hoffnung. Diese Urlauber könnten Kunden ihrer Bioprodukte werden, die sie ein paar hundert Meter weiter herstellen. Der Hotelmanager ist zwar leider nicht da, aber Michalis Xylouris und seine Frau Angeliki dürfen Honig für den Boutiqueshop dalassen.

„Ich war schon ein bisschen neidisch“, sagt die 33-Jährige später und lächelt etwas verlegen, dass auch sie gerne mal wieder am Wasser ausspannen würde. Daran ist aber nicht zu denken. Die elf Monate alte Tochter weckt sie in den heißen Sommernächten meist schon früh um vier. Und die Firma braucht viel Aufmerksamkeit, denn die bauen sie gerade erst auf.

Auch an den beiden ist die Krise nicht vorübergegangen. Sie kaufen weniger ein, versorgen sich öfter mit Tomaten, Gurken und Auberginen aus dem eigenen Garten. Sie gehen nur noch selten samstags mit Freunden aus, ihren Lancia Y benutzen sie nur noch, wenn unbedingt nötig. Aber auch nach dem jüngsten „Agreekment“ in Brüssel und der langen Abstimmungsnacht im Athener Parlament sitzen sie nicht in Schockstarre daheim. Sie gehören zu denen, die nicht warten, dass ihre Regierung oder Geld aus einem anderen Land ihre Lage verbessern. Leute wie sie gibt es immer mehr. Diese jungen Geschäftsleute sind überzeugt, dass die Griechen viel zu bieten haben, wenn sie sich auf ihre eigenen Stärken besinnen. Sie wissen, dass sie keine Autos produzieren werden wie die Deutschen. Aber zum Beispiel hochwertige Bioprodukte mit Qualitätssiegel.

Sie vertrauen auf ihren eigenen Elan

Das große Wort vom Vertrauen, das gerade in der Politik so sehr beschworen wird, eigentlich aber vor allem Misstrauen meint, kennen sie auch am Frühstückstisch der Familie. Sie buchstabieren das bei Cornflakes und Milch für die Erwachsenen und Apfelbananenbrei für Tochter Elektra allerdings so: Selbstvertrauen. Ihr Land ist seit Jahren in der Krise, jetzt jagt ein Ultimatum das nächste. Worauf sollen sie vertrauen, wenn nicht auf den eigenen Elan?

Sie kennen die Tücken des griechischen Systems nur zu gut. Den Gründungsantrag für ihre Firma haben Michalis und Angeliki vor zwei Jahren gestellt, genehmigt wurde er vor fünf Monaten. „Die griechische Bürokratie hat uns sehr geholfen“, sagt Angeliki sarkastisch. Seit dem Tag des Antrags zahlten sie 500 Euro Steuern im Jahr, ohne ein einziges Glas Honig abzufüllen. „In England bekommt man die Erlaubnis an einem Tag.“ Die Erfahrung haben jedenfalls ihre Partner in Schottland gemacht.

Angeliki hat sich auch die Vereinbarung zwischen der Euro-Gruppe und Premier Alexis Tsipras angeguckt. Die resolute Frau, die ihre dunklen Haare meist zum Zopf zurückbindet, gehörte beim Referendum zur Nein-Fraktion, aber manches von der Brüsseler Liste findet sie richtig: etwa, dass die Gehälter der Beamten sinken sollen. Aber sie ist skeptisch, dass das Paket die Wende bringt. „Warum gibt es keine Reduktion der Politiker-Einkommen?“ Das macht sie wütend. „Wissen Frau Merkel und Herr Schäuble nichts über die Korruptionsskandale unserer Politiker mit Siemens und den U-Booten bei der Armee?“ Dass die Politiker ihr Geld auf Schweizer Banken in Sicherheit gebracht hätten? Wenn am Montag die Mehrwertsteuer für Lebensmittel und Tourismus teilweise verdoppelt wird, glaubt sie, „hilft das nichts“. Das wird allerdings auch sie betreffen.

