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Wirtschaft: Bis zu drei Viertel des Umsatzes werden in Rußland erwirtschaftet

Wie es jetzt weiter geht, weiß Eberhard Kühlfluck auch nicht.Ziehen die Russen seine Firma mit den Abgrund?

Wie es jetzt weiter geht, weiß Eberhard Kühlfluck auch nicht.Ziehen die Russen seine Firma mit den Abgrund? Oder liegen die Geschäfte nur für eine Übergangszeit auf Eis? Kühlfluck ist Geschäftsführer der Berliner AST Anlagen- und Systemtechnik GmbH, die mehr als drei Viertel des Umsatzes in Rußland erwirtschaftet.AST liefert Anlagen wie etwa komplette Fertigungsstraßen für die Autoindustrie.Verträge über die Ausrüstung russischer Maschinenbauer waren schon unterschriftsreif.Dann brach das Bankensystem zusammen, und jetzt geht gar nichts mehr Richtung Osten.Ganz anders ist die Situation bei der Grasso International, die große Kälteanlagen etwa für Molkereien, Schlachthöfe und Brauereien liefert.Da die Russen kaum noch Nahrungsmittel importieren können, müsse sie den Grad der Eigenversorgung erhöhen.Und dafür brauchen sie Kühlanlagen."Deshalb sind wir sehr optimistisch", sagt der Berliner Grasso-Chef Karl-Heinz Baetz."Unsere Produktion hat mit Essen und Trinken zu tun, und da kommt keiner dran vorbei." Grasso, die zur Kältesparte der Bochumer GEA AG gehört, setzt einen knapp zweistelligen Millionenbetrag in Rußland um.Und das soll auch künftig nicht weniger werden.

Glaubt man den Freunden der Statistik, dann ist ohnehin alles halb so schlimm.Vernachlässigbare 1,9 Prozent der deutschen Exporte gehen nach Rußland, so sagen die Beschwichtiger und zeigen auf die Rangliste der wichtigsten Exportländer.Da taucht Rußland erst auf Platz 14 auf.Aber ganz anders ist die Lage in den neuen Ländern; Rußland ist der zweitgrößte Abnehmer ostdeutscher Waren.Und so fürchtet zum Beispiel Sachsens Wirtschaftsminister Kajo Schommer den Verlust von 50 000 Arbeitsplätze in Folge der Moskauer Krise.Der Hauptgeschäftsführer der Berliner Unternehmensverbände, Hartmann Kleiner, spricht von einer "äußerst heiklen Situation".

Kaum ein Unternehmen der Region macht soviel Umsatz in Rußland wie die Berlin-Chemie.Bis Mitte August wurden Arzneimittel im Wert von 40 Mill.DM geliefert, für das gesamte Jahr waren 75 Mill.DM geplant.Dann kam die Krise.Der Vorstandsvorsitzende Hans-Jürgen Nelde korrigiert den erwarteten Umsatz nun nach unten, von 350 Mill.DM auf 315 Mill.DM.Berlin-Chemie verkauft in Rußland vor allem Arzneien für Diabetiker und Herz-Kreislauf-Medikamente, in der Regel gegen Vorkasse und mit unterschiedlichen Zahlungsfristen.Die aktuelle Tristesse nimmt Nelde nicht allzu schwer.Denn die Russen importieren 80 Prozent der benötigten Arzneimittel, sind also stark abhängig von funktionierenden Lieferbeziehungen.

Nelde sieht viele Wege aus der Krise, "in Rußland ist da vieles möglich, viele haben harte Währungen".Eine "zentralistische Entscheidung der Regierung zur Arzneimittelversorgung" inklusive Staatsgarantien der russischen Seite sei ebenso denkbar wie eine weitergehende Hermes-Deckung auf deutscher Seite.An der massiven Marktbearbeitung in Rußland will Berlin-Chemie jedenfalls keine Abstriche machen; immerhin 150 Angestellte hat das Unternehmen vor Ort, im wesentlichen Marketingleute und Pharmareferenten, die die Arzneimittel unter die Ärzte bringen.

Im Vergleich dazu heißt das Kommando bei der Deutsche Waggonbau und bei dem Baustoffunternehmen Eternit eher "zurück".Die DWA ist nur noch im Ersatzteilgeschäft auf dem russischen Markt tätig, entsprechend "tangiert uns die Krise nicht", sagt Sprecher Günther Krug.Die Eternit AG unterhält immerhin ein Büro in Moskau.Doch im Moment "läuft so gut wie gar nichts mehr", sagt Unternehmenssprecher Martin Schneider.Eternit verkleidet Hausfassaden, bislang zumeist im Auftrag staatlicher Stellen oder auch von Banken.Der Absturz des Rubel im August blockiert nun die Geschäfte.So hatte das Berliner Baustoffunternehmen bereits den Auftrag zur Verkleidung einer Schule im Sack.Doch nach dem Rubelverfall wäre das Projekt für den öffentlichen Auftraggeber dreimal so teuer gekommen wie zuvor - also wurde die Schulsanierung gestrichen.

