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Wirtschaft: Börsenfieber: Der Zauderer: Ideen allein zu Haus

Neulich bin ich am Abend einem müden Geschäftsmann begegnet, der sagte: "Wissen Sie, was die Hölle ist? Wenn man mit einer neuen Idee auf ein altes System trifft.

Neulich bin ich am Abend einem müden Geschäftsmann begegnet, der sagte: "Wissen Sie, was die Hölle ist? Wenn man mit einer neuen Idee auf ein altes System trifft. Wenn man zuschauen muss, wie die Idee jedes Mal wieder in diesem System versickert." Ich wollte ihn irgendwie trösten, aber außer Floskeln ("Klar, dass sowas nicht so schnell geht"), fiel mir nichts ein, so dass am Ende ein sichtlich undynamischer Businessmensch nach Hause ging. Erst Tage später war mir klar, dass ich ihm ebenfalls eine Frage hätte stellen müssen: Wissen Sie, was die noch größere Hölle ist? Wenn eine neue Idee auf gar kein System trifft.

Der Anlass für diese Erkenntnis war ein Artikel in der Financial Times Deutschland mit der hübschen Überschrift:"Die Dotcom-Psychose". Im Mittelpunkt steht dabei der amerikanische Psychiater und Unternehmensberater Kerry J. Sulkowicz, der viele New-Economy-Firmen sozusagen auf die Couch legt und dabei erschreckende Dinge entdeckt hat. Das Betriebsklima sei eine Katastrophe, er habe es nicht selten erlebt, dass sich Führungskräfte in wichtigen Besprechungen anschrien. "Du bist ja verrückt!", schrie der Chef, worauf sein Vize erwiderte: "Und du ein Idiot!". Von niederen Betriebsebenen wird Ähnliches gemeldet. So sei folgender Dialog, festgehalten von einem anderen amerikanischen Psychologen, eher die Regel: "Guten Morgen", ruft einer, "Wohl kaum", erwidert der andere. Das schafft kaum ein gutes Betriebsklima.

Brillante Einzelgänger hätten oftmals diese Firmen gegründet, und genau darin liegt nach Ansicht der Psychologen das Problem. Viele der jungen Bosse seien regelrecht kontaktgestört - und hätten es nie geschafft, wirkliche Strukturen aufzubauen, die die Basis für längerfristiges Arbeiten sind. Solange der Erfolg da war, wurde alles von den sprudelnden Kursen übertüncht. Doch jetzt, in den Zeiten der Krise merken sie, dass das Prinzip Erfolg für sich alleine noch kein Erfolgsprinzip ist. Statt an gemeinsamen Strategien zu basteln, versuchen die versammelten Einzelgänger jeder für sich, das eigene Überleben zu sichern. Kerry Sulkowicz wäre kein Psychiater, wenn er nicht augenblicklich tiefer liegende Defizite ausgemacht hätte. Von schlimmen eigenen Kindheiten seien viele der fallenden Internet-Könige geplagt. Jetzt würden sie ihre unglücklichen Familienmuster in ihren Firmen wiederholen.

Wie auch immer: Dotcom-Psychose klingt nicht besonders vertrauensvoll. Will man darauf sein Geld setzen? Im Fernsehen taucht derzeit gerne ein Internet-Unternehmer namens Kim Schmitz auf, ein irre dicker, junger, unsympathischer Mann mit einem Mondgesicht, der so tut, als wäre er Donald Trump. Wirklich besorgniserregend dabei ist, dass er tatsächlich eine Rolle auf diesem Markt spielt. Er hat gerade die Firma Letsbuyit.com mit viel Geld vom endgültigen Sturz bewahrt, wenigstens vorläufig. Man sollte bei Gelegenheit schon mal fragen, wie die Beziehung zu seinem Vater aussieht.

Soll man vielleicht lieber in die Biotechnologie investieren? Aber auch da scheint Vorsicht angesagt zu sein, denn die Bekanntgabe des menschlichen Genoms in dieser Woche hat ja ergeben, dass der Mensch viel weniger Gene hat als bisher angenommen. Was bedeutet: Es gibt auch weniger Patente, weniger Geschäft. Viele Ideen werden alleine bleiben. Man könnte auch sagen: Der Friedhof der Ideen wird größer.

Stephan Lebert

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