"Der kleine Esel" ist kein Hinterhofbetrieb

Positiv denken. Angeliki Paparadi und ihr Mann kennen die Tücken des griechischen Systems. Aber Jammern liegt ihnen nicht. Sie finden, ihr Land sollte auf seine Stärken setzen . Sie haben eine Firma gegründet, in der sie erst einmal Biohonig herstellen.
Positiv denken. Angeliki Paparadi und ihr Mann kennen die Tücken des griechischen Systems. Aber Jammern liegt ihnen nicht. Sie finden, ihr Land sollte auf seine Stärken setzen . Sie haben eine Firma gegründet, in der sie erst einmal Biohonig herstellen.

© privat

Angeliki Paparadi hat sich auch Gedanken gemacht, wie ihr Land auf die Beine kommen könnte. Das ist bitter nötig. Das Bruttoinlandsprodukt ist nach Eurostatberechnungen seit 2012 um 8,6 Prozent gefallen, auch wenn es im vergangenen Jahr erstmals wieder eine positive Tendenz gab. Die Arbeitslosenquote lag im März bei 25,6 Prozent, von den jungen Leuten bis 25 hat praktisch die Hälfte keinen Job. Angeliki findet, ihr Land sollte Urlaubern das ganze und nicht nur das halbe Jahr etwas bieten, eine internationale Tourismusschule eröffnen, an der auch Ausländer studieren könnten. Das Elfmillionenvolk empfing vergangenes Jahr doppelt so viele Touristen. Dieser Bereich trägt zu 16,4 Prozent zum BIP bei.

Lamentieren ist nicht das Ding des Paares Xylouris-Paparadi. Sie gehen den Weg, den sie für richtig halten, auch wenn er steinig ist. Sie hat von Jugend an im Betrieb des Vaters mitgeholfen, einem für Griechenland recht typischen Betrieb, der mit drei Mitarbeitern anfing und heute 20 Angestellte zählt. Selbst beim Schlachten der Hühner war sie dabei. Dort hätte Angeliki einsteigen sollen, aber sie kam mit dem Bruder auf keinen Nenner. Seit sie abgelehnt hat, spricht ihr Vater nicht mehr mit ihr.

Auch dieses Nein war nicht einfach für sie, aber die Familie von Michalis glaubt an ihre Idee und unterstützt sie. Der Vater hat angepackt, um das Häuschen in Nea Makri für den Bio-Betrieb zu renovieren, hat gemauert und gestrichen. Inzwischen wohnt die junge Familie oben, unten stehen blitzblanke Kessel, eine Präzisionswaage, stapeln sich Zutaten in Tupperboxen, Kartons mit Gläsern im Metallregal, an einem Haken hängt ein weißer Kittel. Wenn sie hier am Wochenende manchmal bis Mitternacht ihren Honig mit Nüssen oder Mandeln abfüllen, geht es professionell zu. „Der kleine Esel“ ist kein Hinterhofbetrieb, hier hätte wohl auch die deutsche Aufsicht nichts zu meckern. Am Eingang grüßt ein stilisierter Eselskopf mit langen Ohren, eins ein wenig frech abgewinkelt. Der Esel steht für ihre Naturprodukte, denn sie sehen ihn so: der treueste Freund der Bauern in der Region, geduldig, ausdauernd, kräftig, und er kommt ganz ohne Räder aus.

Der neue Trend zum Superfood könnte helfen

Aber braucht die Welt noch mehr Honig aus Griechenland? Michalis und Angeliki haben den Markt analysiert und festgestellt: „Wir haben in Griechenland Nüsse und Honig, aber wir verkaufen entweder Nüsse oder Honig.“ Angeliki hat in Kefalonia, Arnheim, Sigmaringen und Hohenheim biologische Agrarwirtschaft studiert. Sie kennt die Eigenschaften des Bienensafts und vieler Pflanzen. Sie weiß, dass es da mehr gibt als guten Geschmack. Und auch sie kennt den neuen Trend zum „Superfood“ – Lebensmittel mit Nutzen für die Gesundheit. Honig wird seit Jahrtausenden für medizinische Zwecke genutzt. Auch Nüsse und Mandeln können gegen Osteoporose helfen, Allergien und Diabetes Typ 2 vorbeugen, sogar Alzheimer entgegenwirken, sagen Studien. Diese Erkenntnisse, die man auf ihrer Website www.gaidarakos.gr nachlesen kann, wollen sie nutzen. Außerdem kennen sie die Herkunft ihrer Rohstoffe. „Beim Honig von den Inseln wissen wir, an welchen Blüten die Bienen waren, und haben für alle Produkte Nachweiszertifikate.“ Sie haben noch viele andere Ideen. Für Öle, für Essenzen. Aber sie wollen langsam wachsen, „keine Großindustrie werden“.