Für Eternit ist das zu verkraften, insgesamt liegt der Rußland-Umsatz unter einer Mill.DM.Da die Russen die weltweit größten Asbestproduzenten sind, "haben wir keine Illusionen, daß man in absehbarer Zeit von der Asbestverwendung in der Faserzementproduktion abrücken wird".Entsprechend beschränkt sind die Markterwartungen von Eternit.

Die Ost-Berliner Landmaschinen und Transporttechnik ist ausschließlich im Osteuropa-Geschäft tätig.Knapp 13 Mill.DM des rund 15 Mill.DM umfassenden Umsatzes entfallen auf die GUS-Staaten.Geschäftsführer Günther Wagner spricht von einem "riesigen Bedarf an Landmaschinen, Ersatzteilen und Komponenten" bei den früheren Kolchosen und Sowchosen.Die "Hauptarbeit" der Berliner Maschinenhändler habe bislang schon im "Auffinden einer Finanzierungslösung" gelegen.Mit dem Zusammenbruch des russischen Bankensystems werden das jetzt noch mühsamer.Auch mit deutschen Banken mache es gegenwärtig "keinen Sinn", über eine Exportfinanzierung zu reden.Doch Wagner hat Signale empfangen, wonach Banken ab Januar wieder ins Geschäft einsteigen wollen.

Am heutigen Sonntag fliegt Dietrich von Graevenitz, Geschäftsführer von Berlin Consult (BC), nach Moskau.Unverdrossen wickelt der Projektmanager seine Geschäfte ab.Das liegt auch daran, daß die größten Rußlandaufträge von westlichen Auftraggebern stammen.Zum Beispiel von einem deutschen Autohersteller, für den BC ein Verwaltungsgebäude in Moskau baut.Oder von der EU, für die BC in verschiedenen russischen Regionen "wirtschafts- und exportfördernd" tätig ist.Berlin Consult macht seit rund 25 Jahren in Osteuropa Geschäfte.Die gegenwärtige Krise sieht von Graevenitz gelassen, nach Einschätzung seiner russischen Geschäftspartner sei in drei bis sechs Monaten das Schlimmste überstanden.Dazu wollen die Berliner Berater beitragen.Zum Beispiel, indem sie für die Stadt Moskau ein Wettbewerbsgesetz ausarbeiten, Konzepte für eine "optimierte Betriebsführung" entwerfen oder Führungskräfte ausbilden.

Im Auftrag der EU hat sich die Kraftwerks- und Anlagenbau AG (KAB) um russische Atomkraftwerke gekümmert.Das lag nahe, denn die KABler betrieben die gleichen AKW-Typen in der DDR.Mit dem Geld der EU-Steuerzahler entwickelte KAB Leitlinien zur Stillegung der russischen Kernkraftwerke und Modernisierungskonzepte.Von der Krise sind die Berliner, die knapp zehn Prozent des Umsatzes in Rußland machen, eher im konventionellen Bereich betroffen.Dennoch: "Wir haben Glück gehabt", sagte Exportchef Eckhard Sawatzki, drei Heizkraftwerke waren projektiert, konnten aber "gerade noch gestoppt werden".Sozusagen als Ersatz versucht KAB nun in Georgien und Aserbeidschan Aufträge zu akquirieren.

Die AST Anlagen- und Systemtechnik hat ihr Rußlandgeschäft wie viele andere auch mit einer russischen und einer deutschen Bank abgewickelt.Dabei finanziert das deutsche Institut die Lieferung vor und die russische Bank gibt eine Zahlungsgarantie für den Importeur.Nach dem Kollaps des russischen Bankensystems geht da jetzt gar nichts mehr.Die gegenwärtige Misere ist nicht nur bedrohlich für die 30 AST-Ingenieure.

Da AST die Komponenten und Anlagen für die Russen zumeist in den neuen Länder zusammenstellt, sind weitere Zulieferer betroffen.Die ehemals zum Ost-Berliner Werkzeugmaschinenbauer Niles gehörende AST hat inzwischen eine 100prozentige italienische Mutter.Das verschafft ein bißchen Luft.Geschäftsführer Eberhard Kühlfluck will jedenfalls das eigene Büro in Moskau "so lange halten, wie wir uns das leisten können".Denn langfristig, da sind sich alle einig, ist Rußland ein Wachstumsmarkt.

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