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Wirtschaft: Börse: Die Aktienkultur in Deutschland hat gelitten

Börsenexperten sorgen sich um die junge, labile Aktienkultur in Deutschland. Ob der hohen Verluste an den Aktienmärkten und der seit 18 Monaten andauernden Börsen-Baisse sei die Gefahr sehr groß, dass gerade private Anleger nachhaltig das Vertrauen verlieren, fürchtet Rüdiger von Rosen, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Deutschen Aktieninstitutes (DAI).

Börsenexperten sorgen sich um die junge, labile Aktienkultur in Deutschland. Ob der hohen Verluste an den Aktienmärkten und der seit 18 Monaten andauernden Börsen-Baisse sei die Gefahr sehr groß, dass gerade private Anleger nachhaltig das Vertrauen verlieren, fürchtet Rüdiger von Rosen, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Deutschen Aktieninstitutes (DAI).

Eine "Monokultur" in vielen Portfolios stellt Herbert Berger, Leiter Aktienstrategie bei der Dresdner Bank, fest: "Gerade Neu-Aktionäre haben zu einseitig auf Kursrenner gesetzt." Der Risikoaspekt sei dabei zu kurz gekommen. Viele Privatanleger hätten Aktien als Zocker-Medium gesehen, stimmt Thomas Bieler von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen zu. Zahlreiche Anleger haben Kredite aufgenommen, einige sogar ihre Existenz verspielt. "Eine Aktienkultur hat letztlich eigentlich gefehlt", urteilt Bieler daher sogar. Nun droht auch nach Ansicht von Ulrich Hocker, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), die Gefahr, dass sich viele Privatanleger nach dem Schock herber Verluste langfristig vom Aktienmarkt verabschieden.

Die schlechte Stimmung unter den Investoren werten Finanzexperten allerdings nicht als Signal für eine sterbende Aktienkultur, sondern nur als harten Dämpfer. Darauf weist auch eine repräsentative Umfrage des Forsa-Instituts unter knapp 2800 befragten Kleinanlegern hin. 53 Prozent der Befragten gaben an, trotz Verlusten im Depot weiter Aktien kaufen zu wollen.

"Derzeit findet eine Bereinigung statt zwischen Anlegern, die es ernst meinen, und solchen, die alles auf die leichte Schulter nehmen", interpretiert Dresdner-Bank-Mann Berger die Lage. Ohnehin reife eine Aktienkultur nur, wenn Anleger sich neben positiven Erfahrungen auch an negativen übten. Relativ gelassen wertet Alfred Roelli, Leiter Anlagestrategie Privatkunden bei der Deutschen Bank, die jüngsten Börsenerfahrungen: "Die deutsche Aktienkultur wurde nicht entscheidend geschwächt", meint er. Das Platzen der Kursblase habe dazu beigetragen, dass die "naive Aufbruchstimmung" verschwunden sei. Anleger verstünden nun besser, worum es an der Börse gehe, und streuten ihr Kapital breiter über verschiedene Aktien, lobt Roelli. Das leitet er auch daraus ab, dass Anleger im ersten Halbjahr trotz erneut zweistelliger Kursverluste bei internationalen Standardaktien kräftig Geld in Aktienfonds angelegt haben. Nach Angaben des Bundesverbands Deutscher Investmentgesellschaften (BVI) waren Aktienfonds in Deutschland, die netto 6,2 Milliarden Euro neue Mittel verbuchten, die Fondsart mit den höchsten Zuflüssen. Der Aktienkultur helfe die trotz Baisse steigende Zahl der Aktienfonds-Besitzer. Seit 1997 ist der Wert laut DAI um 340 Prozent explodiert. Die Zahl derer, die nur auf Einzelaktien setzen, hat in der Zeit um die Hälfte zugelegt, zuletzt aber abgenommen. Nach Erfahrung von Kundenberatern der Deutschen Bank wünschten Anleger nun defensivere Portfolios, sagt Roelli. Selbst wenn die meisten eine langfristig vernünftige Aktienquote von 40 Prozent ins Depot nähmen, steige der Anteil der Aktionäre im Land von heute 21 Prozent, was die Aktienkultur festige. Wenn Anleger gerade mit Blick auf die private Vorsorge wirklich nach ihrer persönlichen Risikoneigung investierten, wäre viel erreicht, zeigt sich Verbraucherschützer Bieler vorsichtiger.

Damit die Aktienkultur stabil wird, müssen auch Finanzberater besser werden, sind sich die Experten einig. "Manche junge Berater haben durch den Kurs-Höhenflug die Perspektiven zu rosig gesehen", räumt Berger ein. Die Lehre für Anleger und Berater laute, dass für Langfristiganlagen wie zur Altersvorsorge nur Aktien erfolgreicher Firmen in Frage kämen, die Werte schafften und auch erhielten, ergänzt Aktionärsschützer Hocker.

Generell kommt an eine langfristige reale Rendite von acht Prozent der Aktie keine andere Anlageart heran. Auch die Politik darf nach Ansicht von Rosens nichts unversucht lassen, um den drohenden Vertrauensverlust bei Anlegern einzudämmen. Das Ende des Jahres erwartete vierte Finanzmarktförderungsgesetz soll dem Aktienmarkt mehr Transparenz und Kontrolle bringen. Auswüchse wie bei EM.TV oder Gigabell müssten hart geahndet werden, meint der Aktieneperte.

rez

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