Sie glauben daran, dass all die kleinen Betriebe viele Griechen ernähren und ihrer Wirtschaft aufhelfen können. „Selbst in Athen wachsen Zitronenbäume an den Straßen. In Santorin ziehen sie Tomaten ohne Wasser!“ Bauern könnten ihre Höfe für Touristen öffnen. Dass sich allerdings viele Athener auf ihre Wurzeln auf dem Land besinnen werden, bezweifelt Angeliki, seit sie vor drei Jahren ein Seminar für Möchtegern-Biobauern gegeben hat. Die meisten fanden die Idee chic, wollten sich aber die Hände nicht schmutzig machen. Und: Was in Brandenburg die polnischen Spargelstecher, sind in Griechenland bulgarische Erntehelfer. Wenn es zur Aprikosenernte geht, meldet sich kein Grieche.

Doch je stärker die Krise, desto stärker ist die Bewegung zurück aufs Land, sagt Pavlos Georgiadis. Er ist einer von ihnen. Der kräftige Mann mit dunklem Bart und offenem Hemdkragen hat mit seinen Eltern im Norden des Landes die „jahrtausendealten Olivenbäume“ aufgepäppelt und vermarktet das Öl jetzt unter dem Label „CalypsoTree“. In solchen kleinen Betrieben, die so typisch für sein Land sind (80 Prozent der Bauern haben kleine Höfe), sieht er die Zukunft. Seine Botschaft: Wir schaffen das. Aus eigener Kraft. Auch wenn manche Landsleute ihn für einen Spinner halten, weil sie all die Importwaren in den Supermärkten sehen. Georgiadis aber ist überzeugt: „Wir haben Schulden und Fehler gemacht, aber Griechenland hat sich dank der Zivilgesellschaft längst verändert.“ Kleinbauern nutzten seit Jahren weder chemische Dünger noch Pestizide – weil sie sich die gar nicht mehr leisten konnten. Wenn die Regierung künftig diese Betriebe fördere, müsse sich niemand Sorgen machen. „Das Nein des Referendums bringt die Katharsis“, dröhnt sein kräftiger Körper, als sei er die personifizierte Wandlung.

Diskussion in der Kreuzberger Markthalle mit Berlinern

Klischee und Wirklichkeit. Junge Griechen setzen auf die Anziehungskraft ihres Landes auf ausländische Touristen.
Klischee und Wirklichkeit. Junge Griechen setzen auf die Anziehungskraft ihres Landes auf ausländische Touristen.

© singidavar - Fotolia

Auch der 33-Jährige ist ein Vertreter der jungen, gut ausgebildeten Generation. Sein Notebook ist immer in Reichweite, Facebook stets offen. Er hat sein Handwerk gelernt. Seinen Master hat er in Umweltwissenschaften und Nahrungsmittelproduktion gemacht, dann in Stuttgart Hohenheim promoviert: über die Entwicklung partizipativer Ernährungssysteme. Mit dem Start-up „We deliver taste“ bringen er und seine Freunde Bauern, Gastronomen und Konsumenten zusammen. Georgiadis will in Kontakt bleiben. Mit Europa. Mit der Welt. Am Freitag Abend diskutierte Pavlos Georgiadis in der Kreuzberger Markthalle Neun mit Berlinern. Sein Fazit: „Wir können so viel voneinander lernen.“ Er verglich die Atmosphäre mit der einer griechischen „Agora, einem Raum für Diskussion, Teilhabe und Fantasie“ und wünschte sich mehr Austausch zwischen Politikern beider Länder.

