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Wirtschaft: Börse: Nur mutige Investoren bieten dem Bären die Stirn

Es war eine gewaltige Blase an der New York Stock Exchange, und die ist geplatzt. Darüber sind sich die meisten Anleger und Analysten einig.

Es war eine gewaltige Blase an der New York Stock Exchange, und die ist geplatzt. Darüber sind sich die meisten Anleger und Analysten einig. Jetzt will natürlich jeder wissen, wie es weiter geht, wie stark und wie schnell sich die Aktien an der Wall Street erholen. Hier scheiden sich die Geister. Die gängige Weisheit lautet: Ein Bärenmarkt, wie Börsianer die Baisse gern nennen, ist dann zu Ende, wenn der letzte Anleger kapituliert und die Hoffnung auf eine baldige Erholung der Kurse aufgibt. Dann wird das Depot um jedem Preis geräumt, es kommt zum Ausverkauf. Das Problem ist: Derzeit warten alle auf diesen Sell-out. Die Anleger, die zum Teil auf Verlusten von 70 Prozent sitzen, haben Angst, die Aktien könnten, kaum dass sie verkauft haben, kometenhaft steigen. Dann wären sie die Dummen, die zu teuer gekauft und zu billig verkauft haben.

Viele Unternehmenstitel, insbesondere aus dem Technologiesektor, sind inzwischen deutlich günstiger als noch vor zwölf Monaten. Betrug die Relation von Kursen zu Gewinnen im US-Tech-Index Nasdaq in der Spitze 400, schrumpfte sie mittlerweile auf 150. Angesichts der ungewissen Wachstumsperspektiven ist das noch immer ein stolzer Preis. Im Durchschnitt seit 1985 wurden die Nasdaq-Titel mit einem Kurs-Gewinn-Verhälntis von 50 bewertet. Die Crux ist, dass führende High-Tech-Unternehmen wie Cisco Systems, Oracle, Intel, Microsoft und EMC nicht nur 70 Prozent an Kurswert verloren haben. Die Gewinne brachen ebenfalls ein. Steve Galbraith, Stratege beim Investmenthaus Morgan Stanley Dean Wittern, ist allerdings überzeugt, "dass vernünftigeren Gewinnprognosen in den Kursen der großen Technologie-Aktien allmälich enthalten sind." Auch Steve Milunovich, technischer Analyst bei Merrill Lynch, sagt, das Risiko für weitere Kursverluste sei begrenzt. Milunovich warnt Investoren aber gleichzeitig davor, auf eine spektakuläre und anhaltende Rallye zu hoffen. Die Lagerbestände seien noch immer zu hoch und die Investitionsbereitschaft der US-Unternehmen gering. "Es wird Zwischen-Rallies geben. Die werden aber von kurzer Dauer sein, so lange sich die Fundamentaldaten nicht verbessern." So gewann die Nasdq Anfang Januar zwölf Prozent, tauchte nach von Gewinnwarnungen jedoch wieder ab.

Zum Thema Online Spezial: New Economy Andererseits ist nicht zu übersehen, dass die New Economy im Vergleich zur Old Economy nicht allzu teuer ist. Das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis der zehn größten US-Technologieunternehmen, gemessen am Gewinn für 2001, fiel auf rund 30 von 70 vor einem Jahr. Blue-Chips wie Pfizer, Wal-Mart und Coca-Cola sind nicht billiger zu haben. Anleger haben zum gleichen Preis also die Wahl zwischen einem riskanten Investment in Computer- und Internetwerte, die langfristig noch immer ein hohes Wachstum versprechen, und Konsum- oder Pharmaunternehmen, die bei größerer Stabilität langsamer wachsen. Hinzu kommt, dass die Korrektur in der Old Economy, die unter einer möglichen Rezession der US-Wirtschaft stark leiden würde, sich erst in den vergangenen Tagen beschleunigt hat.

Mittlerweile haben alle wichtigen Aktienindizes das Reich der Bären betreten. Der technologiebeladene Nasdaq-Index verlor seit dem Hoch im März vergangenen Jahres 62 Prozent, das Barometer der 500 größten Standardwerte S & P 500 gab 27 Prozent nach. Nur dem Dow Jones Industrials gelang es, sich den Klauen des Bären mit knapper Not zu entziehen. Der traditionsreiche Blue-Chip-Index rutschte seit dem Hoch am 14. Januar 2000 immerhin um 19,9 Prozent. Diese Chronik markiert einen entscheidenden Unterschied zu vergangenen Kursabschwüngen. War der Crash früher oft kurz und schmerzvoll, zog er sich diesmal zermürbend in die Länge. Viele Anleger machten erstmals die Erfahrung, dass es sich nicht auszahlt, nach jedem Einbruch sofort zu kaufen, waren die Aktien wenig später doch schon viel billiger zu haben. Entsprechend tief sitzt die Skepsis, ob ein rascher und nachhaltiger Aufschwung realistisch ist.

Im Durchschnitt der vergangenen zehn Bärenmärkte benötigte der S & P 500 beispielsweise 19 Monate, um vom Tief wieder auf alte Höhen zu klettern. Gelang der Aufstieg Anfang der achtziger Jahre in erstaunlichen fünf Monaten, mussten sich Anleger nach dem Einbruch 1973-74 beinahe sechs Jahre gedulden, bis sie ihre Verluste wieder wettgemacht hatten. Wenn die Cisco-Titel ab sofort jährlich um 15 Prozent steigen, haben sie ihren Höchstkurs von rund 82 Dollar in zehn Jahren wieder erreicht. Die Historie spricht dafür, dass sich die Investoren mit langem Atem Zeit lassen können, bevor sie wieder zugreifen.

In den zehn Jahren bis Ende 1999 bescherte der S & P 500 Anlegern eine jährliche Rendite von 18 Prozent. Im langfristigen Durchschnitt verdienten Aktionäre aber kaum mehr als zehn Prozent. Unterstellt, die Renditen passten sich diesem historischen Maß in den kommenden zehn Jahren wieder an, müssten sich Anleger auf eine Dekade negativer Renditen gefasst machen. Auch wenn ernste wirtschaftliche Probleme bevorstehen, sollten Anleger Aktien nicht in Gänze verdammen. Es wird auch in diesem Jahr Phasen der Erholung geben, in denen an der Börse Geld zu verdienen ist. Den Wettkampf mit Anleihen und Geldmarktprodukten können Aktien allemal leicht aufnehmen. In den USA rentieren 30jährige Staatsbonds nach Abzug der Inflation derzeit mit weniger als zwei Prozent. Derart niedrige Realzinsen lassen Unternehmenstitel attraktiv aussehen. Wichtiger denn je ist jetzt allerdings, die einzelnen Aktien sorgfältig auszuwählen.

Catherine Hoffmann

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