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Wirtschaft: Biotech-Firmen kämpfen ums Überleben

Morphosys streicht Jobs und wechselt die Strategie – Abschied von der Medikamentenentwicklung

Berlin (pet). Die Schwäche der Finanzmärkte zwingt immer mehr BiotechnologieFirmen, ihre Strategie zu ändern, um so eine drohende Pleite abzuwenden. Wie zuvor schon die Heidelberger Lion Bioscience hat auch das Münchener Unternehmen Morphosys am Dienstag Abstand von der Idee genommen, eigene Wirkstoffe für Medikamente zu entwickeln. „Wir haben Schritte eingeleitet, unsere Organisation umzustrukturieren“, sagte Simon Moroney, der Chef des einstigen Anlegerlieblings Morphosys, auf einer Telefonkonferenz am Dienstag. Damit will Moroney das Überleben für die nächsten drei Jahre sichern. Nach einem deutlich gestiegenen Verlust im dritten Quartal will das Unternehmen, an dem auch Schering mit knapp zehn Prozent beteiligt ist, ein Viertel der Mitarbeiter entlassen, um die Kosten zu senken. Der Aktienkurs brach am Dienstag zeitweise um bis zu 14 Prozent ein.

Die Biotech-Branche steckt tief in der Krise. „Der Euphorie nach der Entschlüsselung des menschlichen Genoms, die vor zwei Jahren die Kurse auf Rekordniveau getrieben hat, ist Ernüchterung gewichen“, sagt die DIT-Fondsmanagerin Nicole Körtge. „Wir haben gesehen, dass all die Daten, die gesammelt worden sind, nicht unmittelbar zu umsatzstarken Medikamenten führen.“ Entsprechend groß ist jetzt der Kater. Nach dem Ausverkauf am Neuen Markt wissen viele Firmen nicht, wo sie das Geld für die langwierige und teure Produktentwicklung hernehmen sollen. Auch private Investoren sind nach einigen Flops in der Produktentwicklung vorsichtiger geworden.

Darunter leiden Biotech-Firmen wie Morphosys. Das Unternehmen hatte erst im April angekündigt, es wolle sich künftig auf die Entwicklung von Wirkstoffen für Medikamente verlegen und damit der traditionellen Pharmabranche Konkurrenz machen, statt – wie bisher – nur Biotech-Dienstleistungen anzubieten. Die Wirkstoffentwicklung ist zwar riskanter, belohnt die Unternehmen im Erfolgsfall aber mit sehr hohen Margen. Doch nur sieben Monate nach der Ankündigung hat Morphosys-Chef Moroney von dem Plan der Arzneientwicklung schon wieder Abstand genommen. Es blieb ihm gar nichts anderes übrig.

Morphosys hat im dritten Quartal einen Fehlbetrag von 6,7 Millionen Euro verbucht, nach 1,6 Millionen Euro im Vorjahresquartal. Nach Unternehmensangaben lag der Bestand an flüssigen Mitteln und börsengängigen Wertpapieren zum 30. September bei knapp 24 Millionen Euro. Das ist nicht viel, wenn man bedenkt, dass die Entwicklung von neuen Medikamenten bis zur Marktreife rund 800 Millionen Dollar kostet. Das schwache Marktumfeld erlaube es Morphosys derzeit nicht, für Forschungspartnerschaften neue Aktien auszugeben, sagte Moroney. Mit Hilfe solcher Partnerschaften hatte sich Morphosys frisches Geld verschaffen wollen.

Auch Lion Bioscience, ebenfalls einer der früheren Stars am Neuen Markt, hatte im September angekündigt, sich vom neuen Geschäftsbereich Wirkstoffforschung zum Jahresende wieder zu trennen. Künftig will sich das Unternehmen wieder auf den Kernbereich Bioinformatik konzentrieren. Lion-Chef Friedrich von Bohlen hatte den Rückschritt mit der Notwendigkeit begründet, Kosten zu sparen. Lion legt am heutigen Mittwoch Quartalszahlen vor, der Konkurrent Genescan am Donnerstag.

Nach Ansicht von Marktbeobachtern ist die Cash-Situation auch bei Firmen wie der Freiburger Bio Tissue und der Brandenburger Firma Codon kritisch. Bio Tissue verfügte Ende April über eine Liquidität von rund acht Millionen Euro, Codon über einen Cash-Bestand von nur noch zehn Millionen Euro. „Damit droht 2003 ein Liquiditätsengpass", sagt DZ-Bank-Analyst Thomas Höger. Auch die Hamburger Biotech-Firma Evotec hat nach Angaben Högers nur noch 15 Millionen Euro in der Kasse, der Analyst rechnet aber schon 2003 mit einer positiven Entwicklung. Evotec hat die Mitarbeiterzahl bereits deutlich von 610 auf 570 reduziert.

Marktbeobachter gehen davon aus, dass es in den nächsten drei bis fünf Jahren zu einem Ausleseprozess in der deutschen Biotech-Branche kommt. Das muss kein Desaster sein „In den USA hatten wir Anfang der 90er Jahre eine ähnliche Entwicklung“, sagt Fondsmanagerin Körtge. „Die Unternehmen, die überleben, gehen gestärkt aus dem Prozess hervor.“ Auch DZ-Analyst Höger geht davon aus, dass die deutsche Biotech-Industrie trotz der jetzigen Krise eine Zukunft hat. „Die Fundamentaldaten stimmen“, sagt er.

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