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Wenn die Netzfrequenz nicht stimmt, fahren Kraftwerke automatisch herunter - dann fließt kein Strom mehr.

© dpa

Blackout-Szenario: Vattenfall in Berlin probt für den großen Stromausfall

Häufiger auftretende Wetterextreme und die neuen Energien erhöhen das Risiko eines großen Blackouts: Beim Berliner Stromnetzbetreiber Vattenfall probt man den Ernstfall. Ein Besuch beim Leiter des Krisenstabes.

Wie ein Verrückter riss Piero Manzano das Lenkrad herum. Schon im ersten Satz von Marc Elsbergs 2012 erschienenem Bestsellerroman „Blackout“ wird sein Held fast von einem Lkw zermalmt. Der war außer Kontrolle geraten, weil schlagartig alle Ampeln und Straßenlaternen erloschen sind. Chaos auf den Straßen.

Die nächste Szene spielt im Kontrollzentrum des italienischen Stromnetzbetreibers Terna bei Rom, wo der übermüdete System Operator mit Blick auf die riesige Tafel nur noch zusehen kann, wie für ganz Norditalien rote Lämpchen leuchten: Das bedeutet Blackout, totaler Stromausfall. Dann auch Sizilien, Kalabrien, Apulien im Süden. Es kommt zum Kaskadeneffekt: Am österreichischen Wasserkraftwerk Ybbs-Persenbeug vertrauen Steuerungsingenieure ihren Computern mehr als ihrem Kollegen unten bei den Turbinen. Und plötzlich zeigen die Tafeln auch Probleme in Südschweden. Bald ist im Roman auch in Deutschland und ganz Europa alles aus.

Das Buch, in dem der Informatiker Manzano Ursachenforschung betreibt, wird mit jedem Tag, den der Ausfall andauert, mehr zum Horrorthriller. Auf Suche nach Wasser und Nahrung ist sich jeder selbst der Nächste. Ohne Strom löst sich die Gesellschaft auf, Europa steht am Rande eines Bürgerkrieges.

„Der Elsberg hat das schon ganz gut erzählt. Er hat bei der Recherche offenbar mit den richtigen Leuten gesprochen“, bescheinigt Thomas Schäfer, der technische Leiter des Berliner Stromnetzbetreibers Vattenfall, dem Autor. „Nur würden wir keine Tage brauchen. Nach spätestens acht Stunden, würden wir in Berlin eine Teilversorgung aufbauen.“ Er selbst hat so einen Fall noch nie erlebt. In Berlin ist das Netz bisher nie vollständig zusammengebrochen – außer in den ersten paar Jahren seit der Elektrifizierung der Stadt ab 1884 in der Insel rund um den Gendarmenmarkt. Sollte es aber doch passieren und damit Licht, Fahrstühle, U-Bahnen, Wasserhähne, Handymasten, Geldautomaten ausfallen, wäre Schäfer gefragt. Der 51-jährige Elektroingenieur wäre dann auch Leiter des Vattenfall-Krisenstabes. Mindestens einmal im Jahr übt seine Mannschaft den Ernstfall, den Schäfer allerdings für „unwahrscheinlich“ hält.

Thomas Schäfer, Chef der Berliner Stromnetze. Er wäre Leiter des Vattenfall-Krisenstabes, wenn er eingerichtet werden müsste.
Thomas Schäfer, Chef der Berliner Stromnetze. Er wäre Leiter des Vattenfall-Krisenstabes, wenn er eingerichtet werden müsste.

© Vattenfall

Während der Mann, der als Hobby Bogenschießen angibt, mit ruhiger Bassstimme spricht, piept sein Handy. Eine Computerstimme berichtet: „Stromausfall in Charlottenburg, Westend, 1334 Hauseinheiten betroffen. Vermutete Ausfalldauer: etwa zwei Stunden.“ Eine lokale Station ist aus dem Takt geraten. Techniker sind unterwegs. Am Ende werden es vier Stunden. „So etwas passiert halt, und lässt sich auch kaum vermeiden“, erklärt Schäfer. Wenn Instabilitäten im Netz sind, die nicht ausgeglichen werden können, schalten sich Anlagen automatisch ab, um sich zu schützen. Meist seien Störungen aber zeitlich und lokal begrenzt. Allerdings können sie sich ausbreiten – weil Europas Regionen über die Stromautobahnen, die 380-Kilovolt-Leitungen, verbunden sind.

