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Wirtschaft: Börsenfieber: Der Zauderer: Die Nachtruhe wird zum Nik-Leeson-Schlaf

Kennen Sie dieses Gefühl? Man wacht irgendwann nachts auf und steckt noch mitten in seinem Traum.

Kennen Sie dieses Gefühl? Man wacht irgendwann nachts auf und steckt noch mitten in seinem Traum. Manchmal kann das ja auch angenehm sein, in meinem letzten Fall war es das nicht: Ich war im Schlaf ein großer Hochstapler geworden, ich hatte alle getäuscht, und jetzt war ich aufgeflogen. Es war wie das Gefühl, einen steilen Abhang runterzurutschen, ohne Halt zu finden.

Manchmal sind Träume relativ einfach zu erklären, hoffe ich wenigstens. Ich hatte am Abend den Film "Die Nick-Leeson-Story" gesehen. Erinnert sich noch jemand an Nick Leeson? Das war dieser junge Broker, der von Singapur aus operierte und erst irrsinnig erfolgreich war, bevor er dann tief stürzte, und mit ihm seine ganze Bank, die britische Barings Bank, die deshalb Pleite ging. Der Film ist richtig gut, weil er klar macht, wie eng die Grenze zwischen großem Erfolg und großem Misserfolg ist. Einmal gelingt es Leeson noch mit seinem aberwitzigen System aus geheimen Konten und nicht exisitierenden Kunden sich in letzter Sekunde zu retten. Er hatte das Glück des Zockers, ein letztes Mal. Das nächste Mal geht es schief. Davor wird immer gezeigt, wie Leeson gefeiert wird, als toller Börsenheld. Und die Kamera geht ganz auf sein Gesicht. Auf ihn, der als einziger weiß: Es wird nicht gut gehen. Es wird, es muss der Tag kommen, an dem alles herauskommt.

Die schmale Grenze zwischen Sieg und Scheitern: Man trifft derzeit auf eine Menge solcher Geschichten, die mit der Leeson-Story schon von der Dimension her allerdings nicht zu vergleichen sind. Eine Freundin hatte beispielsweise vor knapp einem Jahr einen Tipp bekommen, sie solle doch die Aktien einer Internetfirma kaufen, die gerade an die Börse geht. Sie investierte 5000 Mark und der Kurs stieg und stieg, bis aus ihren 5000 Mark 90 000 Mark geworden waren. Bei diesem Kursstand gingen wir zufällig einen Kaffee trinken, und ich riet ihr, als eher vorsichtiger Mensch, ob sie nicht wenigstens 40 000 Mark mitnehmen wolle, mit dem Rest könne sie ja weiter spekulieren. Sie hatte für den Vorschlag nur Verachtung übrig: Na ja, du hast ja gar keine Ahnung. Außerdem habe sie gelesen, sagt sie, dass Frauen die besseren Spekulanten sind, weil sie treuer zu ihren Aktien sind als Männer. Nun, man ahnt wie die Geschichte letztlich weitergeht. Heute sind ihre Aktien noch 1500 Mark wert, mit fallender Tendenz. Wir waren neulich wieder mal Kaffee trinken. Auf den ersten Blick hat sie die Niederlage gut und tapfer weggesteckt. So etwas soll ja den Charakter stärken.

Es gibt Leute, die trifft es härter. Ich kenne jemanden, der bei EM.TV arbeitet. Der war mal dank der tollen Aktienkurse Millionär, durfte aber laut Vertrag die erste Zeit keine Aktien verkaufen. Er marschierte also zu seiner Bank und besorgte sich Kredite, was angesichts seiner Aktienmillionen kein Problem war. Er baute sich ein schönes Haus, kaufte eine Yacht und teure Bilder. Das Gefühl, dass es so toll nicht immer weiter gehen kann, existierte nicht in dem damaligen Euphoriekosmos. Er sagt heute, warum das so war, kann er sich bis heute nicht so recht erklären. Er sagt heute auch, dass seine Bank gar nichts hören will von den gesunkenen Kursen: "Sorry, das ist ihr Problem, nicht unseres."

Börse hat viel mit Psychologie zu tun, heißt es doch immer wieder. Das klingt nicht gut, denn gegen alle Beteuerung kluger Analysten, dass es bald wieder aufwärts geht, steht jetzt die Angst, die Einzug gehalten hat. Alle reden vom trügerischen Schein. Und wer will schon öfters eine Nick-Leeson-Nacht verbringen? Man schläft nicht besonders gut auf einem schiefen Hang.

Stephan Lebert

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