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Wirtschaft: Börsenfieber: Der Heisssporn: Am Wickel der üblichen Verdächtigen

Wo warst du, als das World Trade Center einstürzte? Glaubt man den USA-Korrespondenten, so wird diese Frage ähnlich wie die nach dem Aufenthaltsort am Tag des Kennedy-Attentats für immer in das kollektive Bewusstsein der Amerikaner eingehen.

Wo warst du, als das World Trade Center einstürzte? Glaubt man den USA-Korrespondenten, so wird diese Frage ähnlich wie die nach dem Aufenthaltsort am Tag des Kennedy-Attentats für immer in das kollektive Bewusstsein der Amerikaner eingehen.

Ich war übrigens einkaufen, als es passierte. Und während ich vor dem Supermarktregal stand und überlegte, ob ich eine Flasche Nusslikör in den Wagen lege, brachen weltweit die Finanzmärkte zusammen. Erst als ich nach Hause kam und routinemäßig das Radio einschaltete, hörte ich, was passiert war. Nach einem kurzen Schock war das erste, was mir durch den Kopf ging: Verdammt, warum habe ich keine Goldminenaktien ...

Das halten Sie jetzt bestimmt für völlig pietätlos. Doch wenn man sein Leben der Börse gewidmet hat, kann man sich gegen solche Gedanken gar nicht wehren. Aber beruhigen Sie sich: Ich kam sowieso zu spät, der Preis der Krisenwährung Gold war längst durch die Decke geschossen, und parallel dazu waren auch die Kurse der Goldminenaktien längst explodiert. Gedanke Nummer zwei brachte die gleiche Ernüchterung: Auch der Ölpreis wird steigen, dachte ich mir. Hatte er auch schon längst getan. Und mit ihm die Ölaktien. Der dritte Gedanke, der mir durch den Kopf schoss: Rüstungsaktien! Eher beifällig warf ich einen Blick auf einen alten Bekannten, eine Aktie, die ich mal während des Kosovo-Krieges besaß (jetzt halten Sie mich vollends für einen skrupellosen Kriegsgewinnler) - die Düsseldorfer Rheinmetall, einer der führenden Rüstungshersteller Europas. Auch hier zogen die Kurse bereits deutlich an. Zu spät, dachte ich wieder, und da die Börse sowieso vorzeitig schloss, riss ich mich erst einmal los von den Kursen.

Aber irgendwie ließ mich dieser alte Bekannte nicht los. Am nächsten Morgen rief ich in der Konzernzentrale an und fragte, ob sich auch Rheinmetall selbst den gestrigen Kursanstieg mit den aktuellen Ereignissen erkläre. Allerdings, verlautete aus Düsseldorf, und man verriet mir zusätzlich, dass die Firma als Rüstungsproduzent nicht nur von der neuen sicherheitspolitischen Weltlage profitiere, sondern auch einer der führenden Anbieter von Sicherheitselektronik sei. Da wurde ich hellhörig: Eine Tochterfirma stelle zum Beispiel Röntgengeräte her, fuhr der Mann am Telefon fort, mit denen auf Flughäfen das Gepäck durchleuchtet wird. Spätestens da hatten die Rheinmetaller mich vollends am Wickel. Obwohl die Aktie bereits kräftig angezogen hatte, griff ich zu. Mehr oder weniger spontan. In solchen Fällen legt man sich dann im Nachhinein noch tausend weitere Argumente für das Papier zurecht: Fundamental billig, charttechnisch verheißungsvoll und so weiter. Stimmt aber auch alles! Und als Beruhigung dafür, dass ich so spät erst zuhause war: Selbst wenn Gold und Ölpreis schnell wieder abfallen sollten - Rheinmetall wird ein Profiteur der Krisen bleiben. Früher oder später. Die Wartezeit kann ich mir ja mit einem Gläschen Nusslikör vertreiben.

Stefan Müller

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