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Wirtschaft: Börsen-Experten: Die Aktienanalysten üben sich in Zerknirschung

Die Börsenturbulenzen haben nicht nur viele Anleger enttäuscht. Auch die Zunft der Analysten hat es im Moment nicht einfach, mit der Situation umzugehen.

Die Börsenturbulenzen haben nicht nur viele Anleger enttäuscht. Auch die Zunft der Analysten hat es im Moment nicht einfach, mit der Situation umzugehen. Sie stehen teilweise in der Kritik, nachdem sich viele Empfehlungen als deutlich zu optimistisch herausgestellt haben.

"Das Frustrationspotenzial ist schon sehr groß", sagt Pia-Christina Schulze von der Münchner Privatbank Merck Finck & Co. Sie analysiert die europäischen Automobilwerte und nicht die High-Tech-Titel. "Insofern hatte ich Glück, mir ist es noch relativ gut ergangen", sagt sie. Aber auch sie hat ein Unternehmen unter Beobachtung, das die Anleger herb enttäuscht hat: Daimler-Chrysler. "Es war nicht abzusehen, was uns da bei Chrysler erwarten würde." Schulze geht davon aus, dass der Daimler-Chrysler-Vorstand die Analysten "nach bestem Wissen und Gewissen" informiert hat. "Ich hatte das Gefühl, dass die Zentrale oft selbst überrascht worden ist, was da aus den USA kam."

"In der Hochphase Anfang des Jahres war die Stimmung an Euphorie nicht zu überbieten, jetzt ist sie an Pessimismus nicht zu übertreffen", sagt Ralf Hallmann, Telekom-Analyst der Bankgesellschaft Berlin. "Positive Nachrichten kommen einfach nicht durch - auch bei den Medien nicht." Und wenn immer alle das gleiche tun, könne das nicht richtig sein. "Anfangs sind die Risiken nicht so hoch eingestuft worden, da wurde nur auf die Chancen geachtet." Viele Analysten hätten sich von den hochtrabenden Geschäftsplänen der Jungunternehmer der New Economy einfangen lassen, wer heute die selbst verfassten Börsengang-Studien anschaue, könne manchmal nur mit dem Kopf schütteln. Allerdings sei es Anfang des Jahres auch sehr schwer gewesen, die Lage richtig einzuschätzen. "Bei Neugründungen ist das vorhandene Zahlenmaterial gering. Man kann daraus wenig Schlüsse ziehen, es gibt kaum andere Anhaltspunkte als den Plan", sagt Hallmann.

"Wir haben gerade heute im Kollegenkreis über das Problem diskutiert", erklärt Frank Wellendorf, Telekom-Analyst bei WestLB Panmure. "Es ist immer die Frage, ob man sich als Analyst auf den Standpunkt stellt, es besser als der Markt zu wissen und an seinen Kurszielen festzuhalten ohne die Marktstimmungen zu berücksichtigen." Weil eben viele diesen Stimmungen folgten, entwickele sich ein Teufelskreis. "Das Jahr 2000 ist ein mustergültiges Beispiel für so eine Massenpsychose." Auch die Analysten hätten sich davon nicht abkoppeln können. Noch im Frühjahr seien positive Signale aus dem Markt verstärkt positiv interpretiert worden. Wer in dieser Phase in seinen Beurteilungen vorsichtig gewesen sei, sei von allen Seiten unter Druck geraten. Mittlerweile habe sich die Sicht der Analysten auf die Unternehmen gewandelt. "In der Euphoriephase lebt man leicht mit einer guten Story. In einer Phase wie jetzt muss die aber mit harten Zahlen unterlegt werden können. In der Euphoriephase hat danach keiner gefragt."

Vor allem die Arbeit der Analysten, die den Neuen Markt beobachten, ist ins Blickfeld der Anleger gerückt. "Unsere Analyse-Instrumente sind gut", betont der Medienanalyst eines Düsseldorfer Bankhauses, "aber gegen Betrüger wie Gigabell kann ich einfach nichts machen". Wenn der Vorstand lüge, scheitere die beste Fundamentalanalyse. Die Informationspolitik der Unternehmen am Neuen Markt sei aber insgesamt wegen der strengen Regeln besser als ihr Ruf, räumt der Analyst ein. Viel schwerer als die Auswahl der Perlen sei es, gegen ein "Marktsentiment", also gegen die Stimmungen und Moden der Börse anzukämpfen. "Im vergangenen Jahr waren die Medien-Titel gefragt, heute ist es Biotech." Dreht sich der Hype, geraten selbst Qualitätsfirmen, die ein solides Geschäft betreiben, in den Abwärtsstrudel. "Am Wendepunkt beweist sich, wer ein guter Fundamentalanalyst ist." Dann zählten harte Fakten, schlüssige Prognosen und das beste Management. "Es gibt keine Formel, mit der ich Kauf- und Verkaufstipps ausrechnen kann", so der Analyst, der sich im übrigen bei seiner Entscheidung, welches Unternehmen er beobachtet, frei fühlt. "Ich suche mir die Firmen aus, die ich interessant finde." Dies sei bei Kollegen anderer Banken nicht anders. So erkläre sich wohl auch, dass die Zahl der Kaufempfehlungen größer als die Verkaufstipps sei.

Für die vielen, neu an die Börse gekommenen Unternehmen wurden in den vergangenen Jahren von den Banken oft junge und noch unerfahrene Analysten eingestellt. Matthias Jörss, Aktienstratege bei der BHF-Bank, sieht bei manchen Neuer-Markt-Kollegen schon eine gehörige Portion Frustration. "Nach den vielen Rücknahmen von Planzahlen bei den jungen Firmen setzt ein gewisser Vertrauensschwund und leichte Ratlosigkeit ein." Manche Analysten hätten oft zu unkritisch übernommen, was die Firmenvorstände ihnen erzählt hätten. "Die Stimmung bei denen, die schon länger dabei sind, ist allerdings recht gut." Jörss selbst ist schon über zehn Jahre im Geschäft. Er hält die starke Trennung in Technologie- und klassische Werte für nicht sinnvoll, inzwischen sieht er für den Gesamtmarkt wieder gutes Erholungspotenzial. "Sollte es aber in den USA eine harte Konjunkturlandung geben, womit wir nicht rechnen, dann werden wir auch bei den Standardwerten noch klare Abschläge erleben."

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