Schäfer erinnert an das Schneechaos im Münsterland Ende 2005, wo viele der vor 1940 errichteten Strommasten unter der Schneelast zusammenbrachen und einige Gemeinden nach vier Tagen noch nicht versorgt waren. Oder an 2006, wo ein Netzbetreiber ohne Vorwarnung eine Leitung über die Ems hinweg abschaltete, um einem Kreuzfahrtschiff der Meyer-Werft die Durchfahrt zu ermöglichen. Da fielen Teile der Versorgung vom Ruhrgebiet bis nach Portugal aus. Das letzte Ereignis hierzulande, das Experten als echten „Blackout“ bezeichnen, fand in den 1970er Jahren in Bayern statt.

Gefahr durch häufiger werdende Wetterextreme

Und doch wächst das abstrakte Risiko, dass es früher oder später zu einem großflächigen und längeren Ausfall kommt. Zum einen droht die Gefahr durch immer häufiger auftretende Wetterextreme: Bei einer Hitzewelle oder strengstem Frost müssen etwa Kernkraftwerke, die auf die Kühlung durch Flüsse angewiesen sind, ihre Kapazität drosseln oder ganz herunterfahren. Auch Wasserkraftwerke bekommen Probleme. Verstärkt wird das Problem sobald die Russen, wie in vergangenen Wintern geschehen, weniger Gas nach Mitteleuropa schicken, weil sie selbst mehr brauchen oder mit Transitländern offene Rechnungen begleichen.

Zum anderen ist da der Ausbau der erneuerbaren Energien: Im Jahresschnitt wird zwar rund ein Viertel des Stroms hierzulande mit Wind, Sonne und Biomasse erzeugt. Betrachtet man aber nur eine Viertelstunde – und das tun die Stromnetzbetreiber – sieht es ganz anders aus: Mal produzieren allein die Windräder zwischen Sylt und der Uckermark rechnerisch genügend Strom fürs ganze Land, dann wieder fast nichts.

So wird es immer schwieriger für die Stromnetzbetreiber die nötige Netzfrequenz von 50 Hertz zu halten. Fällt sie gegen 47 oder steigt nahe 53 Hertz, ist es aus. Kraftwerke und Umspannwerke schalten automatisch ab. Durch diesen plötzlichen Wegfall großer Anlagen wird das System dann weiter destabilisiert. So pflanzen sich Störungen fort.

Berlin, die Stadt, die nie (ganz) schläft: Bis zu 2200 Megawatt braucht die Stadt am Tag, in der Nacht noch 1000. Hier ist der Blick auf das Heizkraftwerk Mitte.
Berlin, die Stadt, die nie (ganz) schläft: Bis zu 2200 Megawatt braucht die Stadt am Tag, in der Nacht noch 1000. Hier ist der Blick auf das Heizkraftwerk Mitte.

© Vattenfall

„Wenn so etwas passieren sollte, wären wir in Berlin wahrscheinlich nicht die Ursache, aber ganz sicher Teil der Lösung des Problems“, sagt Vattenfalls Netz-Chef Schäfer. Im Zweifel müsste der Manager von seinem Privathaus am nördlichen Stadtrand in die Netzleitzentrale fahren, die in einem unauffälligen, aber gut gesicherten Bürogebäude in Berlin-Tiergarten versteckt ist. Da er mit Verkehrschaos rechnen muss, würde er sich zunächst bei der Polizei akkreditieren und mit Blaulicht abholen lassen.

Formal hat er bis zu zwei Stunden Zeit, den Krisenstab einsatzfähig zu bekommen. Aber schon nach Minuten würden erste Infrastrukturen zusammenbrechen: Wohnungen bekämen kein Wasser mehr, da Pumpen ausfallen und der Leitungsdruck abfiele, sobald viele Bürger Wasser abfüllen. Handynetze würden wohl nach zwei Stunden ganz zusammenbrechen.

In dem rund einhundert Quadratmeter großen Raum für den Krisenstab stehen Tische in U-Form, an der Wand Bildschirme für Videokonferenzen. Er wäre durch Dieselgeneratoren mit Strom versorgt und über sichere Leitungen mit der Außenwelt verbunden. In den Schränken liegen Telefone und sechs rote Aktenordner. Darin stecken Namenschilder, Kugelschreiber, Textmarker – banale Dinge, die man aber nicht erst suchen will, wenn jede Minute zählt. Dazu abgeheftet sind Checklisten, Schaltpläne, Telefonlisten. So würde sich das Krisenteam mit den anderen Netzbetreibern wie Gasag (Gas) und BVG (Verkehr) sowie dem Stab des Innensenators zusammenschalten.

Schäfers Job wäre es, die Kraftwerke wie Lichterfelde, Klingenberg und Mitte wieder ans Netz zu bringen. Und Berlin mit den Stromautobahnen zu verbinden. „Im Notfall suchen wir erst den Anlass für die Störung und nicht die Ursache“, erklärt Schäfer das Prinzip. Schuldige könne man später ausfindig machen.

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