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© dpa

Bochum: Wunden im Westen

Nach der Schließung des Nokia-Werks droht Bochum bei Opel ein ähnlicher Schlag. Zu Besuch in einer verunsicherten Stadt.

Bochum - Der Regionalexpress fährt in eine vergangene Zeit. Er steuert die Haltestelle „Bochum Nokia“ an, benannt nach dem finnischen Handykonzern, der einst mehr als 3500 Menschen in der Stadt beschäftigte. Nur wenige Meter hatten es die Nokianer früher bis zum Werkstor. Zu Stoßzeiten drängte man sich auf dem Bahnsteig. Heute sitzt dort ein einzelner junger Mann mit kurzen dunklen Haaren und einer Flasche Bier. Marcel Emilio heißt der 25-jährige Bochumer. Eine Arbeit findet er in seiner Stadt zurzeit nicht. Bei Thyssen hat er Industriemechaniker gelernt, seit zwei Jahren ist er arbeitslos.

Ein ähnliches Schicksal droht rund 5000 Arbeitnehmern im Südosten der Stadt, am Opelring 1. Dort steht eines von vier deutschen Werken des Autobauers, Heimat des „Astra“ und „Zafira“. Seit 1962 gehört Opel zu Bochum. Nur wie lange noch? Mit den Opelanern bangen viele Zulieferbetriebe. Auch Marcel Emilios Vater arbeitet für eine dieser Firmen. „Wenn Opel jetzt dichtmacht, kann er seinen Job vergessen“, sagt Emilio.

Seit etwa drei Wochen wissen sie bei Opel, dass sie nichts wissen. Der Mutterkonzern General Motors (GM) will Opel nun doch sanieren und nicht verkaufen. Dabei waren die Verträge mit Magna schon ausgehandelt. Auch die Pläne hätten das Ruhrgebiet hart getroffen. 2050 Stellen hätte Magna in Bochum gestrichen, doch das Werk hätte eine Zukunft gehabt. Jetzt wackelt der ganze Standort.

Im Jahrhunderthaus bei der IG Metall ist das deutlich zu merken. In einem Großraumbüro mit viel Glas und roter Farbe prangt noch ein Aufkleber: „Nokia muss bleiben“. Doch diesen Kampf hat die Gewerkschaft lange verloren, der um Opel ist in vollem Gange. Volker Strehl ist einer, der ihn führt. Der Opel-Bevollmächtigte – schütteres Haar, dunkle Lederweste über dem hellen, hochgekrempelten Hemd – kämpft für die Mitarbeiter. Man hört seine Bochumer Wurzeln, er sagt „Vertrach“ statt Vertrag. Und er empört sich über die Mutter GM, die einen Europa-Chef mit „Abenteuerlust“ gesucht hätte. „Wir sind hier doch nicht im Wilden Westen.“

Nein, wild ist Bochum nicht. Es ist eine Stadt im Wandel. Bereits Opel verkörperte das. Auf den Ruinen der stillgelegten Zeche Dannenberg wurde das Werk erbaut. Strehl erinnert sich. Er war ein kleiner Junge, als Anfang der 70er Jahre die letzten Kohlebergwerke der Stadt geschlossen wurden. Damals galt Opel vielen Kumpels als Alternative. Heute arbeiten im Autowerk viele in zweiter oder dritter Generation. Auch die Familie von Marcel Emilio hat eine Opel-Vergangenheit. Sein Onkel arbeitete dort lange, bis er entlassen wurde. Zu Hochzeiten beschäftigte das Werk 22 000 Menschen. Das ist lange vorbei. „Seit 1990 wird bei Opel immer mehr heruntergefahren“, sagt Heinz-Martin Dirks, Leiter der Wirtschaftsförderung im Bochumer Rathaus. Seitdem hat sich die Stadt verändert. Zahlreiche Arbeitsplätze musste die Industriemetropole abbauen und damit ein Stück ihrer Identität. 1980 arbeiteten 75 000 Bochumer im produzierenden Gewerbe, 2008 noch 32 000. Im Gegenzug entstanden zehntausende neue Jobs im Dienstleistungssektor, doch nicht genug, um den Verlust auszugleichen. Um zwölf Prozent sanken die Beschäftigtenzahlen. Längst ist es nicht mehr der von Herbert Grönemeyer besungene „Pulsschlag aus Stahl“, der Bochum am Leben hält. „Bochum hat sich von einem stark industriellen Standort zu einer gemischten Wirtschaftsstruktur gewandelt“, sagt Tillmann Neinhaus von der Bochumer Industrie- und Handelskammer (IHK). Heute ist die Universität der größte Arbeitgeber, auch die Gesundheitsbranche zählt zu den wichtigen Stützen. Geblieben ist Thyssen-Krupp mit 4500 Mitarbeitern oder die deutsche Zentrale von BP. Doch vor wenigen Wochen kündigte der britische Energiekonzern an, 200 der 1200 Stellen nach Ungarn zu verlagern.

Der IHK-Chef sieht den Strukturwandel auf einem guten Weg. Die Arbeitslosigkeit liegt mit 10,4 Prozent niedriger als in anderen Städten der Region. Als zuletzt ein Fürther Politiker nach der Quelle-Pleite von einer drohenden „Bochumisierung“ sprach, schrieb Neinhaus einen empörten Brief. Doch auch er warnt mit Blick auf Opel: „Das wäre ein Schlag ins Kontor. Jetzt, wo die Wunden von Nokia gerade zu heilen beginnen.“

Schon bei Nokia musste die Stadt erleben, wie eine ferne Konzernzentrale über Bochumer Jobs entschied. Als Nokia 2008 den Umzug nach Rumänien verkündete, hatte man an alles gedacht. Sogar ein Notarzt stand bereit, um Erste Hilfe zu leisten. Heute sind nur 30 Mitarbeiter aus der Verwaltung geblieben, die nun wohl nach Ratingen umsiedeln. Einer von ihnen ist Silvano Guidone, einst Chef des Betriebsrats. Der 57-Jährige kümmert sich um die entlassenen Mitarbeiter und um die Auffanggesellschaft mit heute noch 600 Menschen, die im Januar ausläuft. „Rund die Hälfte hat einen neuen Job“, sagt er. Am schnellsten ging es bei 200 Ingenieuren, die ein kanadischer Blackberry-Hersteller engagierte.

„Bochum macht im Moment viel mit“, sagt der gebürtige Italiener, den es 1970 ins Ruhrgebiet zog. Guidone wird in Bochum bleiben, 2010 geht er in Rente. Auch Marcel Emilio möchte bleiben, aber nicht um jeden Preis. Für einen Job würde er Bochum verlassen.

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