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Wirtschaft: BMW auf Probefahrt in Rußland

KALININGRAD . Eher trist und wenig vertrauenerweckend sieht die ganze Fabrik von außen aus.

KALININGRAD . Eher trist und wenig vertrauenerweckend sieht die ganze Fabrik von außen aus. Nur drei BMW-Fahnen, die vor dem Zaun des Werksgeländes wehen, deuten an, daß hier in Kaliningrad bald eines der anspruchsvollsten Produkte deutscher Ingenieurskunst produziert wird. In der aufgeräumten Halle sind die ersten drei 5er BMW schon von den neuen Bändern gelaufen. Die Oberklassenmodelle werden voraussichtlich nie zu kaufen sein. Ein Team von Spezialisten des Münchener Autoherstellers prüft derzeit jede Fuge der Probeläufer. Schließlich sollen ihre Nachfolger auf dem russischen Markt qualitativ nicht schlechter sein als die Serien aus der Münchener Fabrik.

Das Risiko für BMW ist überschaubar. 50 Mill. DM investiert der Konzern in die Produktion, rund 75 Mill. DM in den Ausbau eines russischen Händlernetzes. 10 000 Autos sollen nach Angaben des Unternehmens später pro Jahr vom Band der Kaliningrader Firma Avtotor rollen, 5er BMW und Landrover Defender. Das ganze Projekt sei kein Joint Venture, wird in München betont. Vielmehr sei Avtotor nur Vertragspartner, ohne jede Kapitalbeteiligung.

Im Spätsommer sollen die ersten 5er Modelle ausgeliefert werden, ab Oktober auch Landrover. BMW setzt auf die enormen Perspektiven des russischen Marktes. Werden in diesem Jahr etwa eine Mill. Fahrzeuge neu zugelassen, dürften es 2002 schon 1,5 Mill. sein. Nach Auskunft der Münchener Konzernzentrale sollen die in Kaliningrad montierten Fahrzeuge zwanzig Prozent billiger sein als die aus Deutschland nach Rußland importierten. Teurer als in Deutschland sind sie immer noch. Das Modell 523i soll in Rußland umgerechnet 79 000 DM und der 528i 99 000 DM kosten.

Für einige neureiche Russen sind solche Preise kein Problem. Schon jetzt genießen BMW und Mercedes bei kaufkräftigen Russen, natürlich auch in der Moskauer Unterwelt, das größte Renommee. Kaliningrader Normalbürger werden keine Chance haben, sich einen der dort produzierten Wagen zu kaufen. Das Durchschnittseinkommen in der Kaliningrader Region liegt bei 1000 Rubel, nach aktuellem Kurs etwa 80 DM. Seit Jahren sinken die Realeinkommen. In der Gebietsverwaltung schätzt man, daß etwa ein Drittel der Bevölkerung am Rande des Existenzminimums lebt.

Nicht selten sind es die Familien entlassener Offiziere und Soldaten, die von der Hand in den Mund leben. Wer die verrosteten Kriegsschiffe im Hafen von Baltijsk nahe Kaliningrad sieht, kann sich kaum vorstellen, daß die hier stationierte baltische Flotte Rußlands noch jenen strategischen Stellenwert hat, der ihr in Moskau offiziell beigemessen wird. Überhaupt redet man im Kreml fast nur über die sicherheitspolitische Bedeutung Kaliningrads, kaum aber über die wirtschaftlichen Perspektiven der Region. Die tiefe Krise der russischen Exklave setzte ein, als die russische Regierung nach dem Zerfall der UdSSR alle Subventionen für Kaliningrad kappte. Jene Unternehmen, die einseitig für die Rüstung und die Raumfahrt produzierten, verloren ihre Basis. Inzwischen hat ein Strukturwandel hin zu Transport und Dienstleistung eingesetzt. Auch wenn einzelne Unternehmen, insbesondere Joint Ventures, von der vor wenigen Jahren geschaffenen Sonderwirtschaftszone profitieren, sind die wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Probleme der Region weiterhin gewaltig. Im vergangenen Winter wurde sogar der Notstand ausgerufen. Die Industrieproduktion sinkt nach wie vor, Infrastruktur und Logistik sind kaum entwickelt, die Landwirtschaft liegt brach.

Bei Lebensmitteln, Rohstoffen und Energie ist das Gebiet weitgehend auf Importe aus den Nachbarstaaten und aus dem russischen Mutterland angewiesen. Kaliningrad ist keine typische Region Rußlands. Hier leben außer Russen auch Ukrainer, Weißrussen, Litauer, Polen, Deutsche aus Kasachstan und Juden. Zusammen haben sie schon vor 1991, als das Gebiet noch militärische Sperrzone war, eine regionale Identität entwickelt. Man schaut vor allem nach Westen, kann sich auch eine frühere Assoziierung an die EU vorstellen, ohne daß dabei die territoriale Integrität Rußlands in Frage gestellt würde.

Die Segnungen westlicher Konsumgesellschaften im Stadtzentrum sind längst spürbar. Die Straßen sind voller geworden, und alte sowjetische Wagen wie die berüchtigten Wolgas sind kaum noch darunter. Gute Hotels und Restaurants gibt es inzwischen; Biergärten ziehen die Kaliningrader an; auch Modeboutiquen und gut bestückte Lebensmittelgeschäfte gehören zum Standard. Aber noch ist es nur eine Minderheit, die auf der westlichen Luxuswelle mitschwimmen kann. So hoffen gerade private Unternehmer, das Beispiel von BMW werde andere westliche Investoren ermutigen, in Kaliningrad aktiv zu werden. Inzwischen hat Volvo angekündigt, verstärkt ins regionale Geschäft einzusteigen.

Durch die Montage der 5er Modelle und den von BMW ebenfalls beabsichtigten Aufbau einer Vertriebszentrale für ganz Rußland in Kaliningrad sollen in den kommenden Jahren etwa 1300 neue Arbeitsplätze entstehen. Meldungen, wonach künftig 50 Prozent der BMW-Teile in Kaliningrad montiert werden, hat der Münchener Konzern allerdings weit von sich gewiesen. Gedacht sei nur daran, daß sich einige Zulieferer ansiedeln, etwa für Autositze - oder wenigstens für die Bezüge, sagt ein Sprecher. Allzu fest will sich BMW bei seinem Kaliningrader Testlauf nicht setzen.

REINHOLD VETTER (HB)

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