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Wirtschaft: Börsenfieber: Der Abgeklärte: Als Kursmakler noch etwas galten

Freitag für Freitag schreiben abwechselnd unsere Kolumnisten über ihr Leben mit den Kursen. Der Heißsporn, der ohne die tägliche Hektik nicht leben kann.

Freitag für Freitag schreiben abwechselnd unsere Kolumnisten über ihr Leben mit den Kursen. Der Heißsporn, der ohne die tägliche Hektik nicht leben kann. Der Outsider, der die Macht der Börse im Alltag beobachtet. Der Zauderer, der den Aktienkauf bis heute nicht wagt. Und der Abgeklärte, der sich nie aus der Ruhe bringen läßt.

Früher ging ich noch zur Börse, aufs Parkett. Es war aber nicht wirklich Parkett sondern ein hässlich grüner Linoleum-Fußboden der Düsseldorfer Börse. Er wurde täglich gewachst, weshalb er glänzte und ziemlich glatt war.

So trafen wir uns täglich vor Börsenbeginn im Büro an der Königsallee und gingen dann gemeinsam in den Börsensaal. Alle Kundenaufträge, die für die Düsseldorfer Börse bestimmt waren, liefen in unserem dortigen Büro zusammen. Sie mussten sortiert und an die entsprechenden Kursmak-ler weitergeleitet werden, damit diese die Kurse "machen" konnten. So gab es immer auch Gelegenheit für ein kurzes Gespräch mit den Maklern. Es gab einen für Röhren, für Farben, für Autos und so weiter. Die Frage "wie werden Anilin heute?" wurde nicht mit Kopfschütteln, sondern mit "10 zu 12 bei großen Umsätzen" beantwortet. "Werden aber im Tagesverlauf fester, wenn der Dollar weiter steigt".

So einfach war das, schöne heile Welt. Der US-Dollar steigt, und die Chemie-Titel legen zu. Porsche kaufen war besser als Porsche fahren, und Siemens galt als Witwen- und Waisenpapier. Und Allianz wurden nicht verkauft, sondern vererbt. Im Übrigen galt es immer, als eine ganz wichtige Kennziffer,das Kurs-Gewinnverhältnis zu beachten. Je nach Branche galten zehn bis 16 als normal, 18 war hoch und zwanzig bereits spekulativ. Dreißig waren nicht vorstellbar und 100 oder mehr wäre in den Bereich der Öl-Aktien oder Penny-Stocks gefallen. An diesen Aktien haben sich immer die gleichen Leute die Finger verbrannt: Diejenigen, die zum Kauf überredet und dadurch regelrecht über den Tisch gezogen wurden oder solche, die über Nacht reich werden wollten. Beide haben in der Regel ihr Geld verloren. So wie heute die Zocker am Neuen Markt.

Die amtlichen Makler waren noch echte Insider, deren Wort etwas galt. Sie verfügten über langjährige Erfahrung und entsprechendes Gespür. Sie wussten, wann aus Übersee Druck auf bestimmte Aktien kam. Institutionelle Großeinkäufer platzierten ihre Orders damals häufig aus London, um auf dem Parkett nicht erkannt zu werden. Natürlich wusste der Makler nach kurzer Zeit, was los ist. Wer kennt sich aber heute noch aus? Die jung-dynamischen und sehr adretten Leute aus dem Börsenfernsehen? Die großen Gurus aus den Analyseabteilungen der vielen Investment-Häuser? Die unzähligen Redakteure und Chefredakteure der bunten Wochen- und Monatshefte für den interessierten Anleger - oder aber die Tippgeber der Börsenbriefe? Etwa die Chatter der Finanz-Communities in ihren virtuellen Räumen? Helfen die Analyse-Tools des Internetbankings, mit den zahlreichen Möglichkeiten der Kursprognose Herr zu werden? Chart- und Balkendiagramme, kurz- und langfristige Durchschnittslinien, Volumenanalysen, Ad-hoc-Mitteilungen und Kurse in Echtzeit - nie gab es so viele aktuelle Informationen für jeden zur freien Verfügung, zur gleichen Zeit und in der gleichen Qualität.

Der Makler hat seine Aura verloren und der Anleger die Orientierung. Deshalb lautet unsere Prognose für das Jahr 2001: Besinnung auf traditionelle Werte bringt zwar nicht immer den höchsten Gewinn, aber dafür den geringsten Verlust. Und damit ist es auch schon nur noch halb so glatt auf dem Parkett.

Thomas M. Pohlig

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