Die Deutschen, vor allem im Süden, kennt er seit dem Studium ganz gut. Er möchte das Bild vom faulen und undankbaren Griechen widerlegen, das in manchen Köpfen gerade wieder entsteht. Georgiadis entschuldigt sich für jene Landsleute, die Angela Merkel mit Hitler verglichen haben. „Das ist idiotisch.“ Und er spielt mit den Forderungen, die auch im Bundestag erhoben werden, sagt selbstbewusst: „Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht.“ Schon jetzt könnten Deutsche von den griechischen Erfahrungen profitieren. „Nur sechs Prozent der Bauern in Europa sind unter 35 Jahre“, rechnet Georgiadis vor. „Wer ernährt Europa in zehn Jahren?“ Er will jungen Leuten einiges von dem zurückgeben, was er gelernt hat: „Ich lade alle Deutschen ein. Bitte kommen sie zu uns und gucken, wie wir es gemacht haben.“ Für ihn läuft dort „das große Experiment für die Welt“.

Aufträge platzen, weil kein Geld überweisen werden kann

Was es heißt, in Griechenland einen Bio-Betrieb aufzubauen, wissen Michalis und Angeliki genau. Manchmal machen es ihnen dabei eigene Leute schwerer als Deutsche. Sie wollten zum Beispiel eine deutsche Abfüllmaschine kaufen. Der griechische Vertreter des Herstellers verlangte dafür 3000 Euro. Die hatten sie nicht. Angeliki hat dann mal in Deutschland nachgefragt. „Sie haben uns die Maschine für 1200 Euro geliefert. Der Transport hat 50 Euro gekostet.“ Sie ist sauer, welchen Reibach der griechische Importeur machen wollte. Wie alle anderen auch, können sie seit drei Wochen nichts von ihrem Konto oder über das Bezahlsystem Paypal ins Ausland überweisen. Auch für ihre laufenden Geschäfte gab es bisher keine Ausnahme von der Regel, die Kapitalflucht verhindern soll. Gerade droht ihr neuester Auftrag zu platzen, falls ihr Partner nicht kulant ist oder Freunde im Ausland helfen: Die Verpackungen für ihre neueste Kreation, Energieriegel auf Honigbasis, haben sie in England bestellt. Ohne Hülle kein Geschäft. Ob sich die Lage nächste Woche entspannt, wenn die Banken zumindest wieder öffnen, wissen sie noch nicht.

Auch der erste Zulieferer für Michalis’ Computer- und Mobilshop, von dem sie derzeit leben, hat Engpässe. „Der größte PC-Zubehöranbieter hat mir gesagt, dass es nur noch das gibt, was ich sehe, keine anderen Bestellungen.“ Ohne Ersatzteile keine Reparatur. Allerdings hat Michalis mit Reparaturen in der Krise schon schlechte Erfahrungen gemacht. Die Leute bringen ihre Computer, holen sie aber nicht wieder ab. Im Raum hinter seinem Laden in einer Athener Seitenstraße warten einige Geräte auf die Besitzer.

Vieles wird momentan über Tauschgeschäfte abgewickelt

Die Bioproduktion in Nea Makri soll ihre Zukunft werden. Angeliki kalkuliert schon, wann sie sich den ersten Angestellten leisten können. Im Moment regeln sie manches über Tauschgeschäfte. Die Labels für ihre Gläser hat ein befreundeter Grafiker entworfen, dafür hat Michalis dessen Computer in Schwung gebracht.

Inzwischen wird es immer schwieriger, in Apotheken ihren Biohonig zu verkaufen, die Menschen müssen mehr und mehr aufs Geld achten. „Der Verkauf ins Ausland wird die einzige Lösung sein“, glaubt das Paar. Ihre Regierung könnte griechischen Produzenten und damit ihrer Wirtschaft helfen, wenn sie dauernde griechische Märkte im Ausland einrichteten, finden sie. Steige die Nachfrage, „können wir besser unsere Steuern zahlen und die Arbeitslosigkeit sinkt“.

Das Handy klingelt, der Hotelmanager ruft an. Sie wollen den Honig in Kommisson verkaufen. Aber die Urlauber sind vor allem Franzosen und Polen. Da genügen die griechischen und englischen Labels nicht. Aber daran soll es nicht scheitern. Französisch kann sie, Polnisch ein Freund. „Ich bevorzuge es, positiv zu denken“, sagt Angeliki ruhig wie bestimmt und stillt ihre greinende Tochter. Wenn sie dann bei einem Kaffee auf der Terrasse sitzt, wertet sie das im Moment als Erholung. Wenn das Geschäft gut läuft, duftet Erholung für ihre Familie demnächst vielleicht auch nach Kokos.

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