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Wirtschaft: Bittere Pillen

Boehringer Ingelheim gibt Aids-Medikamente in armen Länder günstiger ab – für die meisten Erkrankten sind sie dennoch zu teuer

Es reichen ein paar Tabletten, zwei Mal pro Tag, um Leben zu retten. Leben von 33 Millionen Menschen weltweit, die mit dem HI-Virus infiziert sind und dringend eine Behandlung brauchen. Die meisten der Infizierten leben in Entwicklungsländern mit schlechter Gesundheitsversorgung, rund 5,7 Millionen davon allein in Südafrika. Das Land hat eine der höchsten Aidsraten der Welt. 2008 starben dort 350 000 Menschen an der Immunschwäche – jeder zweite Todesfall geht auf die Krankheit zurück. Dabei gilt Südafrika als eines der bestentwickelten Länder Afrikas. Dennoch werden nach Angaben von UNAIDS am Kap nur knapp 30 Prozent der HIV-Infizierten mit den überlebenswichtigen Medikamenten versorgt. Sie werden von großen Pharmakonzernen wie Gilead, GlaxoSmithKline, Abbott und auch von dem deutschen Familienunternehmen Boehringer Ingelheim produziert und oft teuer verkauft.

Boehringer geriet 2001 in die Schlagzeilen, weil es mit 38 weiteren Pharmakonzernen Südafrika verklagte. Das Land hatte unter Nelson Mandela ein Gesetz erlassen, das den Zugang zu Aidsmedikamenten erleichtern sollte. Im Falle eines Gesundheitsnotstandes räumte sich der Staat die Möglichkeit ein, Zwangslizenzen für die Produktion patentgeschützter Medikamente zu vergeben, um diese im eigenen Land günstiger herzustellen. Unter massivem internationalen Druck ließen die Firmen die Klage fallen.

Und auch 2006 löste Boehringer Entrüstung aus, weil der Konzern versuchte, ein Aidsmedikament, das in Indien nicht geschützt ist und als Nachahmerpräparat hergestellt wird, unter Patentschutz zu stellen. Die günstigen Generika aus Indien sind jedoch überlebenswichtig für Millionen Menschen in Entwicklungsländern. Eine Kombinationstherapie für einen HIV–Patienten mit indischen Generika kostet nur 70 US-Dollar pro Jahr.

Auch Boehringer gibt in 141 Ländern Rabatte von bis zu 90 Prozent für seine Aidsmedikamente. „Wir sind uns bewusst, dass die armen Länder nicht die hohen Entwicklungskosten mittragen können“, begründet Konzernsprecherin Judith von Gordon-Weichelt den Preisnachlass. Viel hilft das aber nicht. Denn allein das Präparat Viramune mit dem Wirkstoff Nevirapin, nur ein Baustein der Kombinationstherapie, das zwei Mal täglich eingenommen werden muss, kostet in den ärmsten Ländern der Welt – und dazu zählt der Konzern auch Südafrika – pro Tag 60 US–Cent. Die Einmaldosis, die die Übertragung des HI-Virus von der Mutter auf das Kind bei der Geburt verhindern soll, vergibt Boehringer sogar kostenlos. Allerdings empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation diese Therapie nicht mehr. „Die Einmalgabe fördert Resistenzen und senkt das Risiko der Übertragung wesentlich weniger stark als eine Kombinationstherapie während der Schwangerschaft“, sagt Christiane Fischer, Ärztin und Geschäftsführerin der Buko Pharma-Kampagne, die sich für eine bessere Medikamentenverteilung in armen Ländern einsetzt.

Dennoch stehen Organisationen wie „Ärzte ohne Grenzen“ dem Umgang von Boehringer mit dem Patentschutz heute positiver gegenüber. So erlaubt der Konzern in den meisten armen Ländern Pharmafirmen vor Ort, Nachahmerprodukte seines geschützten Aids-Medikaments zu produzieren. In Südafrika darf die Firma Aspen Nevirapin herstellen. „Wenn alle Konzerne sich so verhalten würden wie Boehringer heute, wäre schon viel gewonnen“, sagt Oliver Moldenhauer, Koordinator der Medikamentenkampagne von „Ärzte ohne Grenzen“. Das Unternehmen habe auf den öffentlichen Druck reagiert. „Boehringer will der Gute unter den Bösen sein“, sagt auch Fischer. Doch die Pharma-Konzerne sind nicht das einzige Hindernis bei der Behandlung von Aids-Kranken in ärmeren Ländern. Es reiche nicht, wenn Boehringer Medikamente zur Verfügung stelle, sagt von Gordon-Weichelt. Auch die Regierungen müssten mitziehen. „Und manche Länder kaufen eben lieber Panzer, als ins Gesundheitssystem zu investieren“, sagt sie. 14 Millionen Aidsinfizierte weltweit bräuchten die Medikamententherapie, nur vier Millionen bekommen sie. Jahel Mielke

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